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AUGSBURG: Chabriers L’ETOILE – doch nur eine Sternschnuppe…?

03.12.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

AUGSBURG: Doch nur eine Sternschnuppe… ? Emmanuel Chabriers „L’Etoile“ am Theater Augsburg – Premiere am 02.12.2012


Cathrin Lange als Prinzessin Laoula. Foto: A.T. Schaefer/ Theater Augsburg

 Im Programmheft der Augsburger Aufführung steht zu lesen, dass „L’Etoile“ – bzw. seine Hauptperson, König Ouf I. – „… lange warten“ musste, „bevor er sich eigentlich erst im späten 20. Jahrhundert einen regelmäßigen Platz im Repertoire auf der ganzen Welt eroberte“ – und da ist doch wohl eindeutig der Wunsch der Vater des Gedankens: vom „regelmäßigen Platz im Repertoire“ kann nicht die Rede sein, von der „ganzen Welt“ schon überhaupt nicht; hier ist Augsburg eindeutig zu bescheiden – es bedurfte schon eines besonderen Mutes, sich für dieses – nach wie vor – selten gespielte Werk einzusetzen, und das ist erst mal als positive Prämisse festzuhalten.

 Künstler-Karrieren mögen wachsen und sich entwickeln (was später am Beispiel der Aufführung noch zu bestätigen sein wird!), Werke sind sofort erfolgreich oder eben nicht – das ist so, und daran ändern die berühmten Ausnahmen, die dann immer angeführt werden („Fidelio“, „La Traviata“, „Tristan und Isolde“, „Madama Butterfly“ und „Das Land des Lächelns“) leider nichts. So schätzenswert das Engagement des Theaters Augsburg ist, Emmanuel Chabriers „Opéra bouffe in drei Akten“ auf den Spielplan zu setzen – es kann nicht darüber hinweg täuschen, dass „Chabriers musikalische Karriere … eine Reihe von Misserfolgen“ ist, wie das gleiche Programmheft ebenfalls eingesteht. Der Abend ist mit knapp drei Stunden eindeutig zu lang, zu zäh – und das liegt in erster Linie am Werk, nicht an der Inszenierung oder gar der musikalischen Wiedergabe. Man spielt in Augsburg die Originalfassung nach der Urtextausgabe des Bärenreiter-Verlages, singt in der französischen Originalsprache und lässt die – vom Umfang her übergewichtigen – Dialoge in deutscher Sprache sprechen. Die simple Story – ein König muss das jährliche „Geburtstags-Gaudi“ der Hinrichtung eines Untertanen diesmal aussetzen, weil sich das „Sternenschicksal“ des Delinquenten mit seinem eigenen verbindet – trägt nicht, die dazu gehörende Musik mag intelligent komponiert sein, aber sie zündet über weite Strecken nicht. Sie mag in der Nachfolge von Offenbach stehen, erreicht das Vorbild an Wirksamkeit und Verve kaum. Talent ist eine Sache, Genie eine andere…

 Daran kann die Interpretation kaum etwas ändern, denn Carolin Nordmeyer hat sowohl die Solisten als auch den Chor und vor allem das Orchester fest im Griff, dirigiert federnd und differenziert, mit sicherem Gespür für die Tempi – dennoch bleibt es ein Chabrier, kann kein Offenbach werden. Dabei muss man sowohl den Chor ob seiner Klangfülle und Präzision loben (Choreinstudierung Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek), als auch das Orchester, das den Intentionen seiner Dirigentin sicher folgt und einzelne Instrumentalsoli schön ausspielt.


Stephanie Hampl als Lazuli. Foto: A.T.Schaefer/Theater Augsburg

 Das Augsburger Solistenensemble, um den Gast Eric Laporte bereichert (der die gleiche Rolle schon in der Bielefelder Inszenierung 2009 verkörperte), erfüllt die ihm gestellten gesanglich-musikalischen Aufgaben gewissenhaft, bleibt im darstellerischen Teil allerdings sehr unterschiedlich: Eric Laporte bringt für den König Ouf I. einen geschmeidigen Tenor und viel Spielfreude mit, Cathrin Lange als sicher singende und sympathisch spielende Prinzessin Laoula wirkt noch am einheitlichsten in der Gesamtleistung, Vladislav Solodyagin singt den Astrologen Siroco mit profunden Bass, bleibt im Dialog leider oft unverständlich, Giulio Alvise Caselli (Hérisson de Porc-Épic) und Christopher Busietta (Tapioca) bleiben blass bei aller rollenbedingten Aufgeblasenheit des Ersteren. In der Hosenrolle des Lazuli überzeugt Stephanie Hampl mit ihrer klangschönen Stimme am ehesten, während es ihr an Persönlichkeit und „Pfiff“ leider etwas fehlt – ich konnte ihr das Werben und Brennen für die „Geliebte“ kaum glauben. Sally du Randt brachte neben ihrer makellosen Stimme vor allem jenen Charme und das pfiffige Augenzwinkern, die Ironie ein, die das Werk von allen Akteuren gebraucht hätte. Hier konnte man erleben, wie eine durch vielfältigste Rollen-Erfahrungen gereifte Darstellerin und eine Sängerin, die nicht nur im dramatischen Fach Furore macht, sondern eben auch das Lied, das Chanson – ja selbst den Schlager – ihr eigen nennen kann, aus der Fülle der Mittel und Möglichkeiten schöpft. Ihr Couplet im dritten Akt – das sie mit Können rollenbedingt „beschwipst“ vortrug, war zweifelsfrei der Höhepunkt des Abends, ein Kabinettstückchen sänger-darstellerischer Genauigkeit, höchst amüsant und vom Publikum spürbar freudig aufgenommen und mit spontanen Applaus bedacht. Da wehte der Offenbach der „La Perichole“ oder der „Madame Favart“ herüber, so hätte man sich den Abend gewünscht – aber die Uhr zeigte in diesem Moment bereits 21.30 Uhr an – zu spät für ein ganzes Stück.

 Regisseur Aron Stiehl und sein Team (Rainer Sellmaier mit einer die Operette gleichermaßen wie die Show bedienenden Bühne, Nathan Vaknin mit sehr eleganten Fantasie-Kostümen, Kai Luczak mit außerordentlich stimmungsvollem Licht und Annika Nitsch mit kurzweiligen, der Operette gerecht werdenden Choreographien) leisteten durchaus gute Arbeit, zaubern konnten sie nicht. Stiehl gelang es, die Balance zwischen Groteske und schwarzem Humor zu halten, aber auch er konnte die Vorlage nicht nennenswert verbessern – im Gegenteil, die deutsche Dialogeinrichtung, die er mit seinem Dramaturgen Tilman Böttcher beisteuerte, war kaum besser als das Original, es fehlte dort besonders Esprit, Witz und Tempo! Schließlich: die Plattitüden á la „Aha, jetzt ziehst du den Schwanz ein“ – „ja, und wenn ich zwei hätte, würde ich sie beide einziehen“ beschworen eine Art von Operetten-Klamauk herauf, den man längst glaubte überwunden zu haben (auch wenn er natürlich ankommt!) Schade, es waren so viele gute Ansätze zu erkennen, die aber nicht konsequent genug durchgeführt wurden.

 Das Publikum war anfangs reserviert bis ratlos, wurde nach der Pause durch eine königliche Exercise von Eric Laporte geweckt und taute bei Sally du Randts Couplet vollends auf, sodass man am Ende noch mit Recht von einer freundlichen Aufnahme sprechen konnte. Dass das Werk sich „einen regelmäßigen Platz im Repertoire auf der ganzen Welt erobert“ mag ich nicht glauben – aber: ich lasse mich gern eines Besseren belehren.

 Werner P. Seiferth

 

 

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