Berlin/ Philharmonie: Silvesterkonzert mit Simon Rattle und Lang Lang, 29.12.13
Simon Rattle und Lang Lang. Foto: Holger Kettner
„Die Tänze werden brillant instrumentiert; es wird alles krachen,“ versicherte Antonín Dvořák seinem Verleger Fritz Simrock, der den Komponisten nach dem Erfolg der ersten Serie seiner Slawischen Tänze zu einer weiteren gedrängt hatte. Auf dessen Wunsch hin ließ Dvořák der ursprünglichen Piano-Version sogleich eine Orchesterfassung der Tänze folgen und schrieb: „Sie klingen wie der Teufel.“
Sir Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker nehmen den Komponisten beim Wort und starten das erste ihrer drei Silvesterkonzerte mit Dvořáks “Slawischem Tanz g-Moll op. 46 Nr. 8” von 1878. Sie konzentrieren sich aber nicht nur auf die Knalleffekte, sondern bringen die melodischen Teile hübsch locker und swingend. Zuletzt, beim Rumtata-Schluss dominiert wieder das Blech.
Noch mehr an Schinderassabum bietet später Dvořáks: „Slawischer Tanz B-Dur op. 72 Nr. 6” von 1886, und das wird auch realisiert. Doch zu den schmelzenden böhmischen Melodiebögen hält Rattle etwas Distanz. Dabei singen jedoch die Celli ganz wunderschön, und auch die Geiger tun mit fabelhaftem Legato ihr Bestes. Das „Allegretto grazioso“ könnte allerdings noch ein klein wenig graziöser klingen.
Und bloß keine Angst vor ein bisschen Kitsch, wünsche ich mir an den echt „süffigen“ Stellen. Zuletzt lassen es Rattle und die Seinen Dvořák gemäß erneut so richtig krachen. Das klingt wie ein Rausschmeißer. So weit sind wir noch nicht, doch schon jetzt tost der Jubel durch die rappelvolle Philharmonie.
Verglichen damit ist der nur 6-minütige „Symphonische Tanz Nr. 3“ von Paul Hindemith, komponiert 1937, eine viel feingliedrigere, zunächst auch viel ernstere Angelegenheit. Gedacht waren die insgesamt 4 Tänze für ein Ballett über das Leben des Hl. Franz von Assisi – eine recht kuriose Vorstellung. Das Projekt scheiterte, und so machte Hindemith daraus eigenständige Werke. Im vorgegebenen langsamen Tempo steigert sich die Musik aber auch hier schließlich ins Feierliche und dramatisch Effektvolle.
Doch wohl nicht wegen dieser Stücke sind alle drei Vorstellungen total ausverkauft. Den meisten Zuhörern geht es sicherlich um den Solisten Lang Lang. Der spielt das „Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 C-Dur op. 26“ von Sergej Prokofjew, entstanden 1917-21. Im Gegensatz zur dissonanten Nr. 2 kehrt der Komponist mit diesem 3. Konzert weitgehend ins Klassizistische zurück. Nach eigenen Worten wollte er eine Symphonie schreiben, „wie Haydn oder Mozart sie geschrieben haben könnten, wenn sie im 20. Jahrhundert gelebt hätten.“
Das ist ihm auf seine Art gelungen, doch die zahlreichen raffinierten Rhythmenwechsel zeigen Prokofjew dennoch als Sohn seiner Zeit und als einfallsreichen Komponisten. Mit Lang Lang hat er posthum einen großartigen Verwirklicher gefunden.
Aus dem hochbegabten chinesischen Wunderkind ist inzwischen ein gestandener, ernstzunehmender Interpret geworden, der dennoch etwas Kindlich-Schelmisches beibehalten hat. Der alle Schwierigkeiten der Partitur mit hoher Musikalität und mit solch einer schlafwandlerischen Sicherheit meistert, dass er öfter ins Publikum schauen kann. Zu Rattle und den Philharmonikern um ihn herum hält er engen Kontakt. Genau setzt er seine eigenen Akzente, gestaltet plausibel die Übergänge und arbeitet alle Tempo-, Rhythmen- und Farbwechsel – mal lyrisch, mal bravourös – klar heraus. Riesenbeifall und Bravi belohnen den sympathischen Tastenlöwen für diese sehr überzeugende Leistung.
Zuletzt dann der eigentliche Rausschmeißer – der bekannte „Säbeltanz“, die Nr. 5 aus der „Dritten Gajaneh- Suite“ von Aram Chatschaturjan, einem zunächst fanatischen Anhänger der Oktoberrevolution. Er thematisiert das Leben auf einer südarmenischen Baumwollkolchose im Jahr 1941. Hier schuftet Gajaneh, wird aber von ihrem Mann, einem Alkoholiker, fälschlich denunziert. Zuletzt wird der davongejagt, und allgemeiner Jubel bricht aus.
Chatschaturjans Musik hat die Politik überlebt, und beim superschnellen Säbeltanz müssen die Philharmoniker richtig ran. Doch im Andante, beim „Tanz der jungen Kurden“, ist Gelöstheit angesagt. Herrlich zieht das Unisono der Celli durch den großen Saal, gefolgt von einem ebenso feinen Spiel der Violinen und der flinken Bläser. Viele Philharmoniker schwingen nun leicht mit und haben ein Lächeln im Gesicht. Nach einem weiteren Adagio aus der Ersten Suite bildet das Allegro vivace aus „Lesginka“ einen wiederum knalligen Schlusspunkt.
Erneut frenetischer Applaus, und Rattle lässt sich nicht lange bitten. Als Zugabe bringt er zwei Ungarische Tänze von Johannes Brahms. Beide kommen nun ganz gelöst, ganz schwelgerisch, ganz silvesterhaft. Musik aus einer doch anderen Liga.
Doch ein insgesamt heftig beklatschter Gute-Laune-Abend. – Das Konzert am 31. Dezember wird von „arte-TV“ ab 18.55 Uhr zeitversetzt ausgestrahlt. Ursula Wiegand
Ursula Wiegand