Berlin /Komische Oper : „Ein Sommernachtstraum“ (Premiere – 15.09.2013)
Wie beschreibt man einen Abend, der einerseits die Erwartungen in jeder Hinsicht erfüllt, einen anderseits aber auch irgendwie dämmernd zurücklässt? Die wundervolle Musik Brittens, der Umstand einer Spielzeiteröffnungspremiere an der Komischen Oper und ein insgesamt ordentlicher Gesamteindruck sind dennoch einen Versuch in jedem Fall wert.
Foto: Iko Freese/ drama-berlin
Der Sommernachtstraum von Benjamin Britten, welcher 1960 in England uraufgeführt wurde, hat ebenfalls eine enge Verbindung zum Begründer dieses Hauses. Vielen gilt Walter Felsensteins Deutung aus den sechziger Jahren als Referenz, sodass die damalige Produktion der Komischen Oper in einschlägiger (Fach-)Literatur nach wie vor Erwähnung findet. Ob die gestrige Produktion ebenfalls noch in vielen Jahren bekannt sein wird, muss die Zukunft zeigen. Dem Premierenpublikum hatte der Abend jedenfalls uneingeschränkt gefallen. Regieteam, Solisten, Chor, Dirigentin und Orchester durften sich über ungeteilten Jubel freuen. Ein kollektiver Freudenschrei der Protagonisten nach Schließen des Vorhangs deutet auf gleiche Zufriedenheit hinter der Bühne hin.
Für meinen Teil erwarte ich von der Komischen Oper allerdings mehr als die am Premierenabend gezeigte Leistung – ich erwarte mehr Musikalität, mehr Kanten, mehr Variation, mehr Mut. Gleichwohl muss die gestrige Premiere an der Komischen Oper nicht versteckt werden. Sie fügt sich – nicht nur optisch – in den Inszenierungsreigen der Oper irgendwo zwischen der Liebe zu Drei Orangen und dem Orpheus in der Unterwelt ein.
Einen „Schuldigen“ vermag man für die gewisse Beliebigkeit des Abends nicht finden. Die Inszenierung ist in sich schlüssig. Viestur Kairish (Regie) erzählt die Geschichte nachvollziehbar und handwerklich korrekt. Er verlagert das Geschehen ins Unreale, in eine Art Traumwelt. Die Gesetze der Zeit existieren nicht, alles ist verkehrt. Die Elfen, dargestellt durch den Kinderchor, sind alte, runzlige Menschen. Die beiden Liebespaare Lysander und Hermia sowie Demetrius und Helena ergrauen über den Abend aus ihrer Jugend heraus über die Blüte ihres Lebens zu Greisen, um im letzten Akt wieder zu Kindern zu werden. Es ist Winter, Herbst, Sommer und Frühling. Oberon und Titania leben in ihrer eigenen scheinbar zeitlosen Welt, während Theseus und Hippolyta als Kinder in grotesk überdimensionierten Kostümen gelangweilt dem Theatergeschehen anlässlich ihrer Hochzeit folgen. Die von Ieva Jurjāne (Bühne und Kostüm) gestaltete Bühne zeigt entsprechend das Innere eines Gehirns eines träumenden Menschen (anders vermag ich die an den Kulissen angedeuteten organischen Strukturen nicht zu deuten). Dies alles passt gut zusammen, lässt mich jedoch nicht beim Geschehen bleiben und gerade im ersten Akt mehrmals in einen geistigen Dämmerzustand verfallen. Die durchaus komischen Elemente, wie z.B. die Verwandlung Zettels in einen Esel sowie dessen anschließende Begegnung mit Titania verpfuffen über den Zustand der Geistesabwesenheit. Die im Programmheft durch den Regisseur im Rahmen eines Interviews angekündigte szenische Mehrschichtigkeit kann ich an diesem Abend nicht erkennen. Dafür fehlt es an geistigen Haken, an einer szenischen Aufforderung mitzudenken.
Auch in musikalischer Sicht blieb der Premierenabend eine nur anständige Vorstellung. Dabei empfand ich die musikalische Idee von Kristiina Poska (musikalische Leitung) gerade für den ersten Akt als durchaus vielversprechend. Sie wählte einen sehr transparenten, tupfenden Ansatz. So gab sie dem Orchester der Komischen Oper einen sehr rezitativartigen, wachen Klang. Sie ist dabei Begleiterin des Bühnengeschehens, nicht dessen Ursprung. Das hätte möglicherweise funktionieren können, wenn das Bühnengeschehen stärker, im Brechtschen Sinn die Figuren und deren Tun fokussiert hätte. Die Dämmerung des Bühnengeschehens vertrug sich jedoch mit diesem Ansatz nicht, da dadurch sowohl Spannung des Ganzen als auch das Sphärische der Musik Brittens verloren ging. Dass Kristiina Proska die Klangnuancen Brittens beherrscht, stellte sie jedoch im zweiten Teil eindrucksvoll unter Beweis. In Anlehnung an Debussy und Wagner erzeugte sie etwa in der Szene der nunmehr wieder entzauberten Liebespaare sinfonische Klangdichte ohne dabei zu Lasten der Sänger zu dominieren. Mein musikalischer Höhepunkt war jedoch der Moment des ersten Auftrittes der Theatertruppe im dritten Akt, während die Theaterprotagonisten von der Decke zu Boden schwebten. Sie formte die sechs männlichen Solisten und ihr Orchester zu einem sakralen Klanggerüst innerer und äußerer Stärke.
Die vokal ansprechende Leistung des Abends entsprang in erster Linie einer vortrefflichen Homogenität des gesamten Ensembles. Dies ist insofern von Bedeutung, als dass durch Britten keine eigentliche Hauptfigur erschaffen wurde. Jeder Charakter ist in musikalischer Hinsicht ein gleichberechtigter Teil des Ganzen. Annelie Sophie Müller als Hermia, Adela Zaharia als Helena sowie Tansel Akzeybek als Lysander und Günter Papendell als Demetrius harmonierten vokal wie darstellerisch. Auch die Stimmen der Theatertruppe um Stefan Sevenich (Zettel), Jens Larsen (Peter Squenz), Peter Renz (Flaut), Hans-Martin Nau (Schnock), Máté Gál (Schnauz) und Bernhard Hansky (Schlucker) interagierten mit der Präzision eines Spitzenchors. Wobei auch die darstellerische und tänzerische Leistung Stefan Sevenichs als verzauberter Esel besonders hervorzuheben ist. Unter den Herrscher- und Götterpaaren um Hippolyta (Christiane Oertel) und Theseus (Alexey Antonov) sowie um Oberon (David DQ Lee) und Titania (Nicole Chevalier) ergänzt durch Puck (Gundars Āboliņš) ließ vor allem Nicole Chevalier mit ihrem barocken, leidenschaftlich fragilen Sopran aufhorchen. Das Ensemble wurde zudem durch den auch szenisch sehr stark eingebunden Kinderchor unter der Leitung von Dagmar Fiebach unterstützt.
Insgesamt verbleibt daher eine gute Leistung. Die Komische Oper hat jedoch bereits aus ihrer Historie heraus den Auftrag, mutiger, grotesker, schräger aber auch politscher – ja überhaupt anregend – zu sein. Diesem Auftrag wird diese Inszenierung jedoch nicht gerecht.
Tom Karl Soller