Berlin/ Schaubühne: „DISTORTION – VERZERRUNG“ von Constanza Macras, 07.10.2013
Distortion, Foto: Thomas Aurin
Um es gleich vorweg zu sagen – ich mag den modernen Tanz, auch Hiphop und Breakdance, diese Großstadt-Varianten, auf der Straße geboren und dort von superfitten jungen Männern mit viel Mut zum Risiko vorgeführt. Der harte Boden ist ihre Matte, und ebenso hart ist mitunter das soziale Umfeld, aus dem sie stammen. Diese jungen Leute präsentieren das Heute, erzählen nicht in abgezirkelten Bewegungen die Märchen längst vergangener Zeiten. Durch hartes Training wirbeln sie sich wortwörtlich und oft mit viel Witz aus mancher Misere empor.
An diesem Abend ist die Hiphop Academy Hamburg in der Schaubühne zu Gast. Ziel der 2007 gegründeten Einrichtung ist die Talent- und Potenzialförderung junger Künstler. Das kostenlose Kursangebot richtet sich an Jugendliche zwischen 13 und 25 Jahren aus der Region Hamburg. Ein vierstufiges Ausbildungsprogramm führt die Teilnehmer bis zum Level 3. Die Besten können dann Mitglieder der Hiphop Academy werden. Dieses deutschlandweit einmalige Projekt begleitet Jugendliche diverser Nationen ins Erwachsenenleben und soll sie Disziplin und Verantwortungsbewusstsein gegenüber anderen lehren.
Distortion, Foto: Thomas Aurin
In einer Inszenierung der auch international höchst erfolgreichen Schaubühnen-Choreografin Constanza Macras zeigen sie nun ihr Können und artikulieren ihre Probleme. Frau Macras, die Argentinierin in Berlin und der Gegenwart stets nah auf den Fersen, arbeitet erstmals mit dieser Truppe. Die Live-Musiker stammen aus ihrer eigenen Kompagnie DorkyPark.
12 Performer sind es, davon eine Frau (Jennifer Gifty-Lartey). Die Aufführung startet mit einem Mann im grünen Jackett (Franklyn Kakyri), der bei seinem Solo, gewürzt mit Komik, sogleich gute Laune verbreitet. Bald füllt sich die Bühne mit lauter zuckenden, desorientierten Menschen, die den Titel des Stücks „Distortion-Verzerrung“ interpretieren.
Wieder im Normalzustand zeigen sie spannende Gruppendynamik und ihre besonderen „Pas de deux“. Sie grätschen und rennen, rollen über den Boden und übereinander, bilden Knäuel und lösen sie wieder auf. Dabei müssen sie sich aufeinander verlassen, da muss jeder Griff sitzen. Einer fällt durch sein Können besonders auf, ein Gummimensch mit breitem Bewegungsrepertoire: Felix Saalmann, amtierender deutscher Meister im Breakdance. Er erhält sogar Zwischenbefall.
Ein nachdenkenswertes Bild, wenn sie in einer Reihe, nur noch in Unterhosen, hintereinander stehen und alle, Stück für Stück, die Bewegung des Hintermanns (oder der Frau) nachvollziehen. So als stünden sie irgendwo an, vielleicht bei der Einwanderungsbehörde oder beim Arbeitsamt.
Einigen wird das Warten offenbar zu langweilig. Sie ergreifen die Initiative, scheren aus und legen eigene Soli hin. Jeder und jede in einer lebendigen, sehr persönlichen Art. Später tanzt der wohl Jüngste (Viktor Rostas) allein zu „This is the rhythm of the night, this is the rhythm of my life“ und verkörpert so das Motto der jungen Leute, von denen einige jedoch nicht mehr ganz so jung sind. Zu den weiteren gehören Benji Asare, Marco Groth, Can Gülec, Guido Höper, Alassane Jensen, Zoltan Lakatos, Daniel Marques und Patrick Ndongo. Die live-Musik oder die Geräuschkulisse liefern Kristina Lösche-Löwensen, Alassane Jensen, Benji Asare und Marc Wichmann.
Doch sie haben auch ein Anliegen. Einer – in hängenden schwarz-rot-goldenen Shorts – fragt, als Wortführer, rappend was Deutsch ist. Drei singen derweil im Dirndl und Lederhosen (Kostüme Magdalena Emmerig) einen Kitschsong übers schöne Deutschland. Dass solche Fragen diese Multi-Kulti-Truppe umtreiben, ist verständlich, doch diese Einschübe geraten zu ausführlich und haben einen Spannungsabfall zur Folge. In diesen langen Minuten verliert auch die Choreografie den bei Constanza Macras gewohnten Biss. Eigentlich können die Performer all’ diese Probleme besser in ihren Bewegungen ausdrücken. Erst zuletzt werden alle wieder mobil, die Performer und das Publikum, das sich bei allen herzlich bedankt.
Weitere Aufführung 8. und 9. Oktober.
Ursula Wiegand