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BERLIN/ Staatsoper. LA BOHÈME – perfekt angepasst

04.12.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Berlin/ Staatsoper: „LA BOHÈME“ perfekt angepasst, 02.12.2012


Weihnachtstrubel in Paris. Foto: Monika Rittershaus

Das Timing ist perfekt. Draußen rieselt der Schnee und stimmt auf die weihnachtlichen Flocken ein, mit denen Puccinis „La Bohème“ beginnt. Auf dem Vorhang (vermutlich Plastikplanen) dräuen Schneewolken. Durch eine Wolkenlücke ist ein alter Herr auf der Bühne zu sehen.

Der sitzt im Sessel und blickt nachdenklich auf eine Art Glaskugel in seinen Händen. Auch später taucht er immer wieder auf und steht still im Hintergrund, ohne dass die Sänger den offenbar unsichtbaren Gast bemerken.

Ist es vielleicht Rodolfo als alter Mann, der an seine jungen Jahre zurückdenkt, an das armselige Künstlerleben und vor allem an Mimi, seine früh verstorbene große Liebe? Eine Geschichte, die immer wieder zu Tränen rührt. Wie Tränen wirken auch die getauten Schneeflocken, die vor den nächsten Bildern an einer großen Scheibe niederrinnen.

 Insgesamt haben Lindy Hume (Regie) und Dan Potra (Bühnenbild) diese Oper – mit Hilfe der Techniker – dem Schillertheater geschickt angepasst. Das Geschehen bleibt aber im konservativen Rahmen. (Kostüme wiederum von Carl Friedrich Oberle).

Neu besetzt sind bei dieser Beinahe-Premiere jedoch die Hauptrollen. Den Rodolfo singt der US-Amerikaner Stephen Costello. Der 31-jährige Tenor, schon an den besten Bühnen im Einsatz und von den Kritikern hoch gelobt, gewinnt das Publikum geschwind und heimst den ersten Zwischenbeifall ein. Natürlich nach „wie eiskalt ist dieses Händchen“. Richtig so, denn Costello hat Schmelz in der Stimme, singt ein angenehmes Piano, besitzt aber auch die nötige Kraft für die Zornes- und Verzweiflungsausbrüche. Darstellerisch wirkt er anfangs zurückhaltend, überzeugt aber in der Trennungs- und der Sterbeszene. Im März wird er an der Wiener Staatsoper den Nemorino in „L’elisir d’amore“ singen.


Kristine Opolais (Mimi), Stephen Costello (Rodolfo). Foto: Mara Eggert

Als Mimi ist die schöne junge Lettin Kristīne Opolais zu Gast. Auch sie ist auf dem Weg zum internationalen Star, in Wien und Salzburg hat sie auch schon gesungen. Ich erlebe sie zum ersten Mal und bin als bald begeistert. Gleich zu Beginn erweist sich die schlanke Frau in Spiel und Gesang als eine perfekte Mimi, schüchtern und voll gut gespielter Verlegenheit. Bei ihrem „Man nennt mich Mimi“ muss der Dichter Rodolfo selbst in der kältesten Bude dahinschmelzen. Umso mehr erstaunt die dramatische Ausdruckskraft, mit der sie im dritten Bild ihre Verzweiflung über sein unerklärliches Verhalten ausdrückt. Zuletzt meistert sie den Wechsel zwischen wieder aufflackernder Hoffnung und finaler Ermattung mit Intensität und ohne jeden krassen Ton. Eine großartige und glaubwürdige Leistung von A bis Z. Wenn sie in dieser Topform die Mimi im Januar an der Met und im April in Wien singt, werden ihr wohl auch dort die Herzen zufliegen.

Die kokette, Aufmerksamkeit erheischende Musetta verkörpert mit Temperament und herausgeschleuderten Spitzentönen wiederum Anna Samuil, hat jedoch in Roman Trekel einen neuen Maler Marcello als Geliebten. Mit exzessiver Körpersprache und nuancenreichem Bariton kann der seine Gefühlsschwankungen nicht nur Musetta klarmachen.

Die beiden übrigen Möchtegern- und Lebenskünstler, der Musiker Schaunard und der Philosoph Colline, sind bei Arttu Kataja und Jan Martiník in guter Kehle. Dabei gelingt der Abschied vom geliebten Mantel dem knapp 30jährigen Martiník durchaus anrührend.

Am Pult steht an diesem Abend Andris Nelsons, auch er bereits ein Star in seinem Fach. Zügig dirigiert er die Staatskapelle Berlin und setzt mit den letzten dramatischen Moll-Akkorden einen Saal durchflutenden Schlusspunkt.

Danach sofort starker Beifall für alle Beteiligten, selbstverständlich auch für die Chöre unter Eberhard Friedrich und verdiente Bravos für Kristīne Opolais und Stephen Costello.

Ursula Wiegand

 

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