Berlin, Seefestspiele: Premiere „CARMEN“, 16.08.2012
Volker Schlöndorff. Foto: Davids Ecken
Georges Bizet und die Kammerakademie Potsdam unter der bewährten Leitung von Judith Kubitz können wohl zaubern. Denn kaum erklingt die Ouvertüre der Oper „Carmen“, hört der Nieselregen auf.
Alle Augen richten sich nun auf den eleganten schwarzen Riesenfächer. Er bildet optisch und inhaltlich den passenden Bühnenhintergrund (Volker Hintermeier) für Bizets Oper „Carmen“. Ciganes steht in roter Schrift auf diesem Fächer, übersetzt Zigeuner. Und diese rote Schrift soll vermutlich andeuten, dass hier noch Blut fließen wird.
Regisseur und Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff bevölkert die weite Bühne mit Tänzern und Akrobaten, die Damen in Gelb, was sich vor dem schwarzen Fächer und später in der Dunkelheit gut ausnimmt. Schon bei der Ouvertüre bieten sie dem Publikum was zum Gucken, später seilen sich sogar zwei Herren von diesem übergroßen schwarzen Fächer ab.
Julia Rutigliano. Foto: Lutz Edelhoff
Ein schwarzes enges Spitzenkleid (Kostüme: Roy Spahn) trägt passend dazu die Carmen, also keinen schwingenden feuerroten Rock. Gut so. Doch ein Ausbund von Erotik ist sie auf den ersten Blick nicht. Stattdessen punktet Julia Rutigliano, Trägerin diverser Preise sowie Stipendiatin des Deutschen Bühnenvereins und des Richard Wagner Verbandes, mit einem üppigem Dekolleté. Auch singt und spielt sie sich im Laufe des Abends mehr und mehr in ihre Rolle hinein und lässt dabei ihren Mezzo aufblühen. Kein Wunder, dass sie wenig Mühe hat, das Muttersöhnchen Don José verrückt zu machen und auch dem Publikum zu gefallen.
Bühnenbild: Foto: Lutz Edelhoff
Den Don José gibt in sehr sympathischer Weise Hans-Georg Priese. Der wirkt jungenhaft, obwohl sich er aufgrund seiner 20jährigen Bühnenerfahrung mit hübscher Selbstironie als einen „Spätentwickler“ bezeichnet. Jedenfalls ist er der beste Darsteller von allen, angefangen von der ersten Szene mit Micaela bis zu ohnmächtiger Wut gegen Ende des Liebesdramas. Dass ihm im Eifer des Gefechts mal ein Ton etwas abrutscht, fällt bei der Intensität seines Schauspiels nicht ins Gewicht. – Michael Vier, seit 1995 an der Oper Köln, kontert als Torero Escamillo mit einem profunden Bassbariton.
Die schönste Stimme von allen hat zweifellos Viktorija Kaminskaite als Micaela. Die zarte Litauerin, seit 2008/09 Ensemblemitglied der Oper Leipzig, erfreut uns mit einem klaren, leuchtenden Sopran, der Innigkeit und Kraft gleichermaßen besitzt. Als einzige erhält sie zwischenzeitliche Bravos. Auch die Duette mit ihrem José (Hans-Georg Priese), um den sie sich im Namen der Mutter so vergeblich bemüht, gelingen bestens.
Gesungen wird übrigens mal auf Deutsch, mal auf Französisch, und auch die „Nebenrollen“ sind passend besetzt. Frisch und munter singen und spielen z.B. Carmens Freundinnen Frasquita (Anna Gütter) und Mercedes (Emma Parkinson). Insgesamt gibt es keinerlei Enttäuschungen.
Volker Schlöndorffs Meisterhand zeigt sich bei der Personenführung. Der Leutnant muss etwas stottern, die Banditen sind echte Typen. Überzeugend gelingen – nach der von den Besuchern als zu lang empfundenen Pause – vor allem der 3. und 4. Akt, wenn sich das Unheil zusammenbraut.
Die düsteren Szenen in den Bergen (Lichtdesign Guido Petzold), der Streit zwischen Carmen und Don José, das Erscheinen von Micaela und Escamillo führen geradewegs in die Katastrophe. Alle steigern sich nun überzeugend in ihre Rollen hinein, während das ahnungslose Stierkampf-Publikum dem Torero zujubelt. Wie ein Hund, aber mit kraftvoller Stimme krümmt sich derweil der verzweifelte Don José zu Carmens Füßen.
Das Ende ist bekannt, doch Schlöndorff wandelt es leicht ab. Don José verübt hier nach der Tötung von Carmen keinen Selbstmord. Mit hängenden Schultern steht er da, fassungslos über seine Tat. Schluss, Aus. – Dann lebhafter Beifall für alle Mitwirkenden, natürlich auch für den Neuen Kammerchor Potsdam.
Es folgen 11 weitere Aufführungen bis einschließlich 2. September, in dieser Besetzung wieder am 18., 23., 25., 30.8. und 1.9.2012. An den übrigen Tagen sind die 4 Hauptrollen alternativ besetzt. Leider sollen das – wegen Differenzen mit dem Umweltamt – laut DEAG-Chef Prof. Peter Schwenkow die letzten Seefestspiele in Berlin sein. Wer also Oper open air am Wannsee erleben will, sollte in diesem Jahr kommen. Tickets unter 01805-969000555 und unter www.deag.de und www.seefestspiele-berlin.de
Ursula Wiegand