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AUGSBURG: ELEKTRA. Premiere

10.03.2013 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

ELEKTRA“ von Richard Strauss in Augsburg (Premiere am 09.03.2013)


Elena Nebera (Elektra) und Sally du Randt (Chrysothemis). Foto: A.T.Schaefer/ Theater Augsburg

Die Premiere der „Elektra“ am Theater Augsburg wurde am 9. März 2013 vor allem ein großer Abend für den scheidenden GMD Dirk Kaftan und sein Orchester, die Augsburger Philharmoniker, die dem Abend im Musikalischen einen starken Akzent verliehen. Die immensen Anforderungen der Partitur von Richard Strauss wurden – in der so genannten „kleinen“ Besetzung, die ja dennoch recht groß ist (6 Trompeten!) – sowohl was Klangfülle, Zusammenspiel und Zuarbeit zur Szene betrifft, voll erfüllt, einzelne Instrumentalsoli kamen dabei zur schönsten Wirkung. Besonders sei hervorgehoben, dass Kaftan an vielen Stellen mit wachem Sinn auf die Szene reagierte und dadurch ermöglichte, dass die Sänger im Ganzen nicht mit den Tonfluten kämpfen mussten sondern viel mehr von ihnen getragen werden konnten. Dass die Textverständlichkeit nicht in allen Fällen voll gewährt war, sollte man dem Ensemble nicht anlasten – schließlich hat man schon an manchem großen Haus viel weniger Text verstanden, als hier. Das Orchester war der Teppich, auf dem sich der Abend entfalten konnte, der – von der Sängerin der Titelrolle abgesehen – mit dem eigenen Ensemble bestritten wurde. Und es spricht für Augsburg, dass es dieses komplizierte Werk kompetent besetzen kann. Das gilt in erster Linie für die Hauptpartien, aber auch für die hier sehr wichtigen „kleinen“ Rollen, die – unterschiedlich wohl – im Ganzen aber gut funktionierten.


 Sally du Randt (Chrysothemis) und Elena Nebera (Elektra). Foto: A.T.Schäfer/ Theater Augsburg

In Kerstin Descher verfügt das Haus über eine erstklassige Altistin, die der Klytämnestra in allen Lagen gewachsen ist, die alle Höhen und Tiefen dieser komplizierten Partie ausloten kann, ohne outrieren zu müssen und die selbst bei den berühmt-berüchtigten „Schreien“ die Kontrolle über ihre Stimme nicht verliert. Eine sehr respektable Leistung.

 Sally du Randts Stimme blüht bei der Musik von Richard Strauss in schönster Weise auf, ihre Chrysothemis würde an jedem Staatstheater bestehen: frei strömend in allen Lagen, vorbildlich in der Artikulation und dem Registerausgleich, außerordentlich differenziert in der musikalischen Gestaltung ist hier – ich wiederhole mich! – eine Sängerin zu bewundern, die einfach ein Glücksfall für Augsburg ist.

 Stephen Owen sang mit markantem Bassbariton einen überzeugenden Orest, auch wenn ihn die Regie zur Unsichtbarkeit verdammte; er war stets präsent und als eigentlicher musikalischer Partner voll gegenwärtig. Gerhard Siegel, Augsburg seit Jahren verbunden ohne im eigentlichen Sinne zum Ensemble zu gehören, sang mit kraftvollem Tenor bei vorbildlicher Textverständlichkeit einen profunden Ägisth. In den unterschiedlichsten kleinen Partien bewährten sich unter den Mägden stimmlich besonders Cathrin Lange als fünfte und Stephanie Hampl als dritte Magd sowie Christopher Busietta als prägnant singender junger Diener.

 Ihr Rollendebüt in der Titelpartie gab Elena Nebera mit einer sicher geführten, großen dramatischen Stimme, der es allerdings in der unteren Mittellage noch etwas an Durchschlagskraft mangelt. Das ist hoffentlich reparabel. Was mir als besonders entwicklungsbedürftig erschien, war ihr nicht sehr ausgeprägtes „Mitteilungsbedürfnis“; sie hielt wohl bewundernswert durch und es ist bei dieser Riesenrolle anfangs verständlich, auf Ökonomie zu achten. Für die weitere Entwicklung müsste aber unabwendbar sein, dass das, was sie zu sagen hat auch mit entsprechendem Nachdruck geschieht. Man muss gar keine Vergleiche bemühen, aber zu meinen besten Erinnerungen in der Elektra-Rezeption zählen nicht in erster Linie die großen und schweren Stimmen, sondern diejenigen, denen das Mitteilungsbedürfnis, das Anliegen (das unbedingte sagen-müssen) mehr bedeutete, als in jedem Falle der überwältigende Ton. Wenn Frau Nebera an diesem Punkt arbeitet, wenn sie vermag mit ihrem Anliegen zu fesseln, hat sie zweifellos das Zeug, sprich: die Stimme, eine großartige Elektra zu werden.


Finale mit Kerstin Descher (Klytämnestra), Stephen Owen (Agamemmnon), den „kleinen“ Orest (Junge) und Sally du Randt als Chrysothemis. Foto: A.T.Schaefer

Was die Inszenierung von Lorenzo Fioroni zunächst recht plausibel macht, ist die Tatsache, dass er Menschen von heute miteinander agieren lässt und keine antiken Gestalten nebeneinander bzw. aneinander vorbei argumentieren. Das macht das Stück über weite Strecken sehr lebendig, sehr heutig, in vielen Dingen nachvollziehbar. Ob es nun die von Träumen geplagte Klytämnestra ist, die Betäubung in Drogen und Alkohol sucht oder ob die sich nach Liebe und Familie sehnende Chrysothemis durchaus einen Blick für junge Männer hat und sich bezüglich des Kinderwunsches schon mal ein Kissen vor den Bauch steckt, ob es die gelangweilten Mägde sind oder um Elektra und ihren unbändigen Hass geht. Insofern erscheint es nahezu logisch, dass Fioroni gegen Schluß des Werkes zu der Überzeugung gelangt, dass sich das alles als Alptraum von Elektra abspielt – und in dieser Folge kommt es dazu, das sie nur „die Stimme“ des Orest aus sich heraus hört, dass sie die Tat „allein“ vollbringen muss, erst recht, wenn die Schwester die Mittäterschaft verweigert. Elektra erwürgt oder erstickt Chrysothemis, als sich diese für sie als Werkzeug als unbrauchbar erweist und erschlägt sowohl ihre Mutter als später auch Ägisth selbst, weil ja kein Orest „konkret da“ ist, sondern nur seine Stimme aus ihr spricht. Folgerichtig „träumt“ sie auch den Schluss – das große Familienfest mit all seinen Mitgliedern (einschließlich des Vaters Agamemnon!) in fröhlicher Einigkeit, das sie oft ersehnt haben mochte, ihr aber immer verwehrt war. Natürlich steht das so nicht bei Hoffmansthal und Strauss. Natürlich ist das ein Eingriff ins Werk. Verblüffend ist zunächst, wie organisch sich das so inszenieren und darstellen lässt ohne dem Werk etwas „Fremdes“ aufdrücken zu müssen – alles steht eigentlich s o auch im Text! Insofern denke ich, dass man über eine solche Lesart wenigstens diskutieren kann und fand die Buhrufe für das Regieteam übertrieben. Das war ja auch handwerklich alles plausibel umgesetzt, da wurde nichts „hineingeheimnisst“ und selbst der Orest, der konkrete Sänger, war ja auch „da“, man konnte ihn – wenn auch nicht konkret als Person – immer im Bühnenraum „orten“. Ich fand das als Denk-Anstoß schon interessant, keineswegs vordergründig „spektakulär“.

Was die Ausstattung betrifft, so war es gegeben, die Geschichte in einem Haus abspielen zu lassen, in dem viele Menschen wohnen und agieren. Paul Zoller baute einen großen hellen Raum auf die Bühne, der in den einzelnen Szenen variiert und jeweils den Gegebenheiten dienstbar gemacht werden konnte. Nach der Unterredung mit der Mutter flüchtet Elektra in eine Art „Rumpelkammer“ (mittels Drehbühne), die Geborgenheit gibt für den schwesterlichen Disput, in der Chrysothemis dann auch erstickt wird (und – so will es die Realität nun mal, endlos tot herum liegen muss!) Einzige Frage wäre vielleicht, wieso der junge Diener ausgerechnet in dieser Rumpelkammer ein Ross gesattelt haben will… Das alles war optisch und auch ästhetisch möglich und funktionierte, während die Kostüme von Annette Braun mir nicht durchweg geglückt erschienen, speziell die Elektra selbst hatte durchaus mit ihren unvorteilhaften Kostümen zu kämpfen. Die Schlussphase, das geträumte Familienfest, erinnerte dann zwar mehr ans Münchner Oktoberfest als an eine Familienfeier – sei es drum.

 Jedenfalls: musikalisch war dies ein großer Abend und er war so inszeniert, dass Langatmig-keit nirgendwo aufkommen konnte – und das ist denn doch bei „Elektra“ schon ein sehr gutes Ergebnis.

 Werner P. Seiferth

 

 

 

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