Berlin/ Komische Oper: „DIE SOLDATEN“ von Bernd Alois Zimmermann. Ein Ereignis. 20.06.2014
Stolzius wird verprügelt. Foto: Monika Rittershaus
In diesem Jahr erfordert ein besonders bewegendes Thema unsere Aufmerksamkeit: das Gedenken an den Ausbruch des 1. Weltkriegs im Jahr 1914, der ersten Apokalypse in Europa mit 17 Millionen Toten. Bernd Alois Zimmermann, 1918 geboren, hat den 2. Weltkrieg am eigenen Leibe erfahren, musste als 20jähriger an die Front und kehrte traumatisiert heim.
Diese Erfahrungen und die Angst vor einem möglichen Atomkrieg haben ihn verfolgt. Das Resultat seiner Erlebnisse ist die Oper „Die Soldaten“. Ab 1957 hat er acht Jahre lang daran gearbeitet, wollte damit aufrütteln und warnen. Auch das Libretto schrieb er selbst, angelehnt an die gleichnamige Komödie (!) von 1775, ein Stück von Jakob Michael Reinhold Lenz, einem Zeitgenossen Goethes.
Als unspielbar lehnte die Oper Köln zunächst Zimmermanns Werk ab, zumal mehrere Dirigenten tätig sein sollten. Michael Gielen schaffte es bei der Uraufführung 1965 alleine, und das gegen den spürbaren Widerstand im Orchester.
Das schafft nun auch der gebürtige Berliner Gabriel Feltz, seit 2013/14 GMD der Stadt Dortmund und Chefdirigent der Dortmunder Philharmoniker. Wie schwer er sich anfänglich mit dieser überaus anspruchsvollen Partitur getan hat, ehe sie in Kopf, Herz und in den Armen angekommen war, räumt er im Interview freimütig ein.
Doch bald kam bei ihm die Begeisterung auf, und die vermittelt nun das Orchester der Komischen Oper Berlin – ohnehin für vieles bereit – mit staunenswertem Können. Rund 120 Frauen und Männer, in Militärkleidung auf einem hohen Metallgestell sitzend (Bühne: Rebecca Ringst), spielen, als ginge es bei der Bewältigung dieser höchst expressiven Zwölfton-Komposition ums eigene Leben.
Ums Überleben zwischen grellem Fortissimo und liedhaften Einsprengseln, u.a. mit Bezügen auf Johann Sebastian Bachs Matthäus-Passion, geht es tatsächlich. Gabriel Feltz, der die sich oft überlagernden Musikstränge gliedert und alles im Griff hat, klebt schon bald das schweißnasse Hemd am Leib.
Marie (Susan Elmark) und ihr Vater (Jens Larsen). Foto: Monika Rittershaus
„Die Soldaten“ – verlebendigt in einer Koproduktion mit dem Opernhaus Zürich – sind in der Tat überaus anstrengend, auch für die Ohren der Zuhörer. Die Inszenierung von Calixto Bieito wird mitunter, wen wundert’s, ebenfalls zur Tortur. Die Auspeitschung eines Soldaten gleich zu Beginn ist kaum zum Hinschauen.
Gewalt, Blut und Sex sind bekanntermaßen Bieitos Mixtur. Eine aufreizend tanzende Andalusierin (Beate Vollack) zwischen den geilen Soldaten fehlt auch nicht. Ab und zu wird die Szene in grelles Licht getaucht und auch das Publikum geblendet (Lichtdesign: Franck Evin). Doch hier passt das alles zum Aufschrei Zimmermanns gegen die Gewalt – vor allem auch die Gewalt gegen Frauen. Diese Aufführung ist hörens- und sehenswert.
Denn die gezeigten Verrohungen im Soldatenleben übertragen sich aufs Private. Das bekommt die hübsche Marie hautnah und bis zum bitteren Ende zu spüren. Das Video (von Sarah Derendinger) vor Beginn der Aufführung zeigt ein sehr hübsches Mädchen, fast noch ein Kind, mit großen blauen Augen und sinnlichen Lippen. Zuletzt läuft dem toten Girl das Blut aus dem Mund.
Auch die Marie auf der Bühne, intensiv verkörpert von der schlanken, attraktiven Susanne Elmark, weiß, dass sie schön ist. Kokett dreht und wendet sie sich im kurzen Röckchen (Kostüme: Ingo Krügler) vor dem Spiegel und übt ein anreizendes Lächeln. Sie becirct alle, auch ihren Vater, einen Galanteriehändler in Lille, gesungen mit kräftigem Bass von Jens Larsen.
Kaum weiß ich, was ich mehr bewundern soll – Susanne Elmarks fabelhaft strahlende Stimme, mit der sie ermüdungsfrei diese mörderische Partie gestaltet, oder ihre großartige schauspielerische Leistung. Ein Doppeltalent. Für das zärtliche Geplänkel mit Vater Wesener, der sie sich schon als „gnädige Frau“ erträumt, hat Zimmermann sanfte Töne gefunden.
Ihre Schönheit und der Drang zum Aufstieg werden Marie zum Verhängnis. Den Tuchhändler Stolzius, dem sie versprochen ist, lässt sie links liegen. Das wird hier verständlich, spielt und singt ihn doch Tom Erik Lie als einen labilen Mann, der mit weit aufgerissenen Augen den Eindruck macht, „ein Ding weg zu haben“. Vergeblich versucht seine Mutter (Christiane Oertel) ihn zu beruhigen.
Marie ist derweil schon den Verführungskünsten des (gar nicht) Edelmanns Desportes – Martin Koch – erlegen. Stolzius wird von den Kameraden mit Andeutungen gequält, und als er sich zu ihnen in eine Kneipe wagt, gnadenlos verprügelt. Ein Gewaltexzess.
Bald wird der Edelmann der schönen Marie überdrüssig, doch andere Männer reißen sich noch um sie. Zunächst der flotte Mary (Günter Papendell), dem sie wie eine Dienerin zu Füßen liegt. Während er mit einer Hand der Knienden die Haare verwuschelt, grabscht er mit der anderen Marias strenger Schwester Charlotte (Karolina Gumos) an den Busen.
Ein junger Graf (Adrian Strooper), will Marie sogar heiraten. Doch da gibt’s gleich Prügel von der Mama, der Gräfin de la Roche, herrlich übertrieben gespielt und großartig gesungen von Noëmi Nadelmann, vor Jahren ein Star des Hauses.
Die schickt ihr Muttersöhnchen auf Reisen und nimmt Marie unter ihre Fittiche. Aber wie! Sie reißt ihr das rote Kleid vom Leibe, die Kette vom Hals und die Spangen aus dem Blondhaar. Der am Boden Liegenden wirft sie ihren Pelz über und ihre Handtasche ins Gesicht. Die weibliche Variante der Gewalt.
Marie flieht, wird auf Veranlassung des Edelmanns Desportes von seinem Jäger vergewaltigt und nun endgültig zur Soldatenhure. Zuletzt sitzt sie halb verhungert am Straßenrand, hängt sich um Almosen flehend an einen stattlichen Mann. Der ist ihr Vater, doch er erkennt die Heruntergekommene nicht.
Und Stolzius? Der wird zuletzt zum Mann mit Statur und kräftiger Stimme. Der vergiftet Desportes, Maries ersten Verführer, und ebenso sich selbst. Schwester Charlotte mit Soldatenhelm gießt ihr einen Kübel Blut über den Körper. Wie Christus am Kreuz steht Marie da mit ausgestreckten Armen. Ein Opfer der Gewacht und ein Ende ohne Hoffnung.
Zimmermann selbst hat sich einige Jahre nach der umjubelten Uraufführung das Leben genommen.
In den übrigen Rollen: Weseners alte Mutter: Xenia Vyaznikova, Obrist, Graf von Spannheim: Reinhard Mayr, Hauptmann Pirzel: Hans Schöpflin, Feldprediger Eisenhardt: Joachim Goltz, Haudy: Tomohiro Takada, 1. junger Offizier: Edwin Vega, 2. junger Offizier: Alexander Kravets, 3. junger Offizier: Máté Gál, drei Hauptleute: Bogdan Taloş, Benjamin Mathis, Konrad Hofmann, ein betrunkener Offizier: Elias Reichert, Bedienter der Gräfin: Wolfram Schneider-Lastin, ein junger Fähnrich: Benjamin Mathis.
Fabelhaft der Soldatenchor mit Jonas Olejniczak, Simon Ortmeyer, Guillaume Vairet, Christopher Lane, Robert Elibay-Hartog, Thomas Hartkopf, Christian Packbier, Simon Mehlich, Christoph Wiatre, Fabian Musick, Jonas Flemmerer, Emil Roijer, Phillippe Hillebrand, Nenad Ivkovic, Fabian Jud, Olaf Taube, Elias Reichert und Marcus Elsässer.
Sie alle werden nun begeistert gefeiert, in besonderer Phonstärke Susanne Elmark und das Orchester mit Gabriel Feltz, die eigentlichen Stars dieser aufrüttelnden Aufführung.
Ursula Wiegand