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BERLIN/ Deutsches Theater: AM SCHWARZEN SEE von Dea Loher. Uraufführung

27.10.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Theater

Berlin, Deutsches Theater: Uraufführung „AM SCHWARZEN SEE“, 26.10.2012


Deutsches Theater in Berlin. Foto: Ursula Wiegand

Das ist bereits ein melancholisches Novemberstück, und keine Bäume im bunten Herbstlaub rahmen diesen Schwarzen See. Der ist überhaupt nicht zu sehen, denn  Eddie (Bernd Moss) und seine Frau Cleo (Natali Seelig) haben eine Pappe vor das Fenster mit Seeblick genagelt. Sie können seinen Anblick nicht mehr ertragen.

Denn in seinen dunklen Wassern haben sich ihr Sohn Fritz und seine Freundin Nina, ein ganz junges Liebespaar, vor vier Jahren das Leben genommen. Seitdem ist Eddie schwer gestört und spielt zu Beginn des Stückes einen epileptischen Anfall detailliert aus. Er knallt den Kopf gegen die Wand und windet sich auf dem Boden. Ungerührt schaut Cleo, eine Zigarette rauchend, seinen Krämpfen zu. Sie selbst beherrscht sich.
Ein Freundespaar, Johnny (Jörg Pose) und Else (Katharina Marie Schubert), kommt zu Besuch, erstmals nach vier Jahren und diesem Unglück. Sie sind die Eltern der toten Nina und haben das gleiche Schicksal. Sie wundern sich über das fast leere Zimmer (Bühne: Harald Thor), denn Eddie verschenkt alles an Bedürftige oder die Arbeiter in seiner Brauerei. Fürs Geschäftliche hat er keinen Sinn, darum kümmert sich seine Frau. Dennoch stehen sie vor dem Ruin.
Zunächst machen die Vier etwas Small Talk. Johnny hat sich – so sagt später die zarte herzkranke Else – an die Bank verkauft. Er kommt zwar voran, schaffte es aber nicht, Filialleiter in einer großen Stadt zu werden. Sie, im flatternden Sommerkleid (Kostüme Katharina Kownatzki), hat sich in dem kleinen Ort am See wohl gefühlt. Er nicht. Kürzlich ist er zusammengeklappt. Eigentlich ziemlich normale Lebensläufe von fast normalen Leuten.

Zunächst erinnern sich alle mit aufgesetzter Munterkeit an die erste gemeinsame Kahnfahrt auf dem See, die mit dem Kentern des Schiffchens, ans Land Schwimmen und viel Alkoholkonsum recht lustig endete.
Bald aber lässt sich das gemeinsame Schicksal nicht länger unter Verschluss halten. Das „Warum“ beherrscht die Gespräche. Eher sind es halblaute Überlegungen, leise Sätze, die die Schuldgefühle und die Ohnmacht gegenüber dem Geschehen erkennen lassen.

Dea Loher, Spezialistin für solche Themen, kleidet diese Diskussionen und die unbewältigten Erfahrungen der Eltern in eine sehr schöne Sprachmelodie. Wiederholungen eigentlich schlichter Sätze bilden das Gerüst für die Fragen, die die Vier an sich selbst und an die anderen stellen.
Alle diese Erörterungen finden in diesem kahlen Zimmer statt. Andreas Kriegenburg, Dea Lohers Lieblingsregisseur, der mit dieser Uraufführung am Deutschen Theater Berlin zum dritten Mal ein Stück von ihr inszeniert, formt daraus eine körperbetonte, gestenreiche Handlung.

Auf einer Drehbühne und zu leiser Musik kehren die Vier ihr Innerstes nach außen und „bebildern“ nicht nur die Frage „Warum haben wir nichts gemerkt“. Auch ihre eigenen ungelösten Probleme und geheimen Sehnsüchte brechen sich nun Bahn. Die vier großartigen Schauspieler führen uns all’ das teils anrührend, teils drastisch vor Augen.
Den versteckten Hass aufeinander bringen sie ebenso zum Ausdruck wie das Verlangen nach Sex und Liebe in jedweder Ausprägung, auch mit den Ehepartnern der Freunde. Gut bürgerliches Leben – ein Vorhof zur Hölle.

Jeder und jede flippt jetzt mal aus, mehrmals bilden die Vier ein Knäuel, verkriechen sich unter einem Tuch, wälzen sich über den Boden und bekennen bisher Unbekanntes. So Cleo ihre Liebe zu einem anderen Mann und die Abtreibung des Ungeborenen. Sie hat das Verhältnis beendet, hat ihr Leben nicht verändert. „Das wollte ich ihm nicht zumuten!“ schreit sie und meint damit den Sohn Fritz. Eine Ausrede?

Wollte also das kindliche Liebespaar, das sich mit aneinander gebundenen Handgelenken in dem durchlöcherten Boot ertränkte, nicht so leben wie die Eltern? Diese Frage treibt alle Vier um und auch die Reue darüber, nichts von den Selbstmordabsichten bemerkt zu haben.
„Sie haben sich nicht fürs Leben entschieden,“ resümiert die harte Cleo, die den Anblick der beiden Kinderleichen nicht aus dem Gedächtnis tilgen kann. „Die Liebe ist der Tod / Der Tod ist die Liebe“, stand im Abschiedsbrief von Nina und Fritz. Ein Satz voller Rätsel.

Die beiden Elternpaare werden dennoch weiter zusammen leben. Nicht aus Überzeugung, sondern weil sie sich nicht zu einem anderen Lebensentwurf aufraffen können. Insgeheim beneiden sie die beiden jungen Menschen, die beherzt den eigenen Weg gewählt haben.
Eddie und Cleo bleiben wegen der Brauerei beieinander. Johnny, der Banker, soll sich auf ärztlichen Rat am Meer erholen. Wird er mit Frau Else, die ihm überall hin brav folgt, gleich aufbrechen, übermorgen oder überhaupt nicht? Ein Willenloser, nun ohne die „Herausforderungen“ im Job. „Schon lange wollten wir morgen weg,“ sagt er zuletzt mehrmals.

Ein trauriger, nachdenklich machender Abend, insbesondere für Menschen, die selber Kinder haben und oft um sie bangen. Dennoch ein wunderbares Stück.               

Ursula Wiegand
Weitere Termine: 27. und 31.Oktober, 06., 11. und 21. November.

 

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