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BERLIN/ Komische Oper: THE OPEN SQUARE – Ballett-Uraufführung

Berlin, Komische Oper: Ballett-Uraufführung: „THE OPEN SQUARE“ , 1.6.2012


Arshak Ghalumyan, Elsa Carrillo-Cabrera. Foto: Bettina Stöß

Der Titel des Stückes ist Programm. Itzik Galili, der kreative, international tätige israelische Choreograph, bricht mit diesem abendfüllenden Stück – kreiert für das Staatsballett Berlin – die klassischen Formen auf und führt die Interpreten in einen offenen Bewegungsraum.

Der Beginn bringt jedoch eine Überraschung. Der Tänzer Michael Banzhaf steht auf der Bühne der Komischen Oper und hält erstmal eine Rede. Heute tanze er seine 700. Vorstellung, seit 14 Jahren sei er hier beim Ballett. Applaus.

„Wir Tänzer arbeiten hart,“ fügt er hinzu, doch niemand interessiere es, was sie fühlen. Alle schauen lediglich auf den Choreographen. „Wir sind nur Marionetten!“ ruft er empört in den Saal.

Doch dieser Protest gehört zum Stück. Und wie das Marionettendasein ausschaut, führen uns die Tänzer sogleich in klassischer Manier leicht ironisch überdreht vor. Doch dann wird dieser Rahmen gesprengt, und das Stück auf der von Janco van Barnevald gestalteten Bühne öffnet sich munter und unerschrocken für alle Tanz-Varianten.

Das heißt aber nicht, dass nun alle machen können, was sie wollen. Die Gruppendynamik funktioniert auch bei Galili mit exakt einstudierten und koordinierten Bewegungen, wenn auch mitunter der anderen und gewagteren Art.

Einen wesentlichen Anteil an dieser Neuland-Eroberung hat zweifellos die Musik der niederländischen Gruppe Percossa, mit der Galili schon seit Jahren zusammenarbeitet. Heute besteht sie aus den vier Schlagzeugern Eric Robillard, René Spierings, Janwillem van der Poll und Niels van Hoorn.

Diese Musik, die eigens für „The Open Square“ geschaffen wurde. kommt hier nicht vom Band, wie das so oft der Fall ist. Vielmehr legt sich das famose Orchester der Komischen Oper unter Alexander Vitlin mit Spaß und Können ins Zeug. Es begleitet die Percussion-Klänge mit strahlenden Streichern und rhythmischem Klatschen und liefert so einen mal süffigen, mal explosiven Sound.

Die Kostüme von Natasja Lansen, oft Trikots für die Damen oder knappe Unterhosen bei den Herren, betonen die Körperformen, und diese werden dann sinnlich ausgeleuchtet (Licht: Yaron Abulafia).

Aus dem Dunkel schält sich nun eine Frauengestalt, Nadja Saidakova, die insektenartig ihren Körper und ihre Glieder in alle Richtungen dehnt und streckt. Außerdem gibt es im Verlauf der 90 Minuten zwei äußerst ansprechende Pas de deux, einen intimen Körper an Körper und einen ruppigen. Doch in beiden Fällen bleiben die Partner einander fremd.

Eine Kommunikation, die nach Galilis Worten (so im Programmheft zu lesen) gerade in heutiger Zeit so nötig sei, findet jedenfalls nicht statt. Auch bei den überwiegenden und zumeist sehr gelungenen Gruppenszenen beschränkt sich der menschliche Kontakt, wenn überhaupt, aufs rein Körperliche und ist in sofern wohl ganz modern.


Die Männerriege. Foto: Bettina Stöß

Dieses Ballett besteht aus 11 Bildern, doch nicht alle sind gleichermaßen geglückt. Die beiden anfänglichen Gruppenszenen mit den am Körper entlang geführten Lampen, danach mit den von der Decke baumelnden Glühbirnen zur Quasi-Lounge-Musik, wirken eher kitschig als wirklich erhellend. Vielleicht ist das auch so gemeint, den Galili, der beherzt durch alle Stile inszeniert, hat auch stets Sinn für Humor.

Gut erinnere ich mich an sein Kurzstück auf dem kippenden Sofa, mit dem er mal bei einer Gala das Publikum begeisterte. Hier persifliert er das klassische Ballett mit einer neckischen Walzernummer. Betont überschwänglich, in den gleichen Plusterröckchen und mit gleichermaßen schwingenden Armen tanzen auch die Männer den Frauenreigen mit.

Am meisten Eindruck macht eine fitte Männerriege einschließlich des „Protestlers“ Michael Banzhaf. Jetzt sind die Machos voll in ihrem Element, überspringen sich wie in der Turnstunde, fremdeln einander auch mal an und legen insgesamt ungeahnte artistische Fähigkeiten an den Tag. Welche Möglichkeiten doch in diesen fitten Tänzerleibern stecken und wie sich hier nun endlich Bahn brechen dürfen! Ein bisschen Augenzwinkern ist aber auch inkludiert. Diese Truppe erntet dann gleich einen heftigen Zwischenbefall.

Mit vollem Einsatz legen dann Frauen und Männer einen großartigen Schluss-Spurt hin. Locker sind sie nun, kraftvoll immer noch. Jetzt wagen sie mehr Individualität und gehen im Rahmen des choreographisch Vorgegebenen aus sich heraus. Ein rasanter Kehraus dieses tollen Abends und auch ein (vorüber gehender) Abschied vom bisher allzu Steifen und Vergangenheitsbehafteten.

Beschert haben dieses lange erhoffte Erlebnis Elisa Carrillo Cabrera, Nadja Saidakova, Krasina Pavlova, Maria Boumpouli, Maria Giambona, Anissa Bruley, Soraya Bruno, Natalia Munoz, Haley Schwan, Xenia Wiest, Mikhail Kaniskin, Michael Banzhaf, Arshak Ghalumyan, Vladislav Marinov, Dominic Hodal, Alexander Korn, Kévin Pouzou, Federico Spallitta, Robert Wohlert und Sven Seidelmann.

Zuletzt belohnen Riesenjubel, viele Bravos und begeistertes Getrampel die Tänzer für diese fabelhafte Performance. Auf weitere Entdeckungen müssen wir nun jedoch lange warten: Für die Saison 2012/2013 gibt es nur Wiederaufnahmen und Repertoire-Stücke, aber keine Premiere!

Es lohnt also, „The open Square“ zu stürmen. Nächste Termine: 03. 14. 19. 22. und 25. Juni. Tickets unter www.staatsballett-berlin.de

Ursula Wiegand

 

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