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BERLIN/ Staatsoper im Schillertheater: DIE ZARENBRAUT. Premiere

04.10.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Berlin/ Staatsoper: Premierenerfolg „DIE ZARENBRAUT“, 03.10.2013

Die Zarenbraut, Anita Rachvelishvili, Olga Peretyatko, Foto Monika Rittershaus
Anita Rachvelishvili, Olga Peretyatko, Foto Monika Rittershaus

Zum Saisonstart der Deutschen Staatsoper im Schillertheater hat sich Maestro Daniel Barenboim etwas Besonderes einfallen lassen und präsentiert zusammen mit der Staatskapelle Berlin schmissig und süffig eine Rarität: „Die Zarenbraut“ von Nikolai Rimsky-Korsakow.

Dass diese Aufführung schließlich bejubelt wird, ist vor allem den großartigen Solisten zuzuschreiben, denen diese auf Russisch gesungene Story von Liebe, Hass und Intrige wunderbar von den Lippen strömt.

Doch der Erfolg hat weitere Väter. Regisseur Dmitri Tcherniakov spielt das 1899 in Moskau uraufgeführte Werk – basierend auf einer wahren Begebenheit im Jahr 1571 – nicht historisierend vom Blatt. Der 43-Jährige, der vor acht Jahren mit seiner „Boris Godunow“- Inszenierung an Berlins Staatsoper Aufmerksamkeit erregte und seither weltweit tätig ist, stellt das Stück in unsere Zeit. An Parallelen (nicht nur) zum jetzigen Russland fehlt es nicht und auch nicht an indirekten Hinweisen darauf, wie heutzutage Stars und Storys lanciert werden.

So sind die Volklore-Russen früherer Zeiten (Kostüme: Elena Zaytseva), die anfangs in einem verschneiten Dorf mit Zwiebelturm-Kirche flanieren, nur die Staffage für einen Film. Auch die Szenen der Zarenbraut werden im Studio gedreht, so dass sich hier mehrere Ebenen überlagern.

Die Zarenbraut, Marfas Familie mit Fernseher, Foto Monika Rittershaus
Marfas Familie vor dem Fernseher. Foto: Monika Rittershaus

Der Zar in persona erscheint überhaupt nicht, der existiert nur virtuell. Der omnipotente Iwan der Schreckliche, wurde hier am Computer geschaffen. Ein perfekt gemachter Star. Der Herrscher, den die Familie von Marfa, der späteren Zarenbraut, im Wohnzimmer auf dem Bildschirm erblickt, existiert nicht, sein Gewaltregime aber wohl. Auch die Damen werden sämtlich gecastet. Alles nur Fake, nur Kino, nur ein Operngeschehen?

Teil, teils. Denn die Gefühle, die die eigentliche Handlung tragen und überzeugend offenbart werden, sind real und zeitlos. Und da alle Mitwirkenden auch schauspielerisch überzeugen, gelingt der Spagat zwischen der Computeranimation und dem wahren Leben.

Den Anfang macht in einer Art Konferenzzimmer – den Tisch voller Flaschen – Johannes Martin Kränzle als der Bojar (Adliger) Grjasnoj. Ein lässiger neurussischer Partylöwe im Maßanzug, charmant, gut aussehend, dem Alkohol zugetan, aber auch den Frauen. Doch mit denen klappt es nicht mehr so recht, insbesondere nicht mit der hübschen Marfa. In die ist er heillos verliebt, ist aber abgeblitzt.

Die Zarenbraut, Johannis Martin Kränzle, Olga Peretyatko, Foto Monika Rittershaus
Johannes Martin Kränzle, Olga Peretyatko, Foto Monika Rittershaus

Bald treffen seine Gäste ein. (der Chor, einstudiert von Rustam Samedov). Kränzle gibt den perfekten Gastgeber, zieht nach dem vorherigen Midlife-Crisis-Lamento auch hier schauspielerisch und sängerisch Register. Ob sein Russisch einwandfrei ist, vermag ich nicht zu beurteilen, aber sein kultivierter Bariton klingt sehr authentisch.

Die anderen sind echte Russen oder, wie Anita Rachvelishvili, eine Georgierin mit pechschwarzem Haar (die schon an den besten Bühnen als Carmen Eindruck machte). Sie war Grjasnojs Geliebte, doch der will von ihr nichts mehr wissen. Sie fleht ihn an, wirft sich ihm zu Füßen, doch er stößt sie rüde weg. Bei aller Unterwürfigkeit kocht sie wie ein Vulkan, maßlos in ihrer Liebe, maßlos in Zorn und Rache. Eine bewundernswerte Schauspielerin mit einem unerhört volumenreichen Mezzo. Die Glanzleistung des Abends!

Sie schleicht sich zum Haus ihrer Konkurrentin, erschrickt ob Marfas blonder Schönheit. Ja, Olga Peretyatko – die schließlich vom Zaren unter 2.000 Bewerberinnen auserkorene Braut – ist in der Tat eine sehr aparte junge Frau, lebendig und wendig, charmant und der Rolle entsprechend von teils kindlicher Begeisterung.

Mit leichtgängigem Glitzersopran, später bei der Zuspitzung der Ereignisse deutlich aufdrehend – zeichnet sie auch stimmlich ihren kurzen, letztlich tragischen Lebensweg anrührend auf. – Und schon ist sie international gut im Geschäft, wird demnächst an der Met singen. Eine „Netrebko vom Nollendorfplatz“, wie die Berliner Morgenpost schrieb, würde ich sie dennoch nicht nennen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Auch die anderen sind Klasse, allen voran Anatoli Kotscherga, Marfas liebevoll besorgter Vater, mit echt russischem Rundbass. Pavel Cernoch als Lykow, Marfas Jugendliebe und Bräutigam, kann mit seinem lyrischen Tenor punkten.

Marfas Freundin Dunjascha ist bei Anna Lapkovskaja in guter Kehle, Anna Tomowa-Sintow gefällt als Dunjaschas Mutter Saburowa, die völlig überzeugt ist, dass ihre Tochter die künftige Zarenbraut ist. Mit dem Gehen hat sie schon Probleme, mit der Stimme nicht. Erwähnenswert auch Tobias Schabel als Maljuta-Skuratow, ein wichtiger Mann des Zaren unter Grjasnojs Party-Gästen.

Noch weit wichtiger ist für Grjasnoj jedoch der fremde Wunderdoktor Bomelius (Stephan Rügamer). Der verabreicht dem bei Marfa Abgeblitzten ein Liebespulver, seiner wütenden Ex Ljubascha später (für Sex-Dienste) ein langsam wirkendes Gift, das sie heimlich gegen das Liebeselixier austauscht.

Der als Trauzeuge geladene Grjasnoj schüttet, völlig ahnungslos, das Gift in Marfas Weinglas. Nach kurzem Übermut bricht Marfa, nun schon Zarin, bei den Filmaufnahmen zusammen und stirbt in Grjasnojs Armen.

Doch mit letzter Kraft schmiegt sie sich an die tot zusammengesackte Ljubascha, die ihre Untat gestanden hat. Zwei Frauen, die vergeblich geliebt haben. Grjasnoj, verzweifelt und voller Schuldgefühle, jagt sich eine Kugel in den Leib. Alles wie im Film, alles wie in der Oper. Die virtuelle Marfa strahlt zuletzt wie quicklebendig vom Bildschirm.

Riesiger Beifall für alle, natürlich auch für Barenboim und die Seinen. Aber Bravos und begeistertes Getrampel für die umwerfende Anita Rachvelishvili, die diese Ovationen kaum fassen kann. Und kein einziges Buh fürs Regieteam!

Weitere Aufführungen am 8., 13., 19. und 25. Oktober sowie am 1. November.

Ursula Wiegand

 

 

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