Berlin/ Deutsches Theater: „WARTEN AUF GODOT“ von Samuel Beckett, 26.10.14
Warten ist angesagt. Eine lange Schlange steht an der Abendkasse des Deutschen Theaters und hofft auf Restkarten. Wer nicht schon vor der Premiere Tickets bestellte, hat jetzt schlechte Karten und wartet vermutlich umsonst.
Genau wie Samuel Finzi als Wladimir, Didi genannt, und Wolfram Koch als Estragon – Spitzname Dodo – vergeblich auf Godot warten. Pausenlose 2 ½ Stunden lang, doch die bleiben, obwohl wenig geschieht, auf ihre Art spannend.
Eigentlich wollte und sollte Dimiter Gotscheff dieses Stück inszenieren. Nach seinem Tod im Oktober 2013 hat es sein bulgarischer Landsmann Ivan Panteleev auf die Bühne gebracht, mit skurriler Komik, durch die jedoch stets das Schicksal schimmert. Und natürlich mit Gottscheffs Lieblingsduo, eben Finzi und Koch.
Diese beiden, aber auch Christian Grashof als Pozzo und sein Diener Andreas Döhler als Lucky – welch zynischer Name für einen Quasi-Sklaven – beweisen mit ihrer Schauspielkunst, dass Samuel Becketts Stück von 1953 weiterhin aktuell ist. Wladimir und Estragon, die beiden Herumlungerer, haben überdies in Berlin viele „Brüder“.
Die beiden Godot-Wartenden sind alt geworden, und es geht mit ihnen bergab. Finzi trägt Anzug mit Krawatte auf nackter Brust, Koch eher Lumpen. Schon die schräge Spielfläche mit dem großen Trichter (Bühne und Kostüme Mark Lammert) zeigt die Abrutschgefahr ins Aus. Realiter schaffen es jedoch alle Vier, bei ihren Rutschpartien gerade noch rechtzeitig zu stoppen, um nicht auf den Schößen der vorne sitzenden Zuschauer zu landen.
Und alle rennen in diesem Trichter, dass man/frau den Atem anhält, fallen auch mal krachend hinein, krabbeln aber stets wieder heraus. Sie kämpfen um ihr bisschen Leben, das wird hier höchst skurril verdeutlicht. Müssen sie auch. Man lässt uns ja, wie Wladimir (Finzi) beklagt, nicht mehr auf den Eiffelturm, aus Furcht, sie würden sich von dort oben hinunterstürzen.
Auf manch Gewohntes verzichtet Panteleev: Eine Stange ersetzt den Baum, von dem im Stück die Rede ist. Auch wird Lucky, der Geschundene, von seinem Herrn nicht mit einem Strick um den Hals herumgeführt. Der – Andreas Döhler – schleppt keinen Koffer voller Sand. Vielmehr faltet er pausenlos ein pinkfarbenes Tuch, um seine Brauchbarkeit zu beweisen.
Der, Lucky, hetzt besonders oft durch den Trichter und liefert, von Pozzo zum Denken aufgefordert, ein minutenlanges, verrücktes, immer krauseres Philosophie-Geschwafel, so dass er danach sofort Zwischenbeifall erhält. Eine Glanzleistung, die auf andere Art auch sein despotischer Herr (Christian Grashof) liefert.
Doch wie spielt man warten und sich die Zeit vertreiben? Die beiden, im Stück seit 50 Jahren zusammen, streiten ohne Unterlass. Wie eh und je. Estragon ist oft schlecht gelaunt oder leicht beleidigt, will abhauen für immer und kommt doch zurück. Große Umarmung, rührend, doch gleich geht der Disput erneut los. Becketts treffender Endlos-Nonsens.
Immer wieder fallen dabei die Worte „macht nichts“ oder „weiß nicht“. Alle leiden bereits mehr oder minder unter Gedächtnisschwund. Pozzo, der Ausbeuter, erkennt tags darauf weder den Ort noch die beiden Wartenden wieder. Und Wladimir mit seinen Erinnerungslücken weiß nur eines: Er hat Hunger, leckt lustvoll an einem imaginären Knochen und dann die angeblichen Fettfinger ab. Oder beißt genüsslich in eine von Wladimir erhaltene, nicht erblickbare gelbe Rübe. Diese Schauspieler brauchen keine Requisiten.
Wladimir, sein Kompagnon, scheint sich dagegen nur vom Warten zu ernähren. Warten als Wert an sich. Der erzählt nur mit den Augen manch kleinen Gesten klaglos die ganze mit Dennoch-Hoffnung verbrähmte Misere, kräht auch mal wie aufgezogen „Ein Hund kam in die Küche….“. Wie komisch und wie traurig!
Ansonsten versuchen die beiden, sich „sportlich“ die Zeit zu vertreiben, spielen gekonnt ein virtuelles Tennis-Match, liefern sich eine Partie Golf plus Ball ins Auge. Ein herrlicher Gag, Witz nahe am Abgrund. Das Publikum lacht und beklatscht diese Einlage.
Zweimal kommt ein Bote Godots – Andreas Döhler nun als Knabe – um den beiden zu sagen, der Herr käme erst am nächsten Tag. Dann aber bestimmt. Der nicht vorhandene Ast am Stangen-Baum ist für den groß gewachsenen Estragon zu niedrig, um sich mit seinem Gürtel daran aufhängen zu können. „Wir gehen, sagt nun auch Wladimir? „ Gehen wir,“ antwortet Estragon. Wladimir soll aber am nächsten Tag einen richtigen Strick zum Aufhängen mitbringen, rät er. Abgang und heftiger Beifall für die fabelhaften Vier.
Ursula Wiegand
Weitere Termine: 02. , 11. und 15. November, sämtlich ausverkauft, Restkarten an der Abendkasse.