NOSTALGIE UNVERMEIDLICH
Vom Jammern halte ich gar nichts, und auch nicht davon, sich beim Schicksal zu beschweren (oder der Regierung; die kann wirklich nichts dafür, die versucht nur, das Beste aus der schlechtesten Situation zu machen, selbst wenn das eine oder andere Mal Blödsinn dabei heraus kommt – für jeden Kinobesuch einen Test?). Die Dinge sind, wie sie sind. Aber man wird sich doch noch erinnern dürfen… auch, wenn’s ein bisschen weh tut?
Ich kenne Herbert Wilfinger „ewig“, seit ich in die Pressevorführungen von Filmen gehe, also seit Jahrzehnten. Er war immer da. Und immer haben wir ihn liebevoll neckend nach seinen „Kinoprogrammen“ gefragt. Er galt als der Mann, der sie sammelte, der Mann, der „alle“ hatte. Und der die neuen „machte“.
Und schon seit ein paar Jahren war die Rede von „Herberts Buch“. Was man sich genau darunter vorzustellen hatte, wissen wir erst jetzt. Er hat sich jahrzehntelang die Arbeit gemacht, die Kinoprogramme nicht nur zu sammeln, sondern auch zu verwerten, sich absolut „wissenschaftlich“ den Kopf darüber zu zerbrechen.
Das Ergebnis ist toller, als man es sich je hätte vorstellen können. Zwei voluminöse Bände, herausgegeben vom Filmarchiv, eine großartige Arbeit, die mit der Geschichte des Filmprogramms noch viele, viele andere erzählt.
Kompliment, Herbert, alter Freund!
Es geht also ums – Kino, das, was wir seit einem dreiviertel Jahr vermissen und was – schlimmstenfalls – in der früheren Form nicht zurück kommen wird. Die USA melden einen historischen Tiefstand, die Einnahmen sind nämlich (ich zitiere die APA, man muss vorsichtig sein mit seinen Quellen), „um 80 Prozent eingebrochen und erreichten mit 2,2 Mrd. US-Dollar (1,81 Mrd. Euro) ein 40-Jahres-Tief.“ Bei uns wird es nicht viel besser aussehen. Und die Zahlen sind eigentlich unvorstellbar. Als ob wir es nicht wüssten – Kino ist nicht nur Vergnügen für uns Zuschauer, es ist eine Industrie, an der Millionen Arbeitsplätze hängen… Wobei Tom Cruise wohl eher eine Durststrecke übersteht als ein Beleuchter.
Kino!
Ich bin schon als Kind leidenschaftlich gern ins Kino gegangen, und wie viele Kinos gab es da rund um unser Genossenschaftshaus im 12. Bezirk! Das Rosenhügel Kino (dort gastierte auch das „Volkstheater in den Außenbezirken“, dann gab’s Theater!), das Hetzendorfer Kino (im Beethoven-Haus!!!), das Lainzer Kino: Das alles konnte ich erwandern, auch wenn es mich eine halbe Stunde und mehr kostete (jeweils, hin und zurück). Die Sache wollte es! Oft saß ich in den 4 Uhr Nachmittagsvorstellungen fast allein da, machte nichts, man spielte trotzdem.
Wenn ich mich in den Sechziger setzte, waren da das Park Kino (damals ein Riesending!) und das Schönbrunn Kino (heute ein Solarium oder so was Ähnliches). Das Philadelphia Kino, das Altmannsdorfer Kino und das Gaudenzdorfer Kino waren ein bisschen weiter, aber mit der Straßenbahn nicht unerreichbar. Und das Opernkino (da musste ich mit dem 62er bis zur Endstation fahren) war überhaupt besonders, da spielte man nämlich auch an Vormittagen. Wenn man geschickt war, konnte man bis zu viermal am Tag ins Kino zu gehen. Und es gab Zeiten, da war mir danach.
Das Kinoprogramm in den Zeitungen (damals noch überbordend und mit Reklame Inserts geschmückt) wurde genau studiert, und jeden Freitag liefen so viele neue Filme an, die ich alle gesehen haben musste! (Irgendwie hat sich das geändert… nämlich das Bedürfnis, alles, was geboten wird, auch unbedingt sehen zu wollen.)
Und sich jedes Mal zur Kinokarte das „Programm“ dazu zu leisten, war Ehrensache. Ich habe Hunderte davon. In den meisten Fällen nur ein zusammengefaltetes Blatt, das, auseinandergebreitet, etwas größer war als DIN A 4. Aber welche Kostbarkeiten für mich! „Der illustriere Film-Kurier“, „Neues Film-Programm“ und noch viele frühere, aus der Zeit meiner Mutter – die ist nämlich auch schon so gern ins Kino gegangen. Und ich habe mir als Kind die Altstars auf den Bildern angesehen – Heinrich George, Emil Jannings, die Garbo. Zum Glück gab’s Fernsehen, irgendwann konnte man auch all die „alten“ Filme sehen – alles hat seine Geschichte, und wer die nicht kennt, weiß gar nichts…
Ich habe die Programme gesammelt. Jedes einzelne eine Erinnerung. Und habe sie gehütet. Bis heute. Und jetzt kann ich im Buch meines alten Kino-Kameraden Herbert Wilfinger ihre Geschichte in den zwei Bänden nachlesen, die einen Ehrenplatz in der Film-Ecke meiner Buchregale bekommen.
Tempora mutantur, klar. Nostalgie hilft rein gar nichts. Und doch – es macht nicht nur traurig, es macht auch ein bisschen glücklich, an bessere Zeiten zurück zu denken. Natürlich war früher alles schöner: Man war jünger.
Renate Wagner