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BERLIN/ Philharmonie: IOLANTA mit Anna Netrebko – eine Sternstunde. Konzertant

15.11.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Berlin: „IOLANTA“ mit Anna Netrebko – eine Sternstunde, 14.11.2012

 
Anna Netrebko . Foto: Dario Acosta

Da ist sie, die in Berlin heiß ersehnte Anna Netrebko, und gleich ihr erster Ton füllt die ausverkaufte Philharmonie. Sie singt die Iolanta, die blinde Königstochter, nach der diese Kurzoper von Peter I. Tschaikowsky benannt ist.

Dieses Mädchen weiß gar nichts von seiner Blindheit. Ihr Vater, König René, hat es ihr aus sorgender Liebe verheimlicht, und so ahnt sie gar nicht, dass in ihrem Leben Licht und Sonne fehlen. Nur eine unbestimmte Unruhe quält sie. „Warum kannte ich früher keine Sehnsucht“ (so deutsch übersetzt), fragt sie sich. Anna singt es berührend und ausdrucksvoll. Lyrische Zartheit und Expressivität sind sofort vereint.

Anna liebt das Stück ihres Landsmanns, hat es sich 2011 für Salzburg gewünscht und dort mit großem Erfolg vorgestellt. In der Originalsprache schmeicheln sich die Melodien eindringlich ins Ohr. Anna kann, in ihrer Muttersprache singend, noch mehr in ihre wunderbar voll und rund gewordene Stimme hineinweben.

Das ganze Geschehen beglaubigt sie mit herzergreifenden, intensiv funkelnden Passagen und strahlenden Spitzentönen ohne jede Schärfe. Wohlklang von Anfang bis Ende, doch keineswegs süßlich. Besser kann das heutzutage wohl keine singen.

Da sich alle auf den Gesang konzentrieren, fällt es nur anfangs auf, dass mit der traditionsreichen Slowenischen Nationalphilharmonie unter Emmanuel Villaume kein absolutes Spitzenorchester die Tour durch viele Länder begleitet. Im Verlauf des 90-minütigen Abends gewinnen jedoch die Instrumentalisten der Partitur immer mehr an Konturen und Süße ab.

Emmanuel Villaume trägt bei dieser konzertanten Aufführung die Sänger auf Händen, dreht sich stets zu ihnen um und unterstützt sie mit spürbarem Engagement. Einen sehr guten Eindruck macht auch der Chor. Zunächst sind nur die Damen im Einsatz, später gesellen sich die kräftigen Männerstimmen hinzu und bilden einen imponierenden Sound.

Doch was heißt hier „konzertant“. Keine der Sängerinnen und Sänger heftet den Blick ängstlich auf die Noten, und so wird die Darbietung beinahe szenisch. Anna kann auch schauspielerisch die Iolanta glaubhaft machen, schafft es übrigens auch, sich trotz der aufwändigen rosaroten Robe mit Schleppe gut zu bewegen. Nachdem sie vom Schlummer erwacht ist, schreitet sie singend von oben die Stufen hinunter bis auf die Bühne. Zuvor hatten sie ihre Amme Martha (Monika Bohinec, kräftiger Mezzo) und die beiden Freundinnen Brigitte (Theresa Plut, Sopran, und Nuška Rojko, Mezzo) im wiegenden Walzertakt in den Schlaf gesungen.

Die „Netrebko“ kehrt hier nicht die Diva heraus, sie gibt und ist das junge Mädchen, das zunächst nichts von der Liebe ahnt. Der in ihre Abgeschiedenheit eingedrungene Graf Vaudémont erweckt diese Gefühle. Mit zitternden Fingern und zunehmend verzweifelter versucht sie, ihm die gewünschte rote Rose zu geben. Doch immer erwischt sie eine weiße. Erschüttert begreift er, dass sie blind ist und macht ihr ihren Zustand klar. Und wie liebevoll nimmt Anna beim Quasi-Abschied sein Gesicht in ihre Hände.

Viele Herren im Parket beneiden in solchen Momenten sicherlich Sergey Skorokhodov in dieser Rolle, einen jungen Tenor vom Mariinsky Theater St. Petersburg. Mit Wärme, guter Phrasierung und sicheren Höhen brilliert er als Belcanto-Sänger. Das lange Duett zwischen ihm und Anna, als er ihr die Blindheit offenbart und sich beide ihrer Liebe bewusst werden, wird zum Höhenpunkt des glanzvollen Abends und mit begeistertem Zwischenbeifall belohnt.

Einer gefällt dem Publikum offenbar noch mehr: Lucas Meachem als Robert, des Grafen Freund. Mit volumigem Bariton und Humor gibt er den sinnesfreudigen Lebemann, der viel lieber die rasante Mathilde (die hier nicht auftaucht) heiraten möchte als die fromme Iolanta, die ihm schon als Kind vertraglich versprochen wurde. Sofort erntet er Applaus.

Den Tiefenrekord erreicht der schlanke Luka Debevec Mayer als Pförtner Bertram mit einem solch pechschwarzen und Furcht erregenden Bass, das sich eigentlich niemand von ihm erwischen lassen möchte. – Der Koreaner JunHo You als Almerich, Waffenträger des Königs, kann ihm mit seinem schlanken Tenor kaum Paroli bieten.

Doch einer übertrifft alle seine Kollegen: Vitalij Kowaljow als König René, Iolantas Vater. So dunkel wie der von Luka Debevec Mayer ist sein Bass nicht, doch umso klangreicher. Eine Stimme, die aller Nuancen vom Piano bis zum Forte fähige ist, ungemein sauber geführt. Als Wotan konnte er ebenfalls schon überzeugen und ist aus gutem Grund international gefragt. Auch an diesem Ausnahme-Abend bietet er Gesangskultur vom Feinsten. Eine Glanzleistung, umgehend mit Beifall belohnt.

Darstellerisch kann Vitalij Kowaljow die Sorge des Vaters um seine geliebte Tochter ebenso deutlich machen wie die anfängliche Empörung über das Ansinnen des orientalischen Wunderdoktors Ebn-Hakia. Erst müsse Iolanta wissen, dass sie blind sei und selbst die Heilung wünschen, fordert der kluge Arzt (Vassily Savenko mit noblem Bassbariton und nobler Haltung).

Als der Vater seinen bisherigen Fehler begreift und gleichzeitig die Liebe des Grafen Vaudémont erkennt, ändert er seine Haltung, bedroht zum Schein Vaudémont mit dem Tode. Um den Geliebten zu retten, wagt Iolanta – mit ergreifender Tapferkeit von Anna gesungen – die heikle Operation. Die gelingt. Die Liebe lässt das Licht leuchten, die Quintessenz des Werkes.

Zuletzt das große, triumphale Finale unter Mitwirkung aller Beteiligten. Kleine Oper – ganz groß. Eine Sternstunde. Bravos und heftiger Beifall.

Ursula Wiegand

 

 

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