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Barbara MUNDEL (Intendantin Theater Freiburg): „In welcher Zukunft wollen wir leben?“

Im Gespräch:  Barbara Mundel, Intendantin Theater Freiburg

Das Gespräch führte Peter Heuberger aus Basel im Dezember 2013

Unbenannt
 
   In den letzten Jahren war die Finanzierung von Kulturaktivitäten immer wieder eine vorwiegend politische Angelegenheit. Nun ist doch eigentlich Kultur in jeder Form eine Pflicht, ein Muss der Öffentlichkeit. In der Region Basel gibt es immer wieder Vorstösse zur Nicht- oder Minder- Finanzierung. Ist dies auch hier in Freiburg der Fall?

Solche  Gespräche auf politischer Ebene gibt es dauernd. Zurzeit allerdings sind diese zurückgedrängt, laufen auf Sparflamme, die Gespräche, nicht die Finanzierung. Als ich hier vor sieben Jahren angefangen habe, waren die Diskussionen sehr virulent, fast schon ein Schock für mich, da das Theater der grösste Empfänger für Kulturgelder ist. Ich habe sogar überlegt, ob gutes Theater ohne Subventionen zu schaffen sei. Das Erste für mein Team und mich war der der Versuch, aus der Defensive herauszukommen. Das hiess eine andere Begründung für Kulturggelder zu finden als: ‚WIR sind doch ganz toll, das müsst IHR doch wissen!‘ Dies ist sicherlich nicht die richtige Verteidigung, vor allem nicht, wenn man den Bildungsbereich gegen sich hat! Wir haben uns überlegt mit welcher Strategie wir hier in Freiburg starten wollen, starten müssen und haben uns die Frage gestellt: `In welcher Zukunft wollen wir leben`? Das war dann  im ersten Jahr die Theaterüberschrift. Daraus ergab sich natürlich nicht nur die Frage nach der Zukunft des Theaters, auch die Zukunft der Stadt, der Gesellschaft wurde hinterfragt. Wollt ihr in einer Stadt leben, in welcher Mann/Frau nicht mehr einfach ins Theater gehen kann? Diese Sätze wurden nie formuliert, sie waren nur unterschwellig präsent! Nach einigen, schwierigen Jahren sind wir jetzt in einer einigermassen komfortablen Situation. Es ist mir gelungen 2008 mit der Stadt eine Zielvereinbarung für fünf Jahr abzuschliessen, welche den Tarifausgleich garantiert und Subventionskürzungen ausschliesst. Die zweite Zielvereinbarung, mit welcher wir sogar eine leichte Budgeterhöhung erreichen konnten, wurde für weitere fünf Jahre abgeschlossen. Wenn ich dies mit der Situation vor acht Jahren vergleiche, haben wir viel erreicht und finden dies grossartig.

 Eine der politischen Forderungen besteht darin, dass die Theater eine  wesentlich höhere Eigenwirtschaftlichkeit aufweisen sollten. Wie soll ein Theater, eine Kulturinstitution ohne massive Preiserhöhung eine höhere Eigenwirtschaftlichkeit erreichen? Höhere Preise heissen doch im Endeffekt weniger Publikum. Der kulturpolitische Trend müsste umgekehrt liegen: Tiefere Preise mehr Zuschauer, was aber auch mehr öffentliche Gelder bedeuten würde. Fehlt bei gewissen Politikern/Politikerinnen die Wahrnehmung, wieso ein Theater teurer ist als eine vergleichbare private Institution? (Fest angestelltes Personal, usw.) Wieso nehmen politische Gremien der Kultur- und  der Bildungspolitik dies nicht wahr?  -Theater ist auch Bildung!

Ich habe das Gefühl, dass eine recht verlogene Debatte geführt wird. Niemand hat den Mut, ehrlich zu kommunizieren:‘ Wir wollen diese Art von Theater nicht mehr‘! Man verlangt, dass ein Theater spart, viele  Vorstellungen zu einem günstigen Preis anbietet und erst noch eine hohe Eigenwirtschaftlichkeit aufweisen muss. Mit den von mir unbestrittenen Tarifverträgen und anderen personalrechtlichen Vorgaben sind Sparmöglichkeiten sehr beschränkt. Natürlich könnten wir hingehen und einen anderen Betrieb aufgleisen. Gastspieltheater und ähnliche Gedanken aus der Politik werden immer wieder an uns herangetragen. Keine dieser Ideen hat landesweit zu wirklichen Einsparungen geführt. Wir erhalten Subventionen um unseren Betrieb bei relativ günstigen Eintrittpreisen gut zu führen. Wenn ich träumen könnte, wurde ich die Preise senken. Schön wäre es, wenn Theater nicht viel teurer wäre als ein Kinobesuch. Tiefere Eintrittspreise würden höhere Subventionen oder Reduzierung des Betriebes erzwingen. Dabei ist zu bemerken, dass Honorare und Saläre 80% unseres Budgets ausmachen. Und noch etwas: Das Theater Freiburg ist auch ein Ausbildungsbetrieb für viele Berufe!

 Es fällt mir auf, das Aufführungen wie z.B. Aida in Pfäffikon, Classic Open Air Solothurn oder Opera Base, trotz sehr stolzen Preisen, verglichen mit z.B. Freiburg gut besucht sind, auch wenn die künstlerischen Leistungen bei Weitem nicht das Niveau Freiburgs oder Basels erreichen. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Vielleicht das vermeintlich Spektakuläre, der moderne Trend zum „Event-Besuch“! Ich habe diesen Sommer in St. Gallen die Freilichtaufführung „ATTILA“ von Giuseppe Verdi gesehen. Ich kann einer Inszenierung mit Mikrofonen und Verstärkung nichts abgewinnen. Dies ist, obgleich eben spektakulär, gar nicht mein Ding. Ich möchte aber die Event-Kultur nicht einfach abwerten. Nein! Wenn wir hier in Freiburg den Ring-Zyklus machen und diesen dann innerhalb einer Woche aufführen, ist das natürlich auch ein, ein Ereignis, etwas Besonderes, neuhochdeutsch ein „Event“! Es ist wichtig und richtig,  dass Leute an diesen „Events“ mit Opern in Kontakt kommen. Bloss bin ich der Meinung, dass das gewachsene Theater als Institution, als Kulturzentrum einer Stadt nachhaltiger ist. Woher diese meine Hoffnung kommt, weiss ich nicht, aber ich bin zutiefst davon überzeugt.

 Viel ist die Rede vom Regietheater. Im Musiktheater war früher oft der Dirigent der Vorherrschende, heute scheint es der Regisseur, die Regisseurin zu sein. Im Sprechtheater führt das Regietheater oft zur Verstümmelung von Text. Halten solche Mechanismen nicht oft das Publikum vom Theaterbesuch ab?

Dies ist durchaus ein Thema. Wenn Inszenierungen schlecht sind und diese Art von Regie nur noch als Mode ohne Hintergrund daherkommt, so schadet dies der Institution Theater. Regietheater, modernes Theater ganz allgemein, lebt von der intelligenten  Interpretation! Regietheater gibt es aber schon lange. So inszenierte 1981 Hans Neuenfels in Frankfurt „AIDA“. Am Pult: Michael Gielen. Auch dies war Regietheater, eine Neuinterpretation, ohne das Werk als Oper zu verstümmeln, welche nicht mehr in Ägypten spielte. Eine wirkliche spannende, aufregende Inszenierung. Schlussendlich aber wurde dies einer der grossen Opernskandale, weil das Publikum eine ganz andere Aufführung erwartete. Das Problem für uns heute ist die „Erwartungslosigkeit“ der Besucher. Natürlich gibt es immer noch Theaterliebhaber, welche erwarten, dass Aida in Ägypten und „THE MERCHANT OF VENICE“ in Venedig spielt. Aber es gibt wesentlich mehr Leute, für welche die Reibungen, die Unterschiede zum Original gar keine Aufregung, Enttäuschung mehr bedeuten. Dazu kommt, dass sich durch die zunehmende Migration die Frage stellt, welches Theater für ein Publikum mit einem komplett anderem kulturellen Hintergrund zu machen ist.

 Ich habe  in Ihrem Haus den Ring (Ring oder Teile davon 4 oder 5 Mal),  einen Lohengrin und einen Parsifal gesehen, absolutes Regietheater von Frank Hilbrich mit einem wunderbaren Dirigat von Fabrice Bollon. Alle Aufführungen, welche ich gesehen habe, waren sehr gut besucht, sogar ausverkauft. Wir sagen in Basel oft: Wagneropern haben es bei uns in Basel schwer, Basel ist keine Wagnerstadt! Dies gilt eigentlich auch für Freiburg. Liebt das Freiburger Publikum sein Haus mehr oder gibt es andere Gründe?

(lacht) Dies ist eine schwierige Frage! Die erste Inszenierung unter meiner Intendanz in Freiburg war „RHEINGOLD“. Wir beschäftigten uns ja mit dem Kapitalismus (siehe oben Subventionen) und Rheingold ist sozusagen das Opernstatement zu dieser Frage. Wir wollten nicht unbedingt einen Ring machen, fanden dann aber die Inszenierung von Frank Hilbrich ausserordentlich spannend. Ich war wie ein Kind und wollte das Bilderbuch weiterblättern. ‚Du bist verrückt‘ war dann erst mal der allgemeine Tenor, wir haben aber trotzdem „WALKÜRE“ gegeben, dann „SIEGFRIED“. Für die Realisation der „GÖTTERDÄMMERUNG“ planten wir eine Jahresinszenierung weniger. Mit den Ring-Zyklen haben wir  unser Publikum sozusagen auf eine Reise mitgenommen. Dieses Publikum hat unsere Sänger und Sängerinnen kennen gelernt. Nach „PARSIFAL“ und „LOHENGRIN“ liebt das Freiburger Publikum sein Ensemble, angefangen bei Fabrice Bollon bis hin zum Chor und den Statisten. Gerade diese Ring-Zyklen haben ein internationales Publikum angelockt und die Freiburger sind stolz auf ihr Haus, ihr Theater, ihr Orchester, ihre KünstlerInnen! All dies war eine Entwicklung, welche wir mit unserem Publikum machen durften. 2014 werden wir „TANNHÄUSER“ in der Regie von Eva-Maria Höckmayr inszenieren.

 Es scheint mir, dass B-Häuser (oft Dreispartenhäuser)  wie Freiburg, Basel, Bern und andere kleinere Theater in der internationalen Fachpresse weniger aufmerksam beobachtet werden als grosse A-Häuser. Dies obgleich gerade Freiburg und Basel sehr fortschrittlich und kreativ sind. Stimmt mein Eindruck oder sehe ich dies falsch.

Der Eindruck ist sicher richtig: Doch das Schicksal eines Theaters wie Freiburg entscheidet sich hier, im Grossraum Freiburg bis sagen wir mal Basel, was schlussendlich für alle Theater gilt. Die Beachtung muss lokal sein, denn der grosse Harst des Publikums ist nicht überregional sondern vorwiegend regional. Natürlich ist es schön, auch mal international beachtet zu werden. Das bedeutet auch für das heimische Publikum viel. Dazu kommt, dass ich persönlich ein Dreispartenhaus viel spannender finde als reine Schauspielbühnen oder Musiktheater. Glücklicherweise muss ich kein Repertoire mit traditionellen, alten Inszenierungen pflegen. Ich finde die Arbeit der vielen Drei-Spartenhäuser in Deutschland, der Schweiz und Österreich sensationell und vorbildlich. Unsere Kräfte hier in Freiburg werden zusätzlich vom Jugendtheater und vom Konzerthaus gefordert. In unserem Jugendtheater sind es ja wiederum zwei Sparten: Schauspiel und Musiktheater.

 Viele Dank Barbara Mundel , dass Sie sich in der Mitte Ihrer sicherlich  arbeitsintensiven Saison für den neuen Merker Zeit genommen haben.

 Peter Heuberger /Basel

 

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