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BASEL: THE INDIAN QUEEN von Henry Purcell – „Kopfüber ins Chaos“

02.05.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

Basel: Purcell: „The Indian Queen“, Premiere  30.4. 2014. Kopfüber ins Chaos

Die Produktion, die in leicht anderer Form schon an den Schwetzinger Festspielen aufgeführt worden war, soll entwirren. Ein guter Plan, zumal die Oper von Purcell auf einem Stück von John Dryden und Sir Robert Howard basiert, das in seiner Handlung höchst inkonsistent und konfus ist. Purcells höchst komplizierte Semi-Opera um Liebe und Macht im alten Mexiko zur Zeit Montezumas vor der spanischen Eroberung ist da nur unwesentlich stringenter. Höchste Zeit also, das Stück zu modernisieren und gleich etwas besser zu strukturieren, und das macht Joachim Schloemer radikal: In Videosequenzen (ohne geht es offenbar in der Oper nicht mehr) erzählt eine amerikanische Touristin auf einer Polizeistation eine haarsträubende Story: Wie sie mit einem Bekannten und einem Führer nachts auf Dschungelwanderung ging, in ein Loch und damit in eine Gegenwelt im alten Mexiko fiel, deren Bewohner aber denjenigen in ihrer Welt zum Verwechseln ähnlich schauen. Mit fortschreitender Handlung – die eigentliche Oper läuft also als Rückblende der Videostory – identifiziert sich die Touristin immer mehr mit Orazia, die Acacis, den Sohn der Feindin ihres Vaters liebt. Gefangengenommen wird Orazia schliesslich vom Hohepriester geopfert, worauf Acacis seine Mutter und sich selbst tötet. Als die Touristin den Ritualmord miterleben muss, schafft sie es in ihrer Panik, aus der Höhle zu fliehen. Was mit ihren beiden Begleitern geschehen ist, kann sie den Polizisten allerdings auch nicht erklären.

 Eine filmreife Story also und ein noch spektakuläreres Bühnenbild (Jens Kilian): An der Decke klafft das Riesenloch, durch das die Touristin gefallen ist, der Raum besteht aus einem umgekehrten Barock-Wohnzimmer mit einem aus dem Boden ragenden Kronleuchter und an der Decke hängendem Tisch. Der Oscar geht jedoch an die Bühnentechnik: Denn alle altmexikanischen Protagonisten haben Alter Egos in der heutigen Parallelwelt, und entsprechend gekleidete Artisten des Aktionstheaters PAN.OPTIKUM laufen – mit Haken an Schienen befestigt – hängend kopfüber über die Decke während die Akteure unten handeln. Gags wie Flaschen, die man kopfüber auf einen Tisch an der Decke stellt, oder Gegenstände, die mal an der Decke hängen bleiben, mal in Montezumas Welt herabfallen inklusive. Diesem Koordinationsmarathon gebührt definitiv eine Auszeichnung.

 Allerdings verliert sich die Inszenierung etwas zu sehr in Showeffekten (wie von einer Welt in die andere flatternden Papier-Botschaften), um die Geschichte wirklich immer nachvollziehbar zu erzählen. Warum das alte Mexiko ausgerechnet wie das Wohnzimmer in einem Barockschloss aussehen muss, ist ebenso unklar wie die Kostümwahl (Marie-Thérèse Jossen): Die Königin als Lederhosenmozart, der Hohepriester als Schamane im Bärenfell, Orazia mit Jeans und T-Shirt als Ebenbild der amerikanischen Touristin, Acacis als Lederrocker. Die Anlehnungen an Purcells Zeit sind zwar offensichtlich, aber in einer Inszenierung zwischen Moderne und Altamerika völlig fehl am Platz. Da sind die Pflanzenmenschen (sollen das Purcells Luftgeister sein?) in ihren lächerlichen grünen Ganzkörperkondomen geradezu passend gekleidet.

 Glücklicherweise bleibt uns ja die Musik, obwohl das Stück für Purcell typisch nur als Semi-Oper, also also Tanz-/Sprech-/Singspektakel konzipiert wurde. David Cowan hat zu Beginn noch Schwierigkeiten in den Tempoabstimmungen, hat das Barockorchester La Cetra aber gut im Griff. Der Chor muss sich unbequem um die Musiker im Orchestergraben herumdrücken, hält sich aber stimmlich angenehm zurück (Leitung: Henryk Polus). Kim-Lillian Strebel brilliert als Orazia mit junger, klarer Stimme und ausgezeichneter Diktion. Anders J. Dahlin als Acacis bleibt aber sowohl an Stimme wie an Schauspielkönnen eher blass, und auch Markus Nykänen als Sonnengott hat zwar seine hohen Plateauschuhe nicht verschuldet, überzeugt aber auch stimmlich nicht. Besser macht es da Marc Labonnette als Hohepriester (und als Liebhaber der Königin wohl auch den verlorengegangenen General Traxalla ersetzend), der zwar die Töne manchmal verschleift, aber immerhin einen wirklich schönen tiefen Bariton vorweisen kann. Die Entdeckung des Abends ist aber Mireille Lebel als Zempoalla: Die junge Kanadierin verkörpert die stolze Königin – und Mutter Acacias – trotz ihrer Jugend absolut überzeugend als herrsch-/sex- und rachsüchtige Femme Fatale, ihr schöner und überraschend dramatischer Koloratursopran berührt. Ihre Arie I attempt from Love’s sickness to fly in vain ist definitiv der Höhepunkt des Abends.

 Mit Purcell hat das Ganze allerdings nicht mehr viel zu tun, sogar die Hauptperson (und Grund für den Hass/Eifersucht der Königin auf Orazia) von Montezuma fehlt völlig. Dementsprechend gibt es auch kein Happy End. Was von diesem Abend im Gedächtnis bleibt, ist die wundervolle Musik, einige starke Bilder (wie die brutale Ertränkungsszene im ins Loch gefallenen Regenwasser) und … Chaos.

 Mireille Lebel, Marc Labonnette

 

 

 

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