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BERLIN/ Staatsballett: TSCHAIKOWSKY – Wiederaufnahme

Berlin/ Staatsballett: „TSCHAIKOWSKY, Wiederaufnahme, 27.01.2013


Vladimir Malakhov und Nadja Saidakova, Foto Bettina Stöß

Diese Wiederaufnahme lohnt wirklich, und der kräftige Beifall am Schluss beweist, dass das Stück und seine Darbietung das Publikum tief beeindruckt haben. Vladimir Malakhov in der Titelrolle schallen Bravos entgegen, und die hat er verdient.
Denn Tanz ist, so meine ich, mehr als pure Artistik. Tänzer sollen Charaktere gestalten und Schicksale plausibel machen. Auf grands jetés (weite hohe Sprünge) quer über die gesamte Bühnenbreite, für die Malakhov früher berühmt war, kann ich in diesem Fall verzichten.
Er muss es nach zwei Knieoperationen, und so wird der Prinz von einst, noch immer topfit und beweglich, mehr und mehr zum Charakterdarsteller. Bei „Tschaikowsky“ ist solches notwendig, war der Komponist doch ein innerlich zerrissener Mensch.
Denn er war schwul, was seinerzeit (und heute wieder?) als pervers galt und geahndet wurde. Er musste seine Veranlagung geheim halten und war darüber unglücklich. Der Versuch, mit Hilfe einer Frau ein „normales“ Leben zu führen, scheiterte.
Der renommierte russische Choreograph Boris Eifmann inszeniert Tschaikowskys Leben in der Rückblende. Dabei bleibt er dem klassischen Ballett verpflichtet, weist aber deutlich den Weg zum Ausdruckstanz.
Zu Beginn sehen wir Tschaikowsky als Sterbenden, der sich, im Fieberwahn von Rachegeistern und der bösen Fee Carabosse gepeinigt, aufbäumt und aus dem Bett flüchtet. Noch einmal zieht sein Leben an ihm (und uns) vorbei, ein von Erfolg gekröntes, aber auch oft verzweifeltes.
Eifmann verdeutlicht diese innere Zerrissenheit durch ein Alter Ego, virtuos und kraftvoll getanzt von Wieslaw Dudek. Immer, wenn sich eine Frau Tschaikowsky nähert, schaltet er sich ein und zwingt ihn hinweg. Die Tanzfiguren wechseln dabei von fast rüdem Gerangel zu Zärtlichkeit. Mal stoßen sie einander heftig weg, mal klammern sie sich Hilfe suchend aneinander.
Es sind Pas de deux der besonderen Art, mitunter beinahe riskant und von beiden rasant ausgeführt. Tschaikowskys wunderbare Partitur, von der Staatskapelle Berlin unter Robert Reimer mal tragisch aufleuchtend, mal zart schmelzend musiziert, bildet den Rahmen, in dem sich die Tänzer verwirklichen können und das Staatsballett Berlin glänzen kann.

Während Malakhov zumeist den verzweifelt Leidenden gibt, der zweimal wie Christus am Kreuz zu hängen scheint, spielt Dudek, der größere von beiden, den aktiven Teil. So übernimmt dieses Alter Ego, während Tschaikowsky frustriert und teilnahmslos dasitzt. dessen geheime Wünsche und umwirbt intensiv einige Männer.
Anscheinend erfolgreich beim schwarz gelockten Prinzen (Kévin Pouzou), der dann aber eigene Wege geht. Überhaupt keine Chance hat er bei einem jungen Tänzer, dem weit mehr an seiner reizenden Partnerin als an Männern liegt. (Nicola Del Freo und Iana Balova). Für alle drei Tänzer ist es ein gelungenes Rollendebüt. Die Enttäuschung, den seelischen Zusammenbruch nach solcher Zurückweisung, zeigt Dudek eindringlich.


Beatrice Knop in Tschaikowsky, Foto Bettina Stöß

Trotz dieser überzeugenden Leistung von Malakhov und Dudek gilt meine Bewunderung den beiden Ausnahmetänzerinnen Beatrice Knop und Nadja Saidakova. Erstere in der Dreifachrolle als böse Fee Carabosse, dann als Tschaikowskys Gönnerin Baronesse von Meck und schließlich als Pique Dame, die ihn in der Spielhölle beim Kartenspiel ruiniert. Mit starkem Ausdruck und in unnachahmlicher Eleganz tanzt diese schöne schlanke, in ebenso elegante Roben gekleidete Frau jede der unterschiedlichen Partien. (Bühnenbild und Kostüme: Viacheslav Okunev)
Noch mehr Gestaltungsspielraum bietet die Rolle der Antonina Iwanowna Miljukowa, Tschaikowskys späterer Ehefrau. Die Wandlung vom unbeschwerten jungen Mädchen zur wahnsinnig Werdenden kann wohl keine so anrührend und mit solch tänzerischer Vollkommenheit verdeutlichen wie Nadja Saidakova.
Von allen Männern wird Antonina umschwärmt, auch der junge Komponist tut es, und sie umschwärmt ihn. Dabei wird sie zur treibenden Kraft, umgarnt ihn, schlingt raffiniert ihren Schleier um ihn. Wunderschön anzusehen. Da kann er nicht widerstehen.

Die beiden heiraten, Tschaikowsky wohl in der Hoffnung auf ein bürgerlich normales Leben, doch schon am Hochzeitstag erkennt er seinen Irrtum. Während Frau Saidakova hinreißend tanzend ihr Glück herzeigt, flieht er verzweifelt von dannen. Der Beginn einer Krise, die schließlich beider Leben zerstört.
Mit charmanter Intensität lässt Frau Saidakova zunächst das Verlangen der jungen Frau nach (körperlicher) Liebe spüren. Ebenso plausibel macht Malakhov das Ausweichen deutlich, das zum Zurückstoßen eskaliert. Verzweifelt verfällt sie mehr und mehr dem Wahnsinn.
Die Pas de Deux durch alle Gefühlswelten bis hin zu den Extremsituationen gehören zum Besten und Anspruchsvollsten, was dieses Ballett zu bieten hat.
Nadja Saidakova und Vladimir Malakhov schöpfen diese Möglichkeiten voll aus, erfüllen alle Gefühlsschwankungen tänzerisch mit Leben. Bis zum bitteren Ende und noch immer genau so ergreifend wie bei der Premiere vor mehr als sechs Jahren. 
Tschaikowskys Reue über das durch ihn verursachte tragische Ende seiner Frau bestimmen auch seine letzten Fieberfantasien. Träger betten den Erschöpften aufs Totenbett, doch als Komponist bleibt er lebendig. Tschaikowskys Nachruhm überdauert seine (und ihre) persönliche Tragik.
Lang andauernd ist nun auch der Beifall und steigert sich zu stehenden Ovationen.

Ursula Wiegand

 

 

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