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BASEL: FRANKENSTEIN nach dem Roman von Mary Shelley. Des Monsters Menschlichkeit

20.09.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Theater

Theater Basel: „Frankenstein“ Theaterstück nach dem Roman von Mary Shelley – Pr. 19.9.2014

 Des Monsters Menschlichkeit

Frankenstein
Frankenstein (David Berger) und seine Schöpfung ( Foto: Judith Schlosser)

 Nicht umsonst trägt die Theaterfassung von Jan Dvorák und Philipp Stölzl dieses berühmten Romans den Untertitel „The Demon of Switzerland“, entstand er doch am Genfer See, und Genf ist auch einer der Hauptschauplätze des Romans.

 Die damals erst 19-jährige Mary Shelley (damals noch Mary Wollstonecraft Godwin) schrieb diesen Roman dem von heftigen Gewittern heimgesuchten Sommer 1816 in der Villa Diodati in der Nähe des Genfersees. Man hauste in illustrer Runde und erzählte sich gegenseitig Schauergeschichten, die man niederzuschreiben beabsichtigte. Den Rauschmitteln ist vermutlich zu verdanken, dass trotz der Anwesenheit zweier literarischer Genies – Lord Byron und Marys zukünftiger Ehemann Percy Bysshe Shelley – nur das junge Mädchen und Lord Byrons Leibarzt John Polidori, der durch seine damals verfasste Kurzgeschichte „Der Vampyr“ als Begründer der Vampirromane gilt, tatsächlich etwas zu Papier gebracht haben.

 Während der Roman die Erinnerungen von Dr. Viktor Frankenstein wiedergibt, inszeniert Philipp Stölzl das Stück mehrheitlich aus der Sicht der Kreatur. So liegt sie zu Beginn am Boden und erinnert sich der Zeit, als sie gerade entstanden war: „Das Licht tat mir weh.“ „Ich fror“. „Ich wusste nichts.“ Die Zuschauer sitzen an drei Seiten der wie ein Raubtierkäfig abgeschotteten Bühne(Heike Vollmer, Philipp Stölzl), geschützt von den Anfällen des Monsters.

 Von Anfang an nimmt den Zuschauer die Stimme des Monsters gefangen, wie sie schnarrt, schmeichelt, jault, lockt, klagt, verzweifelt, wütet. Cathrin Strömer holt aus dem Monster an Emotionen heraus, was geht, an sie geht verdientermassen der Hauptapplaus des Abends. Rührend insbesondere, wie es die menschliche Sprache durch Wiederholung und Neuformulierung lernt. Der logistischen Hochleistung der Puppenspieler (allen voran Christian Pfütze) ist es zu verdanken, dass das riesige, aus Hautfetzen, Rüstungsteilen und Vogelfüssen zusammengestückelte Ungeheuer auch mal leichtfüssig Ball spielen kann und sich dabei nicht mehr einkriegt vor Lachen.

 Anders als zum Beispiel in den Filmen mit Boris Karloff schlägt sich der Zuschauer schnell auf die Seite des Monsters. Denn nicht das Ungetüm ist grausam, unmenschlich sind bloss die Menschen: Das Monster sucht deren Nähe – die Dorfbewohner vertreiben es. Die Opfer des Monsters wie Viktors Bruder und Braut (und in zweiter Instanz auch sein Vater und das Kindermädchen des Bruders) sind nur Kollateralschäden der verzweifelten Suche nach Liebe und der eigenen Herkunft. Erst als Frankenstein (David Berger) die Braut des Monsters, die sich dieses so sehr gewünscht hatte, kurz vor der Vollendung zerstört, um weiteren Schaden – zum Beispiel Nachfahren – zu verhindern, schlägt die Verzweiflung endgültig in Wut und Hass um. Doch auch das für den Zuschauer durchaus nachvollziehbar. Wer will schon ganz allein auf der Welt sein?

 Diese fast körperlich spürbare Verzweiflung ist es auch, die den Zuschauer 3 Stunden ausharren lässt. Manche Dialoge, zum Beispiel die auf dem sinnigerweise „Prometheus“ getauften Forschungsschiff der Nordpolexpedition, hätte man zwar etwas straffen können. Aber starke Szenen wie der in Zeitlupe als Stilmittel für schlimme Vorahnung getanzte Hochzeitstanz oder die Ermordung von Frankensteins Braut Elisabeth (Zoe Hutmacher), die erst eher einem Lustakt, dann einer Version des „Nachtmahr“ von Johann Heinrich Füssli gleicht, halten den Zuschauer gefangen. Untermalt wird die Schauergeschichte wirkungsvoll von den geisterhaften Tönen dreier Celli (Musik u.a. von Mozart, verantwortlich Jan Dvorák).

 Die sehr werkgetreue und eher konservative Inszenierung (Kostüme der Zeit von Kathi Maurer) kommt – obwohl das andere Kritiker sicher bemängeln werden – gut ohne Hinweise auf Genmais, Retortenbabys und Geschlechterselektion aus. Hier geht es nicht um die Grenzen des Machbaren, sondern darum, was den Menschen, ein Wesen, ausmacht: Gedächtnis, Sehnsucht, Liebe, Gewissen. In einer Welt von IS-Schlächtern im Blutrausch sind künstliche Intelligenzen vielleicht die besseren Menschen.

 Alice Matheson

                    

 

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