Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN/ Komische Oper: DIE SCHÖNE HELENA – „„Menelausi, gute Reise und vergiss nicht, Dich schön einzuschmieren“ (Originalzitat)

 BERLIN/Komische Oper: Die schöne Helena 19.10.2014

„Menelausi, gute Reise und vergiss nicht, Dich schön einzuschmieren“ Originalzitat Helena aus der Aufführung

0a3a9c6bc23e38f22b22007d659eaf14

Copyright: Iko Freese/drama-Berlin

 150 Jahre nach der Uraufführung der Opéra bouffe in drei Akten von Jacques Offenbach wagt sich Regisseur Barrie Kosky mit seinem tapferen Ensemble zu Beginn seiner dritten Spielzeit an dieses geniale Meisterwerk und scheitert. An einem Konzept, das auf Tempo setzt und (besonders anfangs) Behebigkeit produziert, das die Marx Brothers und Cartoons (Family Guy and South Park) als Vorbild nimmt und damit jede Nuance der feinen Ironie Offenbachs und seiner Textdichter Henri Meilhac und Ludovic Halévy zu grobem Klamauk verkommen lässt. Aber vor allem nicht vermitteln kann, dass irgendeine Idee in der Inszenierung steckt und dadurch in Beliebigkeit verfällt.

Die vom Team erarbeitete „Timing Partitur“ funktioniert nur in den Tanzeinlagen. Und so werden in der gewiss surrealen Operette rund um Ehebruch und verlogene bürgerliche Moral die sechs jungen Tänzer zu den wichtigsten Trägern der grotesken Überzeichnung samt einem gehörigen Schuss an Frivolität. Hut ab, was die Herren Hunter Jaques, Paul Gerritsen, Tibor Nagy, Hakan T. Aslan, Christoph Jonas, Zoltan Fekete und Silvano Marraffa an Virtuosem, Witz und deftig Erotischem leisten. Ob in Lederhose oder Badetrikot, auf Rollern oder anders beschuht, das Ballett in der anspruchsvollen und trefflichen Choreographie von Otto Pichler ist der Star des Abends. Auch der Schlusscancan funktioniert und gelingt ohne Peinlichkeit. Daneben ist alleine die Figur des Kalchas, Großaugur des Jupiter, voll prallem Theaterleben und mit spitzer Feder gezeichnet. Mit dicken Pölstern wattiert, darf der vortreffliche Charakterdarsteller Stefan Sevenich wahrlich in allen Lagen seine komödiantische Ader spielen lassen und wird als einziger charismatischer Akteur zum am heftigsten applaudierten Mittelpunkt des Solistenensembles.

 In neun Wochen Probezeit ist diese aufwändige Produktion entstanden. Schade nur das man nicht mehr Aufmerksamkeit der Musik Offenbachs gewidmet hat. Stilistisch hat mich kein einziger der Solisten überzeugt. Vielleicht hätte ich mir vor der Aufführung nicht die grandiose Aufnahme unter René Leibowitz aus Paris mit Janine Linda, Andre‘ Dran, Jean Mollien, Roger Giraud und Jacques Linsolas anhören dürfen. Jedenfalls hat weder der Dirigent Henrik Nánási das Offenbach‘sche Feuer entzünden können noch die übrigen Solisten. Die spezielle Faszination in den Operetten Offenbachs ist auf eine Art asymmetrischer Rhythmik von Musik und Wort zurückzuführen, auf kadenzierte Repetition und einem akzelerierenden Sog ähnlich wie bei Rossini. Es ist so wie ein Trommelwirbel, der dadurch entsteht, dass man mit der einen Hand einmal schlägt, während die andere dies in derselben Zeit zweimal vollführen muss. 

 Gänzlich unverständlich ist mir als großem Bewunderer der Werke Offenbachs, dass vor allem in den beiden ersten Akten der theatralische und musikalische Fluss durch permanente Zitate andere Komponisten schwer gestört wird. So hört man zwischen den einzelnen Nummern Offenbachs wiederholt und ausgiebig Ausschnitte aus Wagners Rheingold, Walküre, Tannhäuser, Tristan, Lohengrin (Lotte Lehmann), Wesendonck-Liedern (Träume mit Kirsten Flagstad), der 5. Beethoven (Stichwort fatalité), Mahler, Gounod, aus Forza del Destino, Elektra und Zauberflöte, sei es aus dem Orchestergraben oder via Grammophon. Und damit nicht genug, serviert Cornelia Zink (als reichlich vulgäre Helena) reichlich unidiomatisch Edith Piaf. Jacques Brel (Ne me quittez pas) und Charles Aznavour (You are the one for me) werden auch noch wie in einer schlechten Travestieshow auf Krampf in die Show eingebaut.

 Die einzige Gesangsleistung von wirklichem Format bietet Tansel Akzeybek in der schwierigen Tenorrolle des Paris. Timbriert ähnlich wie Florez singt er bis hin zum Jodler alles mit perfekter Technik und durchdachter Linienführung. Als Bühnenfigur bleibt er unentschieden und darf am Ende noch einen wegen Verschwendung in Deutschland in Ungnade gefallenen Bischof parodieren. Der Menelaos von Christopher Späth, der Orest der Karolina Gumos, der Agamemnon des Dominik Köninger, Ajax I von Tom Erik Lie, Ajax II von Philipp Meierhöfer, der Achill des Uwe Schönbeck sowie das abstruse Brieftäubchen des Karlheinz Oettel liefern allesamt Charakterstudien mit interessanten Ansätzen und einzelnen schönen Momenten. Der Chor der Komischen Oper (Einstudierung David Cavelius) ist wie immer großartig und die Damen und Herren singen so, wie es sich gehört, präzise, präsent und mit großem schauspielerischem Einsatz. 

 La Belle Hélène war bei der Uraufführung am 17. Dezember 1864 ein großer Erfolg. Dennoch änderte der Komponist nach der Premiere noch zahlreiche Passagen. Im Programmheft ist zu lesen, das Offenbach gnadenlos die Schere ansetzte, weil er festgestellt hatte, dass der Zweite Akt nicht dieselbe Wirkung erzielt wie die beiden anderen. Gar keine schlechte Idee hatte da dieser geniale Offenbach. Eine halbe Stunde zu kürzen und das Werk auf die Originalmusik ohne Wagner, Beethoven & Co zu reduzieren wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung. Dann könnte man sich wie beim mit Abstand am besten gelungenen dritten Akt über gutes Tempo, richtig gesetzte Pointen und frechen Witz mehr freuen.

 Ingobert Waltenberger

 

 

Diese Seite drucken