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BERLIN/ Deutsches Theater: CORIOLANUS – als Kletterpartie

18.12.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Theater

Berlin/ Deutsches Theater: Coriolanus als Kletterpartie, 17.12.2012


Kammerspiele des Deutschen Theaters. Foto Ursula Wiegand

Was macht ein noch relativ junger Regisseur wie Rafael Sanchez (37) aus dem alten Shakespeare? Gerne was möglichst Neues, doch das ist schwierig. Männerrollen mit Frauen zu besetzen, ist bereits ein alter Hut.

Hier, bei Coriolanus in den Kammerspielen des Deutschen Theaters, sind sogar sämtliche Partien mit Damen besetzt. Darüber hinaus müssen die flotten Fünf – mit Ausnahme von Judith Hofmann– mehrere Partien übernehmen, mitunter gar wie Tiere herumkriechen.

Doch erstmal wird zur Musik von Cornelius Borgolte Disco getanzt. Eine, wie sich bald herausstellt, wichtige Lockerungsübung für die Darstellerinnen und für die Zuschauer, denen außer ständigen Kletterpartien kaum etwas an Aktion geboten wird.

Simeon Meier hat die Bühne vom Boden bis zur Decke mit einer hölzernen Schubladenwand bestückt, und ständig müssen die Frauen auf den automatisch herausfahrenden Schubläden – eine knapp kalkulierte Standfläche – herumturnen. Je später der Abend, umso höher kraxeln sie empor. Sie tun das gekonnt, aber mit deutlicher Vorsicht. Manchmal kaum zum Hingucken. Gut, dass wir uns vorher alle so nett entspannt haben und zunächst kaum merken, wie sehr der Gehalt des Stückes unter der Wandakrobatik leidet.

Praktischerweise lassen sich in den genannten Schubläden auch die Perücken unterbringen, die den Rollentausch – Haare auf, Haare ab – kenntlich machen sollen. Die Klebebärtchen tragen die Interpretinnen zu meist kleidsamen Kostümen (Camilla Daemen) an Bändchen um den Hals.

Schwupp wird aus Coriolanus’ Ehefrau Virgilia, gespielt von der zarten Natalia Belitski, mal Brutus oder ein Volkstribun. Seine Mutter (Susanne Wolff) wird auf solch simple Weise zum zweiten Volkstribun. Alle Achtung, das ist als Kompliment gemeint, wie den beiden die abrupte Verwandlung in diese schmierig-raffinierten Volksvertreter gelingt.

Coriolanus, der Sieger in fast aussichtslosen Schlachten, verachtet die Volktribunen jedoch gründlich und das einfache Volk erst recht. Als Held ist er dazu prädestiniert, römischer Konsul zu werden und bewirbt sich recht widerwillig um dieses hohe Amt. Sein Freund Agrippa (Barbara Heynen, später auch den kleinen Marcius gebend) steht ihm zur Seite.

Bei seiner Wahlrede schafft es der arrogante Coriolanus jedoch nicht, dem Plebs zu schmeicheln. Ständig vergreift er sich im Ton, immer wieder klingt Verachtung aus seinen Worten. Zuletzt muss er doch noch seine Wunden zur Schau stellen, weil es das Gesetz so vorschreibt und die Menge danach giert.

Shakespeare hat – das wird selbst bei dieser Aufführung klar – einen großartigen Text geschrieben, der uns Heutige ebenso angeht. Auch wir sind das Volk, das vor jeder Wahl umgarnt wird, weitaus listiger, als es Coriolanus tut. Auch wir lassen uns oft von Volksvertretern verführen und drehen unsere Meinung wie das Mäntelchen im Wind.

Der Mann aus Old England, der eine Story von Plutarch weiter verwendete, ist also weiterhin höchst aktuell. Der braucht keine modernisierenden Mätzchen wie Perückenwechsel und Geturne. Und vor allem keine hohe Schubladenwand, die den Darstellerinnen kaum Bewegungsmöglichkeiten lässt. Coriolanus, ohnehin ein redseliges Drama, wird während der zwei pausenlosen Stunden zum Rampen- und Kletter-Sprechstück.

Die schlanke Judith Hofmann, als Coriolanus fast androgyn wirkend, macht noch das Beste aus dieser Beengung. Hoch auf den Schubladen wie auf einem Podest stehend spricht sie ihre Wahlrede facettenreich und überzeugt auch in Mimik und Gestik.

Insgesamt jedoch überzeugt die Verlagerung aller Rollen auf Frauen nicht, jedenfalls mich nicht. Und ich kann auch nicht nachvollziehen, worin Andreas Marber, der den Text neu übersetzt hat, eine zunehmende Verweiblichung bei Coriolanus erkennt, selbst wenn der ein Muttersöhnchen ist.

Das gesamte Drama, das hauptsächlich von bluttriefenden Heldentaten schwärmt, ist doch übertrieben männerdominiert. So sehr, dass der Gedanke (auch bei Herrn Marber) aufkommt, Shakespeare wolle das persiflieren. Nicht zuletzt durch das in extreme Verse gekleidete erotisch dampfende Verhältnis der beiden Hauptfeinde Coriolanus und Tullus Aufidius (gespielt von Jutta Wachowiak), die zu Partnern werden und mordend durchs Land ziehen.

Es wäre folglich viel logischer, wenn schon Unisex, dann mit männlichen Schauspielern, zumal der einzig wahre Mann ohnehin die dominante Volumnia ist, Coriolanus’ Mutter. Ihr ordnet er sich wie ein Lamm unter, durch ihren Einfluss wird der früh verwaiste Junge zum Niedermetzelnden.

Seine Wunden machen sie high. Sie treibt ihn nach mühsam gewonnener Schlacht dazu, sich zu verleugnen und um des Volkes Sympathien zu buhlen, um ihm – dem aus der Stadt Verbannten – zuletzt den Verzicht auf die Eroberung Roms abzutrotzen. Wohl wissend, dass das sein Todesurteil ist. Susanne Wolff hat hier überzeugende Momente.

Zuletzt kräftiger Beifall für die fünf Darstellerinnen. Sie haben sich dank ihres Könnens so gut wie möglich aus der Affaire gezogen.

Ursula Wiegand

Weitere Termine: 23. und 29. Dezember, 08., 15. und 24. Januar.

 

 

 

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