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BERGAMO: MARIA DE RUDENZ von Gaetano Donizetti

01.10.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Maria de Rudenz in Bergamo

von Alfred Gänsthaler

Ganze 175 Jahre hat es nach der Uraufführung in Venedig gedauert, bis Maria de Rudenz endlich auch in Donizettis Geburts- und Sterbestadt zur Aufführung kam. Ein besonderes Ereignis, welches diesmal besonders viele Donizettifreunde ins schöne Bergamo reisen ließ.

 Und sie hatten großes Glück, dass die Oper überhaupt gespielt wurde, standen die beiden Aufführungen doch an der Kippe zur Absage. Der Tenor Ivan Magri, als Enrico vorgesehen, musste aufgrund erheblicher gesundheitlicher Probleme die Generalprobe vorzeitig abbrechen. Ersatz hätte es keinen gegeben. Der in Catania geborene Sänger konnte dann aber doch beide Aufführungen singen, hatte allerdings so große Probleme mit den Beinen, dass er seine Rolle in beiden Aufführungen durchgehend im Rollstuhl sang. Etwas ungewöhnlich zwar, aber glücklicherweise waren seine stimmlichen Qualitäten dadurch keineswegs beeinträchtigt. Sein hell timbrierter Tenor erfüllte bis zum hohen C alle Anforderungen dieser schwierigen, dramatischen Rolle. Ausgezeichnete Darbietungen konnte man auch von Chor und Orchester erleben. Musikalisch ist Maria de Rudenz von höchster Qualität, und unter der animierten Leitung des jungen Dirigenten Sebastiano Rolli spielte das Orchester des Bergamo Musica Festivals Donizettis tragisches Schauerstück ganz hervorragend. Die wichtigsten Momente der Partitur wurden überaus dramatisch wiedergegeben, wofür Rolli viel Beifall erhielt. Auch die emphatischen Chöre dieser Oper wurden exakt und sehr gefühlvoll interpretiert (Leitung: Fabio Tartari).

 Als Enrico war kurzfristig Dario Solari eingesprungen. Der junge Sänger aus Uruguay hatte im Vorjahr in Bergamo die Titelrolle in Belisario mit großem Erfolg gesungen. Mit seinem angenehmen, warmen Bariton war er vielleicht nicht die Idealbesetzung für den „Bösewicht“ Corrado. Trotz großer Bühnenpräsenz litt seine Interpretation jedoch an der ihm zugedachten Darstellung. Musste er doch die meiste Zeit über als seelisch Verstörter seine Rolle singen. Für Regisseur Francesco Bellotto, er ist auch Direttore artistico des Teatro Donizetti, ist Corrado bereits zu Beginn der Oper von Gewissensbissen so geplagt, das er seine innere Balance verloren hat. Immerhin hatte er Maria in einer römischen Katakombe dem Hungertode überlassen und leidet jetzt darunter in einer Art verzerrter Rückbesinnung. Ein Denkansatz, der nicht unbedingt falsch sein muss und der durch Projektionen sichtbar werden sollte. Leider waren diese aber von derart schlechter Qualität, dass sich dieser Denkansatz dem Publikum nur schwer erschloss. Eine Personenregie sollte aber ohne Gebrauchsanweisung zu verstehen sein. Im weiteren Verlauf der Handlung erscheint dann die Figur des Corrado zuweilen als völlig gefestigt (bei der von Maria verhinderten Hochzeit im 1. Akt), dann wieder im Pyjama inmitten der Edelleute (Anfang 3. Akt). Überaus dramatisch gesungen, aber darstellerisch ungewöhnlich war das großartige Duett von Corrado und Enrico vor dem Duell im 3. Akt (welches übrigens entgegen Cammaranos Vorgaben auf der Bühne stattfindet, nicht dahinter). Beide singen davon, das Schwert zu ziehen, dabei halten die Kontrahenten Pistolen in der Hand. Corrado legt seinen erschossenen Widersacher zu Boden und wirft den Rollstuhl um.

 Die Titelrolle war mit der in Pisa geborenen Maria Billeri besetzt. Sie war im Vorjahr bei Belisario als Antonina vorgesehen, hatte die Rolle aber kurzfristig zurückgelegt und musste ihre offene Verpflichtung heuer nachholen. Ihre Maria war geprägt durch eine engagiert kraftvolle Deklamation, sie glänzte auch in den lyrischen Teilen. Empfindsame Sequenzen wechselten aber mit allzu aggressiven, schrill ausgeführten Trillern, wovon in dieser Oper zahlreiche verlangt werden. Wunderbar gelang ihr vor allem in der zweiten Aufführung die von Donizetti so großartig komponierte Schlussarie, verhalten, aber emotional stark geprägt. Maria beschwört darin nochmals ihre große Liebe zu Corrado, während sie die Verbände von ihrer Wunde reißt und langsam verblutet. Ergreifend ihre letzten Worte, an Corrado gerichtet: „ti perdono, t’amo ancor“ – „Ich verzeihe dir, ich liebe dich noch immer“. Hier gelang der Personenregie eine sehr empfindsame Schlussszene. Corrado führt während dieser Arie mit abwesendem Gesichtsausdruck die Hände der tot auf der Bühne liegenden Matilde und Enrico zusammen. Dann bleibt er zunächst verloren hinter Maria stehen, um sie dann kurz in die Arme zu nehmen. Schlussendlich legt er Maria zu den beiden anderen Toten und bleibt verzweifelt zurück.

 Durchaus rollendeckend der Bass Gabriele Sagona als Rambaldo. Bei dem „Stimmchen“ von Gilda Fiume als Matilde war man dankbar über ihren doch recht kleinen Part. Wenn man bedenkt, dass die Sänger ihre schwierigen Rollen für nur zwei Aufführungen einstudieren mussten und diese dann voraussichtlich nie wieder singen werden, (was der Autor sehr bedauert), dann kann man mit den Leistungen der Protagonisten tatsächlich sehr zufrieden sein.

 Tatsache ist, dass Maria de Rudenz in der Oper keine Nonne ist. Wohl war sie in der Vorlage, dem Theaterstück La nonne sanglante, und auch in Cammaranos erstem Entwurf für Donizettis Oper eine Nonne. Donizetti hatte jedoch diesen Entwurf damals sofort vehement abgelehnt. Und in Cammaranos gemilderter Version, welche dann für Venedig zur Oper wurde, da ist Maria eindeutig keine Ordensfrau. In Bergamo agierte Maria de Rudenz jedoch – alle drei Akte lang – im Nonnengewand, mit einem Kreuz an der Seite! Bellotto griff anstelle von Cammaranos Vorgaben auf die der Oper zugrunde liegende Theaterfassung zurück Warum?

  Unbenannt
Dario Solari als Corrado, am rechten Bühnenrand Ivan Magri als Enrico

 Im sehr statischen Bühnenbild von Angelo Sala, da suchten wir Cammaranos Vorgaben für sein Stück vergeblich, von Aarau oder einer Halle im Schloss keine Spur. Ein Bett, mehrere freistehende Treppen, die an die Zeichnungen des niederländischen Grafikers Escher erinnern. Am oberen Ende der Treppen eine kleine Plattform, dahinter ein paar Wände, auf denen zuweilen die erwähnten Projektionen zu sehen sind. Auf die Rückwand der Bühne wird ebenfalls sparsam projiziert, und hier erfüllt sich wenigstens eine der Vorgaben des Textdichters. Diese sieht für das Bühnenbild des dritten Aktes u.a. vor: „Der Mond scheint.“ Und tatsächlich konnten wir im Hintergrund des genannten Aktes auf der Bühnenrückwand einen Mond erkennen.

Die Aufnahme der Oper aus dem Jahr 1980 aus Venedig im Ohr, oft und gerne gehört, ließ mich viele Jahre auf eine Aufführung von Maria di Rudenz hoffen. Endlich war es soweit – ich konnte die Oper auf der Bühne erleben. Und es war insgesamt eine ansprechende, teilweise packende Wiedergabe. Die Meinungen anderer Besucher schwankten zwischen freudiger Begeisterung und Ablehnung.

 Für das Donizetti-Festival 2014 kündigt Direktor Bellotto eine – wie er es nannte – „besondere Fassung“ von Lucia di Lammermoor und Aufführungen von Donizettis Azione tragico-sacra Il dulivio universale an.

 Besuchte Aufführungen: 20. und 22. September 2013

 

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