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AUGSBURG: LOHENGRIN. Premiere

04.05.2014 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

AUGSBURG: „Lohengrin“ von Richard Wagner – Premiere am 03.05.2014

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Schlußszene mit (oben) Sally du Randt (Elsa), Jaco Venter (Telramund), Kerstin Descher (Ortrud), (unten, Mitte) Gerhard Siegel als Lohengrin. Copyright: Theater Augsburg

 Keine Naziuniform, keine bayerischen Trachten, keine Ratten – vielmehr viereinhalb Stunden spannendes Theater und dazu großartig musizierte und kraftvoll gesungene Musik in einem akzeptablen Ambiente – das war der „Lohengrin“ in Augsburg. Gratulation!

 In erster Linie ist „Lohengrin“ eine Choroper und somit ein Problem für jedes Theater außerhalb der großen Staatsopern. In Augsburg war man sich dieser Herausforderung bewusst, setzte neben dem Haus- und dem Extrachor noch einen eigens für diese Aufführung gebildeten „Projektchor“ ein und brachte es auf (nach Angaben des Programmheftes) 46 Herren und 44 Damen, mithin auf eine Körperschaft von 90 Menschen, die nicht nur klangschön und präzise, sondern an den entsprechenden Stellen auch kraftvoll und mit umwerfender Wucht sangen. Dabei ist besonders zu bemerken, dass das Werk nahezu strichlos gespielt wurde, sieht man von zwei kleineren Chorstrichen ab (einmal im Chor „In Früh’n versammelt sich der Ruf“, weiters im Ensemble „Fluch ihm“ im 2. Akt) und dem – heutzutage wohl allerorten üblichen – Strich am Schluss der Oper, der kürzlich in Wien für soviel Aufregung sorgte. Bemerkenswert auch, dass die vier Edelknaben tatsächlich von Knaben (Mitgliedern der „Augsburger Domsingknaben“) kraftvoll und mit passabler Intonation gesungen wurden. Besonders klangschön auch der Gesang der „Acht Frauen“ im Brautgemach, die durch stimmliche Klarheit, saubere Intonation und besonders gute Textverständlichkeit angenehm auffielen, während es den vier brabantischen Edlen, die logischerweise aus dem Chor rekrutiert waren etwas an Prägnanz und Persönlichkeit fehlte. Im Ganzen: ein großer Abend für den Chor und seine hervorragende Leiterin

Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek, die sehr zu Recht am Ende des Abends auch zuerst vom Publikum mit reichem Applaus bedacht wurden. Was dieser Chor allein in der zurückliegenden Spielzeit in den Produktionen „Intolleranza“, „Simon Boccanegra“ und nun „Lohengrin“ geleistet hat, kann nicht hoch genug gelobt und gewürdigt werden. So macht Oper Freude!

Das Orchester, die Augsburger Philharmoniker, steht dieser grandiosen Chorleistung in nichts nach. In großer Besetzung (auf die erforderliche Stärke der Bühnentrompeten mit Gästen erweitert) spielten sie mit Differenziertheit und Präzision, in der Intonation lediglich bei den Holz-bläsern nicht durchgehend optimal (Vorspiel 1. Akt, gegen Ende des 2. Aktes). Dennoch hat dieses Orchester eine Flexibilität erreicht, die keineswegs allerorten üblich ist. Dirk Kaftan hat es in den Jahren seiner Augsburger Tätigkeit zu einem Klangkörper geformt, der höchsten Ansprüchen standhält und somit Voraussetzungen geschaffen, mit denen man – was Chor und Orchester betrifft – nahezu jedes Werk der Opernliteratur bewältigen kann. Im „Lohengrin“ setzt er klare Konturen zwischen den beiden Welten und überzeugt mit vergleichsweise zupackenden, flüssigen Zeitmaßen und sicherem Zugriff auch besonders der vielen komplizierten Trompeten-Einsätze, die aus den unterschied-lichsten Richtungen der Bühne und des Saales kamen und bei denen es nicht das Geringste zu beanstanden gab.

Auch das Solisten-Ensemble hält – alles in allem – diesen hohen Ansprüchen stand, Augsburg kann stolz auf seine Solisten blicken und sollte sie hüten und pflegen! Auch auf diesem Gebiet kann fast jedes Werk aus eigener Kraft bewältigt werden, zählt man den Lokal-Matador Gerhard Siegel mit zum Ensemble, was juristisch nicht ganz korrekt sein mag, von der Sache her aber richtig ist. Natürlich konzentrierte sich das Interesse in erster Linie auf seinen Lohengrin, den er mit metallischer Kraft sicher und zuverlässig durchhielt. Ein Held, keine Frage, jedenfalls im Stimmlichen. Mag ihm auch der letzte Schmelz, den man bei den leisen Passagen erwartet, vielleicht nicht ganz zur Verfügung stehen, durch seine durchgängige Präsenz, seine außerordentlich hervorragende Artikulation und den Glanz, den er den Fortestellen zu verleihen in der Lage ist macht er dies mehr als wett. Er kommt, ganz in weiß gekleidet bescheiden und eher ungöttlich daher, bringt ein weißes, mit Schwanenfedern besetztes Kleid mit, dass er Elsa übergibt, die es fast den ganzen Abend trägt, bis sie es, an der entsprechenden Stelle im Brautgemach, wo die Vertrautheit kippt, auszieht und ihm vor die Füße wirft. Wenn man diesem Lohengrin mit einer vorteilhafteren Perücke noch etwas helfen könnte, würde der Gesamteindruck beträchtlich gewinnen können; so bleibt er eher der bescheidene, gesetzte Herr und – noch nie habe ich in einer „Lohengrin“-Aufführung so intensiv und durchgängig über das Verhältnis Elsa – Telramund nachgedacht, wie hier. Das hatte freilich etwas mit den beiden Protagonisten, aber auch mit der Regie zu tun; Richard Wagner lässt da ganz offensichtlich einige Rätsel im Raum stehen…

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Brautgemach-Szene, Elsa (Sally du Randt) wirft Lohengrin (Gerhard Siegel)  das Brautkleid hin. Copyright: Theater Augsburg

 Was war zwischen diesen beiden in der Vorgeschichte nun wirklich los? Hat Telramund tatsächlich „willig da und gern … ihrer Hand“ entsagt? Was versteht er unter „als ich mit Drohen nun in Elsa drang“ – eine Erpressung? Eine Vergewaltigung gar? Ist dieser Telramund in seiner kraftstrotzenden Potenz nicht vielleicht doch ein Mann, über den Elsa – was den Erhalt der Dynastie betrifft! – nachdenken muss? Ist Telramunds Stolz durch ihre Zurückweisung nur verletzt, oder liebt er sie gar – und immer noch? Kann er dieser verschmähten Liebe wegen keine Ruhe finden und dringt deshalb bis ins Brautgemach vor, um in erster Linie den Nebenbuhler, erst in zweiter den politischen Rivalen zu beseitigen? Viele Reaktionen zwischen den beiden nähren solche Gedanken und lassen dies zu einer interessanten „Nebenhandlung“(?) werden, die zu verfolgen vielleicht nicht unbedingt im Sinne Wagners, theatralisch aber allemal spannend ist. Und dann sticht Elsa ihn nieder (auch nicht von Wagner, ich weiß es, aber im Sinne dieser Beziehung nicht nur logisch sondern theaterpraktisch allemal überzeugender als das vorgeschriebene peinliche Gemetzel zwischen Lohengrin und fünf Kämpfern, die nicht in der Lage sind, ihn zu überwältigen!) Der Text straft diese Regie dann gleich zweimal Lügen, denn erstens wurde Telramund nicht „erschlagen“ und zweitens nicht von Lohengrin. Das ist nun wieder ein Eingriff ins Werk – o Gott! Aber es ist stimmig und funktioniert, möglicherweise hätte es der Regisseur Richard Wagner gut gefunden und toleriert! Und dann – um die „Nebenhandlung“ abzuschließen – kniet Elsa vor dem Toten bis zum Schluss des Werkes, 32 lange Minuten (!), was der Sängerin einiges an Unbequemlichkeit abfordert und übrigens ohne „kaschierende“ Statisterie (die einen Haltungswechsel ermöglichen sollte, ohne dass das Publikum ihn bemerkt, was nicht ganz funktionierte) überzeugender war, wie die Generalprobe im Gegensatz zur Premiere bewies. Ortrud, die Frau des Toten, kommt erst kurz vor Schluss dazu…

 Diese Elsa ist die Hauptperson des Werkes, da gibt es keine Frage. Sie ist keine schwache Träumerin, die mit sich geschehen lässt, was im Sinne der Männerwelt so um sie herum abläuft, sie ist der Aktivposten des Werkes und vom ersten Auftreten an eine überzeugt Wissende und aktiv Handelnde. Sally du Randt spielt das mit Deutlichkeit und hohem mimischen und gestischen Einsatz sehr präzise und sie singt die anspruchsvolle Partie mit allen Facetten ihres großen dramatischen Soprans. Dabei verfügt sie über ein reiches Spektrum vom betörend klingenden Pianissimo bis zum strahlenden Jubel, mit dem sie z. B. das  Finale des 1. Aktes mühelos überstrahlt. Innig und beseelt ihr „Gesang an die Lüfte“ vom 1. Rang aus, da in dieser Szene das Bühnenbild keine Möglichkeit gibt, sie dort zu platzieren. Sie verbindet ihre stimmliche Potenz mit den differenziertesten darstellerischen Anforderungen. Schon lange habe ich die Auseinandersetzung zwischen ihr und Lohengrin im Brautgemach nicht mehr so aufregend erlebt wie hier, woran selbstverständlich auch der Lohengrin Siegels gebührenden Anteil hatte und was durch beider vorzügliche Textbehandlung wesentlich untermauert wurde. Jaco Venter als Telramund (gastweise, aber wohl deshalb, weil im Augsburger Ensemble ein Wechsel im Fach des Heldenbaritons ins Haus steht) verfügt nicht nur als Einziger über Rollenerfahrung (er sang diese Partie bereits in Karlsruhe), sondern über eine große, metallisch geprägte, sicher geführte und hervorragend artikulierende Baritonstimme, die mit der gefürchteten Partie an keiner Stelle Probleme hat. Er spielt durchaus einen Draufgänger, dem man schon glauben könnte, dass er Elsa irgendwann recht nahe getreten ist; hohnlächelnd begibt er sich in selbst-sicherer Überheblichkeit in den Gotteskampf, um dort um so tiefer (und der Elsa zu Füßen) zu fallen. Ortrud ist ihm scheinbar suspekt. Kerstin Deschers Ortrud fehlt in erster Linie die Dämonie und die Führungsstärke. Stimmlich hat sie kaum Probleme, alle Töne kommen, viele allerdings auf Kosten der weitgehend schlechten Textverständlichkeit. Man wird den Eindruck nicht los, dass sie ihrer schönen Stimme zu viel zumutet, zu schonungslos mit dem Material umgeht. Es wäre schade um diese Stimme, wenn sie durch solche Partien überfordert und verschlissen würde (ein Eindruck, den ich nicht zum ersten Male bei ihr habe). Wenn ein König schwach ist, muss sein erster Minister um so stärker sein – hier wurde es einmal mehr bestätigt. Dong-Hwan Lee war ein stimmlich und von der Persönlichkeit her außerordentlich hochkarätig besetzter Heerrufer, Vladislav Solodyagin spielte einen schwachen, vielleicht auch nur zu gutmütigen König, der stimmlich Grenzen erkennen ließ.

 Nein, Thorleifur Örn Arnarsson und sein Team (Jósef Halldórson / Bühnenbild, Filippa Elisdottir / Kostüme und Juliane Votteler / Dramaturgie) haben Wagner nicht gewaltsam verändert, sie haben ihn genau studiert und ernst genommen. In einem vefallenen alten Theater-ambiente findet das Spiel statt, das „Theater auf dem Theater“ wird aber nie vordergründig, sondern ist ein „schweigend ermöglichender Hinter-grund“ (wie Wagner seine Forderung an das Bühnenbild einmal formulierte). Das schaut gut aus, auch wenn es Fragen aufwirft. Dort, wo Musik inszeniert wird, die Wagner nicht inszeniert haben wollte, gibt es solche. Während Elsas Waldspaziergang, bei dem ihr der Bruder abhanden kommt, zum Vorspiel des 1. Aktes noch handlungsmäßig einleuchten mag (übrigens hier ein besonderes Lob an alle Chormitglieder, die dort regungslos die gesamte Zeitspanne als stehendes Bild eindrucksvoll darstellte), sind die gegensätzlichen Laufereien vieler Menschen quer über die Bühne im Vorspiel zum 3. Akt völlig unverständlich. Und beim Beginn des Brautchores bleibt die Bühne dann zunächst leer. Schließlich wäre nach der Notwendigkeit der „Abrüstung“ zu fragen? Kein Schwert, keine Lanze, natürlich am Schluss für Gottfried kein Horn und keinen Ring. Das ist zwar neu und mag auch modern sein, gut oder gar richtig ist es nicht. Wenn diese Requisiten nur im Text zitiert werden, mag es noch angehen; wenn man sie aber notwendigerweise braucht, ist das „Weglassen“ falsch.

Der Gotteskampf zwischen Lohengrin und Telramund ist eigentlich eine Lachnummer und die Feder, mit der Elsa den Telramund ersticht (und dabei offensichtlich ein Blutgerinsel aufsticht…!!!) – na ja. Revolution hin und her (wovon im Programmheft die Rede ist), wenn getötet wird, brauchts dazu Requisiten, so ist das nun mal, nicht nur im Theater. Die Zuschauer nahmen’s gelassen. Gefallen hat mir, dass die gesamte große Masse des Chores sehr einheitlich geführt wurde (z. T. waren Damen und Herren nicht zu unterscheiden), dass peinliche Auf- und Abgänge weitgehend reduziert waren und der Chor sehr oft nach vorn singen konnte, was die Wirkung steigerte.

Es war ein verdienter, großer Erfolg.

 A propos Zuschauer: Schon nach dem 1. Aktgroßer Jubel, der sich nach dem 2. Akt noch steigerte, obwohl der Saal schon längst hell war. Weshalb kam kein Solist vor den Vorhang?  Am Schluss einhelliger Jubel (sieht man von zwei hartnäckigen Buhrufern für die Regie ab, die keine Chance hatten und auch überflüssig waren) – nach elf Minuten (im dunklen Saal!) war Schluss! So kann man sich einen Erfolg selber kaputt machen. Die Oper hat ihre eigenen Gesetze, auch wenn man die hier seit langem zu ignorieren scheint. Alle Solisten hätten einen Einzelvorhang verdient gehabt, übrigens ist es auch eine Frage der Höflichkeit dem Publikum gegenüber. Bei aller Begeisterung musste das endlich einmal angemerkt werden.

 Werner P. Seiferth     

 

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