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BERLIN/ Maxim Gorki-Theater: „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ von Olga Grjasnowa

19.09.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Theater

Berlin/ Maxim-Gorki-Theater: „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ von Olga Grjasnowa, 18.09.2014

Anastasia Gubareva, Foto Esra Rotthoff
Anastasia Gubarova. Foto: Esra Rotthoff

Dieses Stück war der Renner in der vorigen Saison, war ständig ausverkauft und ein grandioser Coup der Intendantin Shermin Langhoff, die Armin Petras am Maxim Gorki Theater in Berlin-Mitte abgelöst hat. Seither ist diese Traditionsbühne ein völlig anderer, quicklebendiger Spielort geworden und wurde von „Theater heute“ und von „Die Deutsche Bühne“ zum Theater des Jahres 2014 gewählt.

Auch an diesem Abend quillt der Saal fast über, und die Jugend ist deutlich in der Mehrzahl. Hier wird, zumindest in diesem Stück, ihre Sprache gesprochen und werden Themen behandelt, die junge Menschen angehen. So in dem Stück „Der Russe ist einer, der Birken liebt“.

Aus dem gleichnamigen Roman von Olga Grjasnova hat Regisseurin Yael Ronen eine Bühnenfassung destilliert, die in pausenlosen 105 Minuten flott über die Bühne geht.

Schon der Start durch  Dimitrij Schaad mit Gitarre, der das Kommende in Rapper-Manier vorstellt und dabei ans Abschalten der Handys erinnert, lässt die Zuschauer/hörer kichern oder lauthals lachen. (Musik von ihm selbst und Yaniv Fridel). Als der Türke Cem begleitet und kommentiert er das gesamte Geschehen.

Und das rollt um einen riesigen kahlen Birkenstamm ab, der die ansonsten kaum möblierte Bühne (gestaltet von Magda Willi) beherrscht, und die Schauspieler zum Drüberspringen verlockt. Anastasia Gubareva als die Hauptdarstellerin Mascha, balanciert und tanzt mitunter auf diesem Stamm oder nimmt ihn als Lagerstatt.

Allerdings siedelt die Regisseurin das Stück in Berlin an, trifft aber genau den Ton und die Probleme der Stadt mit ihren zahlreichen Zuwanderern und umgekehrt. Kurze Sätze und freche Bonmots spielen auf die aktuelle politische Lage an,  auch Herr Putin erhält einen Seitenhieb.

Überdies schlängelt sich der aktualisierte Text munter durch alle Klischees und Tabus. Denn Cem, der türkische Gitarrist und Maschas bester Freund, ist ein schwuler Moslem, und das geht eigentlich gar nicht. Andere verulken sich als die besseren Deutschen.  

Mascha wiederum ist eine Jüdin, die während der Pogrome aus der Aserbaidschanischen Hauptstadt Baku geflohen ist. Eine Schöne und Hochbegabte, die 5 Sprachen spricht, dennoch in der neuen Umgebung keinen rechten Platz findet und später über das Wort „Heimat“ nur noch lachen kann.

Offenbar ist sie von den Kindheitserlebnissen in Baku, als das Blut einer Erschossenen in ihre Schuhe schwappte, traumatisiert, was sie mit Munterkeit und Partnerwechseln überspielt. Schnell ist das Kleidchen (Kostüme: Esther Krapiwnikow) abgestreift.

Mal liebt sie den Laktose allergischen Deutschlibanese Sami (Thomas Wodianka), der wegen seiner Doktorarbeit vergeblich auf ein USA-Visum wartet. Danach ist Elias (Knut Berger) ihr Schwarm, ein Thüringer in Berlin, der gerne Fußball spielt .

Der aber springt nicht gleich auf sie an, den erobert sie sich selbst und zwingt ihn förmlich zur Umarmung. Drei Jahre leben sie zusammen, bis sich Elias beim Fußballspielen das Bein bricht. Die Liebesszene mit dem heimgekehrten Lädierten ist eine Nummer für sich, ohne dass hier Porno geboten wird.

Ja, sie lieben sich offenbar, doch er ist eifersüchtig und presst ihr außerdem den Bericht über die schlimmen Baku-Erlebnisse ab. Sie ist unterschwellig ein bisschen bösartig, sagt oft „tut mir leid“ wenn sie ihn verletzt hat.

Durch einen Schubs nach einem Zank fällt der keineswegs Genesene erneut hin, und auch die Notoperation durch den abgebrühten, in den OP-Pausen Bier trinkenden und die Zigaretten eines Toten rauchenden Chirurgen (Tim Porath) kann ihn nicht retten. Porath spiel außerdem den spießbürgerlichen Vater von Elias, der von Mascha, Sami und Cem die Rückgabe aller Sachen verlangt. Eine groteske Szene, die Besucher bei ihm auf Socken, Tuc-Kekse kauend.

 Mascha trauert intensiv um Elias, liegt unter einer Decke auf der Birke, isst nicht, wäscht sich nicht. „Du stinkst,“ sagt Cem, der sie besucht und rappt sie mit „Wasch dich, Mascha“ ins Leben zurück. Der frisch geschiedene Professor (ebenfalls Tim Porath) lädt sie zum Essen ein, sie befriedigt ihn unterm Tisch und sagt dann Tschüss. Die von vielen Begehrte ist wohl innerlich genau so abgestorben wie der blattlose Birkenstamm.

Schließlich wandert sie nach Israel aus, wohnt gratis mit entsprechenden Gegendiensten bei einer lesbischen Fotografin (Orit Nahmias). Die liebt sie nach eigenen Worten nun fast so sehr wie ihren Elias, der immer wieder vor ihren Augen erscheint. Am Strand von Haifa sitzt sie in der Sonne und hofft auf eine Rakete. Eine mit ihrem Namen, die sich vernichten und  erlösen soll.     

So ist aus dem zunächst lustigen Drunter und Drüber der Nationenklischees und dem flinken  Parcours durch allerlei Fettnäpfchen ein nachdenklich machendes Stück geworden, das unsere eigene Haltung gegenüber den anderen zur Debatte stellt. Werden die jungen Menschen mit „Migrationshintergrund“ in ihrem neuen Umfeld überhaupt heimisch oder verlieren sie ihre Wurzeln wie die Birke auf der Bühne?

Doch warum lieben die hier nicht vorhandenen Russen eigentlich die Birken? frage ich mich. Vielleicht, weil die einfach schön und ruhig dastehen, keine Ansprüche stellen und keine falschen Antworten geben.       

 Ursula Wiegand

Weitere Termine: 1. und 5. Oktober

 

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