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BERLIN/ Staatsoper: TANNHÄUSER (2. Vorstellung der Premierenserie)

17.04.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Berlin/ Staatsoper: „TANNHÄUSER“ mit Sasha Waltz, 16.04. 2014

Peter Seiffert, Tannhäuser, gezerrt von der Venus-Meute, Foto Bernd Uhlig
Peter Seiffert (Tannhäuser), gehetzt von der Venus-Meute. Foto: Bernd Uhlig

 Es ist die 2. Aufführung des neuen „Tannhäuser“ an der Staatsoper im Schillertheater in der Inszenierung von Sasha Waltz. Mit großer Spannung wurde die Interpretation der international hochgeschätzten Choreographin erwartet. Im Berliner Blätterwald hat es vor und nach der Premiere kräftig gerauscht.

Im Jahr 2013 hat mich ihr „Sacre du Printemps“ beeindruckt, und ihr wunderbar poetisches „Dido & Aeneas“ habe ich mir schon mehrmals angeschaut. Es ist wohl – so vermute ich – relativ einfacher, Strawinskys scharfe Rhythmen und Purcells filigrane Barockmusik tänzerisch umzusetzen als Wagners „Tannhäuser“ und dieses romantische Großwerk auch noch in Gänze zu inszenieren.  

Ihr das anzuvertrauen, zeigt die Wertschätzung, die sie genießt, zeigt auch die Courage und  den Unternehmungsgeist von Daniel Barenboim. Seine Offerte zu akzeptieren, beweist den Mut von Sasha Waltz. Doch gleich davon auszugehen, sie würde aus dem Stand eine neue, hundertprozentige Lösung für den „Tannhäuser“ finden, wäre eine zu verwegene Erwartung.

 Zur Aufführung gelangt die Dresdner Fassung unter Einbeziehung des „Bacchanals“ (1. Akt, 1. Szene) der Pariser Fassung von 1861. Diese Mischung bietet Sasha Waltz viel Raum, und es wundert nicht, dass ihr sowie den sieben Tänzerinnen und neun Tänzern die Szenen im Venusberg am besten gelingen.

Dass mit dieser Bebilderung schon während der langen Ouvertüre begonnen wird, ist eine gute Idee, und Daniel Barenboim nutzt sie. Er hat zwar das Treiben im Rücken, arbeitet jedoch zusammen mit der Staatskapelle Berlin das Grell-Geile des Bacchanals stärker als sonst heraus. Umso berührender die ruhigen, volltönenden Passagen, die bereits den Pilgerchor anklingen lassen.     

Die Obsessionen im Venusberg zelebrieren schöne Frauen und fitte Männer, alle nur in fleischfarbenen Slips, die komplette Nacktheit vortäuschen sollen. Aus einem blauen Riesenauge rutschen sie nach und nach in einen nach vorne geneigten Trichter, umschlingen einander, reißen sich los, hangeln auch mal die gerundeten Wände empor (Bühnenbild: Pia Maier-Schriever und Sasha Waltz).

Porno ist das nicht und wird unfreiwillig komisch, wenn ein Schwergewicht wie Peter Seiffert ebenfalls von oben nach unten (mit freundlicher Tänzer-Unterstützung) rutschen muss. 

Das reine Zuckerschlecken, so möchte ich ein bisschen spötteln, ist das Leben im Venusberg halt nicht, und immer Sahnetorte schmeckt auf Dauer fad.

Neu war diese Erkenntnis noch nie, und so will auch Wagners Tannhäuser aus Glanz und Glamour zurück ins einfache Leben. Da mag ihn die schöne Marina Prudenskaya als Venus noch so sehr umgarnen. Welch ein farbiger volumenreicher Mezzo in dieser schlanken Frau steckt! Und wie sie ihre weiblichen Waffen königinnengleich (!) einsetzt, ist eine starke, zuletzt heftig applaudierte Leistung. 

Ann Petersen, Elisabeth, Peter Mattei, Wolfram, Foto Bernd Uhlig
Ann Petersen (Elisabeth) und Peter Mattei (Wolfram). Foto: Bernd Uhlig

Gegenüber dieser Venus wirkt Elisabeth, die Tochter des Landgrafen, trotz ihres feinen langen Kleides (Kostüme: Bernd Skodzig) wie die Unschuld vom Lande, was sie ja auch ist. Die hübsche blonde Dänin Ann Petersen passt vom Typ her – was nicht abschätzig gemeint ist – in diese Rolle und macht den Zwiespalt zwischen dem anerzogenen „Reinheitsgebot“ und der erwachenden Sehnsucht nach lustvoller Liebe darstellerisch gut deutlich.

Ihr erster Einsatz  (immer ein Sprung ins kalte Wasser) – das „Dich, teure Halle“ – klingt noch  recht schrill. Doch bald kommt ihr klarer Sopran angenehm in Fluss und bringt auch zarte, gefühlsbetonte Piani zustande. Ihr landgräflicher Vater – René Pape – setzt seinen noblen Bass ein, bleibt würdevoll statisch und hält Abstand vom Tanzgeschehen.

Ob er das Tanzen als überflüssig oder als Konzentration störend empfindet, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass manche Szenen dadurch reichlich unruhig geraten. Wenn beispielsweise die Tänzerinnen als Büßende beten, das jedoch mit rhythmisch flatternden Händen tun, wirkt das übertrieben.  

Auch die Tänzer, die – wohl als Jagdgesellschaft -Tannhäuser und seine Sängerkollegen beim plötzlichen Wiedersehen umspringen, tragen nichts zur inhaltlichen Erläuterung des Geschehens bei. Die wackeren Minnesänger – Peter Mattei (Wolfram), Peter Sonn (Walther), Tobias Schabel (Biterolf) und Jürgen Sacher (Heinrich) – lassen sich ohnehin nicht ablenken und bieten hohe Sangeskunst.

Peter Seiffert, ohnehin mit allen Bühnenwassern gewaschen, macht eh sein Ding und ist nach leicht rauem Beginn bestens bei Stimme. Mal kraftvoll, mal mit Schmelz singt er seine wer weiß wievielte Tannhäuser-Partie, färbt manche Worte ihren Sinn betonend ein.

Mit Mienenspiel und Gesten tut er seine Gefühle deutlich kund, ohne in Routine zu verfallen. Mehr und mehr steigert er sich in seine Partie hinein, zunächst beim Sängerkrieg auf der Wartburg und dem anschließenden Eklat, später, sonderbar bebrillt, bei der Rom-Erzählung. Zusammen mit dem sangesmächtigen Chor, einstudiert von David Wright, gelingen hier allen gemeinsam  Gänsehaut-Szenen. Hier stimmt auch die Regie!

Überzeugend gelingt Sasha Waltz auch das Zusammentreffen von Elisabeth und Wolfram nach Tannhäusers Aufbruch nach Rom. Elisabeth in schlichtem Mantel, im Morgennebel Gnade bei Gott für den sündigen Geliebten erflehend.

Wolfram, der Zurückhaltende, der sie so selbstlos liebt, scheint auf sie zu warten und folgt sorgenvoll der kraftlos Gewordenen. Und nicht erst beim Lied an den holden Abendstern blüht der volle, warme Bariton des Schweden herrlich auf. Während der gesamten Aufführung beeindruckt er durch sein klangvolles und wortverständliches Singen. Eigentlich müsste Mattei den Wettbewerb auf der Wartburg gewonnen haben. Und schließlich ist er es, der nach Elisabeths Opfertod ihr Vermächtnis erfüllt und mit seinem kraftvollen „Elisabeth, Elisabeth“ den verzweifelten Freund in letzter Minute der Venus entreißt. Eine packende Schluss-Szene.

Brausender, lang anhaltender Beifall nun für alle Beteiligen – für Barenboim und die topfitte  Staatskapelle Berlin, für die Tanz-Compagnie sowie die Sängerinnen und Sänger einschließlich Sónia Grané als junger Hirte. Bei Peter Matteis Verbeugung nimmt der Jubel noch zu. Er ist tatsächlich der Gewinner, selbst wenn seine Bühnenpräsenz die von Peter Seiffert nicht erreicht. .

Wie geht es weiter? Die Tannhäuser-Vorstellungen am 20. und 27. April sind schon lange ausverkauft, „Dido & Aeneas“ stehen im Mai erneut auf dem Spielplan der Staatsoper. Ob die Herren Flimm und Barenboim weitere Inszenierungen mit Sasha Waltz planen, werden wir am 28. April erfahren. Doch Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft. Die Deutsche Oper hat der Choreographin für die nächste Spielzeit „Romeo und Juliette“ von Berlioz anvertraut. Gut für sie, gut für Berlin.   

Ursula Wiegand  

 

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