Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN/ Deutsches Theater: DAS HIMBEERREICH – Berliner Uraufführung

17.01.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Theater

Berlin/ Deutsches Theater: „DAS HIMBEERREICH“, Berliner Uraufführung, 16.01.2013

Das Medieninteresse und die Uraufführung in Stuttgart vor fünf Tagen eilten dem Stück von Andres Veiel voraus, und so waren die Vorstellungen am Deutschen Theater Berlin schon vor der hiesigen Uraufführung bis Ende Februar ausverkauft.

Doch die hochgespannten Erwartungen werden offensichtlich nicht erfüllt. Der Schlussbeifall fällt ungemein kurz aus, das Regieteam erhält ebenfalls gedämpften Applaus und immerhin keinerlei Buhs. Für die renommierte Schauspielerriege gibt es aber kein einziges Bravo, und das erstaunt denn doch. Oder auch nicht.

Woran liegt es? Das Thema – die Machenschaften der Großbanken, die eine europaweite Finanzkrise zur Folge hatten und haben – ist doch eigentlich hochaktuell. Oder schon wieder vergessen, weil der globale Finanzhimmel nicht eingestürzt ist und im Publikum womöglich keine direkten Opfer der Milliardenzockerei sitzen?

Oder ahnen die meisten nicht, dass wir kleinen braven Steuerzahler unmerklich geschröpft werden, um „systemrelevante“ Bankhäuser, deren Mitarbeiter sich aus Gier und auf Druck von oben verzockt haben, zu retten? Oder Griechenland, Spanien, Portugal, Irland und den Euro.

Die Milliarden, die auf diese Weise in Riesenlöcher versenkt werden, fehlen an anderer Stelle, z.B. für Kita-Plätze, Schulsanierungen, für die Bildungsverbesserung, für Straßenreparaturen, Entwicklungshilfe usw. „Protestiert denn da keiner?“ ruft Ulrich Matthes (als Ex-Banker Gottfried W. Kastein) gegen Schluss des Stückes erstaunt. Nein keiner oder nur viel zu wenige, sei hinzugefügt.

Insgesamt hat Veiel eine enorme Arbeit geleistet, um uns Außenstehenden wenigstens einen kleinen Einblick in diese streng abgedichteten Risikoküchen zu ermöglichen. 25 Interviews hat er mit ausgeschiedenen (geschassten) oder noch amtierenden Bankern aus Führungsetagen an geheimen (!) Orten geführt und hat dann den 1.400 Seiten umfassenden Text auf 40 Seiten verdichtet. Er führt auch selbst Regie.

Veiel gehört jetzt also zu den Informierten oder doch nicht. Denn selbst die eiskalte Personalchefin – das allseits gefürchtete Vorstandsmitglied Dr. Brigitte Manzinger (Susanne-Marie Wrage) muss zugeben, dass auch sie nicht weiß, was die raffiniert gestrickten „Finanzprodukte“, die den Kunden angedreht werden, beinhalten. Keiner weiß ist, und es kümmert auch keinen. Es kommt nur auf die hübsche Verpackung an, sagt ein anderer Ex-Vorstand. Und darauf, auch noch am Untergang zu verdienen.

Sie alle haben im Aufschwung gierig funktioniert, haben ihrer Bank Riesengewinne eingespielt, fette Boni kassiert und schließlich gegen besseres Wissen eine Fusion abgenickt, deren enorme Risiken erkennbar waren. Niemand hatte den Mut, ein Veto einzulegen und die eigene Karriere aufs Spiel zu setzen.

Die Sache ist schief gegangen, sie haben ihren Job verloren, nun lamentieren sie. Die eisenharte Bankerin – berufstätige Mutter mit Kind – schwadroniert nicht, kommentiert cool das stete Auf und Ab. Sie wird sich wahrscheinlich aus dem Fenster stürzen oder woanders ihre Fähigkeiten beweisen.

Ein Fenster ist hier jedenfalls nicht zu sehen. Der Rückblick von sechs Menschen, noch immer gekleidet à la „business as usual“ (Kostüme: Michaela Barth) vollzieht sich in einem halbdunklen Raum mit zwei gläsernen Fahrstühlen, die oft rauf- und runterschweben. (Bühne: Julia Kaschlinski).

Viel zu tun haben die Schauspieler nicht. Der eine sitzt im Rollstuhl, die anderen gehen auf und ab. Einer hat mal einen Wutanfall, zwei dozieren. Monologe ohne Ende, zumeist an der Rampe. Wären hier nicht so gute Darsteller am Werke – wie Joachim Bißmeier als Dr.Dr.hc Walter K. von Hirschstein, Manfred Andrae als Bertram Ansberger, Sebastian Kowski als Niki Modersohn und vor allem Jürgen Huth als Hans Helmut Hinz – der Abend wäre eine Lektion in Langeweile. Huth, Fahrer eines Vorstandsmitglieds seit 37 Jahren, hat viel mitbekommen und ist fast der einzig außer Matthes, der eine gewisse Lebendigkeit ins Spiel bringt.

Die anderen sitzen und stehen zumeist an der Rampe und liefern mit soviel Körpersprache wie möglich ihre endlosen Monologe ab. Sie lassen ihren Aufstieg Revue passieren, haben Ausreden für ihr Fehlverhalten. Alle sind Opfer ihrer Gier und vielleicht des „Systems“. Mitleid kommt da nicht auf und wäre auch nicht angebracht.

Per Lautsprecher lässt Veiel ungute Kindheitserinnerungen einspielen. Das wirkt, als wolle er ihr späteres Handeln damit entschuldigen (so wie es heutzutage in Mordprozessen versucht wird). Das ist aber wirklich total daneben.

Anfangs wirken die Schilderungen der Zockerei noch recht „unterhaltsam“, und das Publikum hört gespannt zu, um die Dinge einigermaßen zu begreifen. Doch allmählich erlahmt das Interesse. Als Veiel den Bankern zuletzt noch eine Anwandlung von Reue in den Mund legt, wirkt das schon peinlich.

Sind die wirklich geläutert? Kaum zu glauben. Eher würden sie doch erneut ihrer Gier freien Lauf lassen und hemmungslos alle Vorgaben erfüllen, wenn sie wieder dürften. Die Finanzrevolution frisst ihre Kinder, aber Unbeteiligte werden gnadenlos geschädigt. Na und? Wir können es ja doch nicht ändern, resignieren wohl die meisten. Vielleicht fällt deshalb der Beifall so dünn aus.

 Ursula Wiegand

 

Diese Seite drucken