Berlin/ Deutsche Oper: „TANNHÄUSER“ in Starbesetzung, 22.12.2012
Peter Seiffert. Foto: Deutsche Oper Berlin
Das war die beste Tannhäuser-Aufführung, die ich je erlebt habe! Zugegeben – die vier Jahre alte Inszenierung von Ex-Intendantin Kirsten Harms, die damals bei der Premiere mit Buhrufen bedacht wurde, mag nicht jedermanns Sache sein. Aber das relativiert sich, haben wir doch seither allenthalben mitunter Schlechteres anschauen müssen.
Immerhin ist die Inszenierung der Dresdner Fassung bildgewaltig, einfallsreich und konsequent (Bühne und Kostüme: Bernd Damovsky). Damit kommen auch Gastsänger gut zurecht, wie an diesem Ausnahme-Abend in der Deutschen Oper Berlin voller Freude zu hören und zu sehen ist.
Der junge Dirigent Constantin Trinks, ein Einspringer, macht seine Sache sehr ordentlich, und das Orchester der Deutschen Oper Berlin unterstützt ihn nach Kräften. Klangsatt weht die Ouvertüre durch den Saal, lässt bereits alle Details der mittelalterlichen Liebestragödie dezidiert aufleuchten. Bestens in Form sind die Bläser, die Violinen spielen mit Verve auf.
So weht die Melodie des Pilgerchors bald wunderbar durchs Haus und erweckt hohe Erwartungen. Diese werden von den Chören, einstudiert von William Spaulding, mal im kräftigen Forte, mal im samtenen Piano beeindruckend erfüllt.
Diese Ouvertüre hat Frau Harms intensiv bebildert. Eine Tannhäuser-Figur schwebt von der Decke herab. Verführerische Frauen umgarnen den Minnesänger auf seiner Suche nach Sex und nicht nur nach platonischer Liebe. Ein Double übernimmt diesen Part.
Peter Seiffert, der echte Tannhäuser, tritt erst in Aktion, als die Venus selbst erscheint, hier in Gestalt von Petra Maria Schnitzer. Die beiden, ein Paar im Leben, sind an diesem Abend auch ein ideales Paar auf der Bühne und machen ihre Rollen darstellerisch ebenfalls glaubhaft.
Dennoch wird Peter Seiffert zum Star des Abends, wenngleich ein anderer diesen Titel genau so verdient: Christian Gerhaher als Wolfram von Eschenbach, Tannhäusers sanfter Gegenspieler. In Topform sind beide.
Seiffert mit seinem kraftvollen Heldentenor muss selbst in den stärksten Ausbrüchen niemals forcieren. Stets bleibt seine Stimme wendig, rund und klangvoll. Auch überrascht er gelegentlich mit leisen, lyrischen Tönen. Wie er anfangs das Wort „Nachtigall“ singt, nach der er sich im schwülen Liebesreich sehnt! Bis zuletzt hat er die nötigen Reserven, um solche unerwarteten Piani zu setzen.
Die sind eigentlich das Metier von Christian Gerhaher, der beinahe zufällig zu einem der führenden Liedinterpreten herangereift ist. Welch ein wohlklingender Bariton, fähig, alle Gefühle innig, aber auch kraftvoll auszudrücken! Wenn er singt, wird es still im Saal. Für mich werden es die kostbarsten Momente dieser an Höhepunkten reichen Aufführung.
Petra Maria Schnitzer überzeugt als Venus nicht hundertprozentig. Ihre Spitzentöne sind makellos, doch die Mittellage schwächelt. Umso überzeugender wird sie als Elisabeth. Das Lyrische, Weichere kommt ihrem Sopran entgegen. Als Verliebte, dann Enttäuschte, Verzweifelte und verzweifelt Hoffende ist sie in Stimme und Gestaltung großartig.
Imponierend auch der in Wien wohlbekannte Ain Anger. Mit seinem voluminösen, klangreichen Bass präsentiert er einen würdigen und sorgsamen Landgrafen Hermann und erhält nach dem 2. Akt sofort die verdienten Bravos.
Generell gibt es an diesem Abend nur gute bis sehr gute Gesangsleistungen, auch von Clemens Bieber (Walter von der Vogelweide), Seth Carico (Biterolf), Paul Kaufmann (Heinrich der Schreiber), Marco Mimica (Reinmar von Zweter) und der Stipendiatin Hila Fahima (Hirt).
Und doch gilt meine Bewunderung Christian Gerhaher. Der steht nur in solch glücklichen Ausnahmefällen mal auf der Bühne und hat dennoch als Darsteller große Momente. Wie er der auf Tannhäuser wartenden Elisabeth, die im Krankensaal die Armseligen pflegt, unauffällig folgt und kaum seine vergeblichen Gefühle für diese Frau beherrschen kann, das ist tief berührend.
Ebenso beeindruckend wird jedoch Seifferts Rom-Erzählung, die wirklich eine solche ist mit allen erlebten und erlittenen Höhen und Tiefen, gefolgt von der Wahnsinnsflucht des Unerlösten zurück ins Venus-Reich und seiner Dennoch-Errettung durch die inzwischen Heilige Elisabeth. Da zieht er stimmlich und schauspielerisch alle Register fast bis zum Gehtnichtmehr. „Das Ewig Weibliche zieht uns hinan,“ dichtete Goethe am Ende von Faust II. – Richard Wagner, seine Sänger und alle Mitwirkungen ziehen in diesen Sternstunden das gleiche Fazit.
Das Fazit des Publikums: tosender Jubel, Bravos, stehende Ovationen, am meisten für Peter Seiffert, Christian Gerhaher und Petra Maria Schnitzer, in dieser Reihenfolge. Ein wunderbares Vorweihnachtsgeschenk.
Ursula Wiegand