BASEL: JOHANNA VON ORLÉANS nach F. Schiller. Theater Basel, Premiere, 18.10.2013
Schiller als Kollateralschaden
Florence Ruckstuhl, Cathrin Störmer, ©Simon Hallström
Ein älterer Herr meinte nach der Vorstellung, dass er wohl mal wieder die Klassiker lesen müsse. Aber schlechtes Gewissen ist hier fehl am Platz: Mit Schiller hatte das wenig zu tun. Gerade mal ein paar Sätze entstammen dem Original, der Rest aus der Feder von Patrick Gusset. Und der liess sich etwas einfallen: Von einem bewegenden Monolog von Johannas Schwert, das nur Wärme verspürt, wenn es in Fleisch eindringt, bis zum schreiend komischen „Wo bist du“-Rap ihrer Schafe ist da alles vorhanden.
Das Stück wird mehrheitlich in retrospektiven Szenen erzählt, mit recht eigenmächtigen Änderungen. Diese sind mitunter aber gar nicht so übel: Dass die Stimme (Cathrin Störmer), welche die Jungfrau antreibt, plötzlich aus dem Off auf die Bühne tritt und zu deren Inquisitorin wird (und auch so unangenehme Fragen wie „Stehst du auf Frauen?“ stellt), wirkt – trotz radikalem Seitenwechsel – erstaunlich stimmig.
Die Regisseure Béatrice Goetz und Patrick Gusset versuchen aus dem Stoff herauszuholen, was heute noch gilt. „Lasst uns von dem erzählen, was war und was wieder sein wird.“ Revolution, Einzelne, die das Schicksal der Welt verändern, Glaube, der Berge versetzt: In der Zeit des arabischen Frühlings durchaus aktuell. Die Leichen der Gefallenen als „Kollateralschäden“ anklagend vor Johanna treten zu lassen – ein Geniestreich, den man bei Gelegenheit für gewisse syrische Machthaber wiederholen sollte…
Dabei schiesst das Regieduo aber auch oft über das Ziel hinaus: Den damals neunjährigen englischen König Henry VI. als verwöhntes Kind auf der Bühne mit „hat meine Mama gesagt“ herumstampfen zu lassen, ist – trotz der komischen Glanzleistung von Marin Blülle – weder historisch noch sonst haltbar. Der running Gag der „fucking Engelländer“ ist auch bald ausgelutscht, und dass der schwarze Ritter als personifizierter Zweifel aus einem Kühlschrank kriechen muss – naja. Auch ein von der Decke baumelnder toter Hirsch als Symbol für Wald regt in manchem Tierfreund ein eher ungutes Gefühl.
Viel wichtiger wäre es da gewesen, dem mitunter sogar ausgezeichneten Text gute Stimmen zu geben. Cathrin Störmer als Stimme/Inquisitorin ist offensichtlich die Einzige auf der Bühne, deren Stimme eine professionelle Theaterschule durchlaufen hat. Florence Ruckstuhl als Johanna kann immerhin noch mit Bühnenpräsenz punkten. Die anderen Protagonisten nuscheln häufig weg vom Publikum an eine Wand oder gehen aus anderen Gründen unter. Völlig unnötige Langweile verbreiten auch die akustisch völlig unverständlichen und darum ellenlang scheinenden französischen Monologe der Königsgeliebten Agnes Sorel alias Vanessa Ries. Das hätte man sich angesichts des offensichtlich perfekten Deutsch des restlichen französischen Hofstaates klar sparen können.
Die goldglänzenden Kostüme (Bernhard Duss) erinnern zwar ein wenig an billige Science-Fiction-Filme, machen aber durchaus den Anschein von Rüstungen. Die Bühnendeko ist angenehm spartanisch, da eine Mauer, dort ein bemalbarer Vorhang. Die Leere der Bühne wird gefüllt mit akrobatischen Tanzeinlagen, mit epileptischen Anfällen und der im heutigen Theater schon unvermeidlichen Kamera, deren Ergüsse auf Bildschirmen um die Wette flackern.
Die Show ist klar auf das junge Publikum gerichtet. Doch was kann ein junger Mensch aus dieser Aufführung mitnehmen? Die eigentliche Story ist bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, wirkt, als hätte man einen Text in kleine Stückchen geschnippelt und drei Viertel davon weggeworfen. Die Truppe Junges Schauspiel des Theater Basel hat scheinbar mit verschiedenen Text-, Gesangs-, und Tanzstückchen herumexperimentiert und ist dann irgendwie wieder bei Schiller gelandet. Oder wenigstens nur knapp daneben. Klar, wenn man sich mit dem Stoff monatelang beschäftigt, machen die einzelnen Bausteinchen durchaus Sinn. Aber wenn nicht?
Fazit: Wer Schiller liebt, wird schwere Zeiten durchleben. Aber wer mal Schafe rappen sehen möchte, ist hier genau richtig.
Alice Matheson