IL TROVATORE- Premiere am 29.11.2013. Un Trovatore per i piccolissimi
Foto: Mara Eggert
Etwas für die lieben Kleinen ist der „Trovatore“ in der Regie von Philipp Stölzl, denn Comics, Alice im Wunderland, Commedia dell‘ Arte und eine Struwwel-Petra (Azucena) bevölkern die Bühne, und selbst der Schluss, zu dem eigentlich drei Personen sterben müssen, ist nicht so schlimm, denn nach dem Messerstich kann die schöne Frau im Reifrock noch sehr lange singen, und am Ende kuscheln alle auf dem Fußboden.
Bunt und grotesk gekleidete Gaukler (Zigeuner) samt Tanzbär, und auch die strengen Soldaten tanzen gar lustig zur Musik von Giuseppe Verdi, vollbringen allerlei Possen und Verrenkungen, sind aber ganz feige, was man daran sieht, dass ihre Lanzen zittern. Aus einer niedlichen Kanone wird „echt“ geschossen, so dass es ordentlich knallt und auch viel Feuer zu sehen ist, Mauern einstürzen, aber -keine Angst!- gleich wieder heil sind. Gemein ist, dass auch Manrico, der doch der Held der Oper sein soll, den armen Bären mit einer Pike sticht.
Wohl von dem Fehlschluss ausgehend, die Geschichte sei so haarsträubend verworren, dass man sie nur verhohnepiepelnd auf die Bühne bringen könne, zieht sie die Regie ins Lächerliche, dabei muss man nur Ferrando aufmerksam zuhören und die Erzählung Azucenas als Ergänzung der seinen akzeptieren, und alles ist klar.
Zwei aus vielen Quadern bestehende Wände bilden das Bühnenbild (Conrad Moritz Reinhardt) , vorn ragt ein kleines Trapez über den Orchestergraben – wohl mit dem Souffleurkasten. In den Wänden können sich Türen oder Fenster öffnen, auch Projektionsflächen für Videos (fettFilm; Momme Hinrichs und Torge Moler) bilden sich, auf denen die Mauerschau zum realen Sehen wird oder Visionen Gestalt annehmen, stets mit einem Symbol verbunden: einer Rose, einem Löwen, Vase, Totenkopf oder Stundenglas – sehr poetisch. Aus Bodenklappen erscheinen Manrico (deshalb wähnt ihn auch Leonora als „vom Himmel“ kommend) und Azucena, eine Drängelei durch ein schmales Fenster hindurch bevorzugen die Soldaten, selbst wenn genug Türen vorhanden wären, kurzum: eine der schauerlichsten Opernhandlungen gibt gar viel Anlass zu Spaß und Narretei. Ganz wesentlich tragen zum Vergnügen auch die Kostüme von Ursula Kudrna bei, für Inez zur Baumkuchenfrisur à la Tisbe ein Biedermeierreifrock, für Ferrando wie für seine Untergebenen ein Zylinder zum Velázquez-Gewand, die Mephistofeder am Hut bleibt allein ihm vorbehalten.
Azucena trägt oben Struwwelpeter und unten Colombina, allein Luna wird kostümmäßig nicht der Lächerlichkeit preisgegeben, denn selbst Manrico schleppt sich mit einer übermäßig großen Mandoline ab, trägt hochtoupierte Frisur, mal von der Mama gestylt, mal von ihr plattgedrückt. Um Einfälle ist die Regie, sind Bühnenbildner und Kostümbildnerin nicht verlegen, einer der stimmigsten sind die mal größer mal kleiner werdenden Schatten, die die Machtverhältnisse deutlich werden lassen, aber die meisten erschweren es den Sängern, Interesse für ihre Figuren zu erwecken. Schlimm ist, dass die Choreographie (Mara Kurotschka) so tut, als sei Verdi tatsächlich der berüchtigte Umtata-Komponist gewesen, so dass es dem Orchester und dem Chor schwer gemacht wird, durch eine differenzierte Agogik wie Rubati das Gegenteil zu beweisen. So bleibt denn auch das Orchester unter Daniel Barenboim merkwürdig verhalten, zurückhaltend, wohl auch in schöner Rücksichtnahme auf die Sänger.
Als Einzige hatte Marina Prudenskaja in der Rolle der Azucena bereits an den Aufführungen im Theater an der Wien im Mai dieses Jahres teilgenommen. So bewegte sie sich trotz der grausamen Optik auch relativ unbefangen auf der Bühne, ließ sich in der vokalen Gestaltung ihrer Rolle nicht beeinträchtigen, sondern sang mit ungefährdetem, farbenreichem und zu dramatischen Aufschwüngen fähigem Mezzosopran nicht nur Angst machende „mi vendica“s, sondern auch ein wunderschönes „Nei nostri monti noi torneremo“. Ihr Rollendebüt als Leonora gab Anna Netrebko, befremdlich in weißblondem Lockenhaar, zu Ohnmachtsanfällen neigend, sichtbar um die Umsetzung der Regieanweisungen bemüht und dabei stets charmant bleibend. Ihre erste Arie musste sie als eine Art Olympia gestalten, im Miserere blieb sie bis auf ein anmutiges „Flügelschwingen“ (Text!) und Drehungen wie eine Spieluhr unbelästigt, wie überhaupt Rampenstehen kein Problem für die Regie zu sein scheint. Die Stimme der Netrebko ist sehr groß und noch dunkler geworden, trotz der hinzu gewonnenen Fähigkeit zum dramatischen Aplomb ist die zu einem feinen, tragfähigen Piano geblieben, ist die Agogik ungewöhnlich reich, der Gesang klingt beseelt nicht zuletzt durch den schönen Glockenton, den der Sopran annehmen kann.
Nicht sehr glücklich bei seinem Rollendebüt als Luna schien Plácido Domingo zu sein, obwohl er ein ganz „normales“, historisierendes Kostüm tragen durfte und von jedwedem Regiemätzchen verschont blieb. Wenn möglich, lehnte er sich gern an Wand oder Kanone, seine große Bühnenpersönlichkeit konnte er nicht ausspielen, und um die Stimme war es schlecht bestellt. Die Mittellage erschien brüchig, der Atem kurz, auf „tempesta“ ging die Gewalt über die Stimme verloren, was der Sänger, dem schöne Töne in der oberen Mittellage gelangen, durch eine Fermate auf „cor'“ zu kompensieren versuchte. Ursprünglich für den Manrico vorgesehen war Aleksandrs Antonenko, für ihn war während der Proben Gaston Rivero eingesprungen. Der Tenor verfügt über ein apartes Timbre in der Mittellage, die Stimme wurde jedoch in der Höhe eng, und die Stretta konnte nur im Falsettone beendet werden. Einen soliden Ferrando mit guter Diktion sang Adrian Sampetrean mit tragfähigem Bass. Gut machten auch Anna Lapkovskaja (Inez) und Florian Hoffmann (Ruiz) ihre Sache trotz Irrsinnsfrisuren.
Zu Recht beim Applaus absahnen konnten die Damen und das Orchester, das mit Daniel Barenboim auf der Bühne den Beifall entgegennahm, vorzüglich war der Chor unter Martin Wright. Ob Plácido Domingo mehr für die Abend- oder die Lebensleistung geehrt wurde, ist nicht feststellbar, aber für letztere wäre der Beifall wohl erheblich größer gewesen. Mit diesem Rollendebüt in dieser Produktion hat er sich keinen Gefallen getan. Mit Buhs wurde das Regieteam abgestraft.
30.11.2013 Ingrid Wanja www.deropernfreund.de