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AMSTERDAM: WAITING FOR MISS MONROE von Robin de Raaff- Neuinszenierung

03.09.2012 | Allgemein, KRITIKEN, Oper

AMSTERDAM: WAITING FOR MISS MONROE von Robin de Raaff- NI 11.6.2012


Laura Aykin als Marilyn Monroe. Foto: Hans van den Bogaard

 Am 9. Juni erlebte die Auftragsoper der DNO (De Nederlandse Opera) „Waiting for Miss Monroe“, in der Komposition des Holländers Robin de Raaff (1968) und der Librettistin Janine Brogt (1947) in der alten Stadsshouwburg von Amsterdam ihre Uraufführung – in Koproduktion mit dem Holland Festival 2012. In einem Kaleidoskop der letzten Tage des großen Hollywood-Stars und Inbegriff des Blondinentums zeigen sie die Allüren der Monroe als Filmschauspielerin, ihre ständigen Selbstzweifel und innere Unsicherheit, sowie ihr trauriges Ende in einem psychologisch intensiven Schauspiel mit entsprechender musikalischer Ausdruckskraft.

 Der 1. Akt nennt sich „Werktag“ und spielt in einem Filmatelier. Der einflussreiche Filmproduzent Fox und das gesamte Team am Set warten wieder einmal auf die ausbleibende Miss Monroe. Die macht unterdessen in ihrer Wohnung ein Foto-Shooting mit der Fotografin Eve, welche sie um ihre Schwangerschaft beneidet – fürchtet Marilyn doch, niemals selbst ein Baby zu bekommen. Schon hier deutet sich ihre Problematik an, auch durch virtuelle Gespräche mit ihrem Psychiater auf das Tonbandgerät. Erst als Fox sie endlich telefonisch erreicht und mit einer Einspringerin droht, eilt Marilyn ins Studio. Im 2. Akt, dem „Geburtstag“ – und es ist nicht ihrer, sondern der von John F. Kennedy – erlebt man, wie in der Garderobe des Madison Square Garden Kostümbildner Whitey und Textassistentin Paula die bereits unter dem Einfluss von Pillen mit Panikattacken stehende Marilyn für ihr legendäres Geburtstagsständchen für JFK vorbereiten. Ein Telegramm von Fox, dass sie gefeuert ist, weil sie ohne Genehmigung nach New York abreiste, kippt ihre Stimmung endgültig bis hin zum Realitätsverlust. Sie ruft nach ihrem Vater. Zwei Vaterfiguren erscheinen, ihr Ex-Ehemann, der Baseball-Star Joe DiMaggio, und das das Filmidol Clark Gable. Sie wiegen Marilyn eine Zeit lang in emotionaler Sicherheit und begleiten sie auf die Hinterbühne, wo sie verschwinden und durch die beiden Kennedy-Brüder John und Robert ersetzt werden. Diese zollen ihr zunächst ihre Bewunderung. Auf einmal schlägt die Stimmung jedoch um, und sie lassen ihre derben Späße an ihr aus, stoßen sie hin und her und betiteln sie schließlich als Hure. Nun sind auch DiMaggio und Gable gegen sie… Mit allerletzter Kraft rafft Marilyn sich zu ihrem Ständchen auf. Im 3. Akt wartet Fox in seinem Büro wieder einmal auf sie, denn er konnte keinen Ersatz mit ihrem Starniveau finden. Es kommt zur verbalen Auseinandersetzung, Marilyn setzt sich zwar durch gegen seinen Psychodruck, aber zu Lasten von weiterem emotionalem Stress. Auf ihrem Bett zu Hause wird sie von Schlaflosigkeit und Einsamkeit geplagt. Auch die Kennedys weisen sie am Telefon ab, niemand will mehr etwas von ihr wissen. Das treibt sie noch mehr in den Pillen- und Alkoholkonsum und den damit verbundenen Realitätsverlust. Da gewahrt sie ihr jüngeres Ich, eine blonde Soubrette namens Norma Jeane, die auf dem bedingungslosen Weg zu ihrer Hollywood-Karriere von all den Männern umschwärmt wird, die früher sie verehrten. Sie sieht Marilyn als hoffnungsloses, altes Wrack und überlässt sie ihrem Schicksal. Von allen verlassen und total vereinsamt stirbt Marilyn auf ihrem Bett. In einem Epilog erlebt sie wie in Trance die Umstände ihres Untergangs mit einer gewissen inneren Ruhe und Distanz: „I shouldn’t worry. I think it was a beginning. Everything was just beginning…“

 Die Regisseurin Lotte de Beer inszenierte das Stück mit starker innerer Dramatik, die unaufhörlich und immer intensiver auf das fatale Ende zusteuert. In den dramaturgisch geschickt konzipierten und beweglichen Bühnenbildern von Clement & Sanou, die auch für die darauf bestens abgestimmte Lichtregie verantwortlich waren, stellt de Beer mit einer ausgefeilten Personenregie das Schicksal der Monroe in den Mittelpunkt und lässt am Verhalten ihrer Umgebung die Mechanismen ihres Untergangs erkennbar werden. Laura Aikin ist der verführerischen Blondine verblüffend ähnlich. Sie singt die schwierig zu singende, hoch liegende Sopran-Partie expressiv und höhensicher, mit starker schauspielerischer Gestaltungskraft. Man nimmt ihr in jedem Moment des Abends die Monroe ab. Aikin besticht mit einer exzellenten Intonation und großer Wortdeutlichkeit, was gerade für dieses Rollenprofil wichtig ist. Immer wieder wird die große Tiefe und Weite der Bühne der Stadsshouwburg genutzt, um die Einsamkeit der darauf allein auf weiter Flur stehenden Monroe zu zeigen. Am Ende ist da nur noch ihr Bett als letztes Asyl der Abgeschiedenheit. Besonders beklemmend sind die Bilder und ihre Reaktionen, wenn die Aykin von den Kennedy-Brüdern diskriminiert wird und mit letzter Kraft in einem immer enger werdenden Gang, der wie ein Londoner U-Bahn Transfer-Gang wirkt, zum Mikro für das Ständchen stolpert – es war wirkte ein Gang in das Jenseits! Dale Duesing als geschäftsbesessener und cholerischer Filmproduzent Fox agiert umtriebig und darstellerisch überzeugend, ist aber vollkommen abgesungen, wie schon seit einiger Zeit (man erinnere sich nur an seinen „Götterdämmerung“-Alberich 2010 in Aix en Provence und Salzburg). Helena Rasker singt die Textassistentin Paula mit einem variablen, gut geführten und charaktervollen Mezzo. Witzig ist der skurrile Whitey, der von dem guten Countertenor David DQ Lee gesungen und äußerst engagiert gespielt wird. Tom Randle wartet als ebenso skurriler DiMaggio mit einem sicher geführten und kräftigen Spinto auf, während Alain Coulombe Clark Gable mit klangvollem Bariton gestaltet. Auch der JFK von John Tessier, eine mit einem Heldentenor zu besetzende Rolle, sowie der Bariton Daniel Belcher als Bobby (RFK) können stimmlich überzeugen und zeigen viel darstellerisches Talent beim Katz’ und Mausspiel mit Marilyn. Maria Kowan singt die Eve mit einem guten Mezzo und Hendrickje Van Kerckhove zeigt mit ihrer verächtlichen Einstellung zu der dahin dämmernden Monroe die ganze Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit des Starwesens in Hollywood. Sie singt dazu passend und überaus kokett mit einem soubrettenhaften Koloratursopran. Sex sells, once more…

 Steven Sloane leitet das Niederländische Kammerorchester, welches der komplexen Partitur bestens gewachsen ist. Die Musik Robin de Raaffs stellt vornehmend auf ein psychologisches Stimmungsbild mit großem instrumentalem Facettenreichtum ab und setzt dramatische Akzente in den Momenten höchster Spannung, kann aber auch depressive Orchesterfarben wählen, wenn es um Marilyns Depressionen und die mehr nach innen gerichteten Momente geht. Statt durchgehender Melodien werden meist thematische Sequenzen gespielt, wobei der Perkussion große Bedeutung zukommt. Hervorzuheben sind das tragisch aufgewühlte Vorspiel zum 2. Akt, welches die Dramatik des Niedergangs von Marilyn bis zum Geburtstagsständchen mit letzter Kraft und Konzentration voraus ahnen lässt, sowie das Finale des 3. Akts, in dem die Musik, vor allem im schweren Blech, immer depressiver und ruhiger wird, je näher wir dem Ende Marilyns kommen. Es war ein eindrucksvolles in Ton und die Kompetenz einer großen Sängerin gesetztes Andenken an Marilyn Monroe, das jedem, der es erlebte und das Stück mit seiner expressiven Musik und Dramaturgie auf sich wirken ließ, zum Nachdenken anregen musste…

(Fotos in der Bildergalerie)

 Klaus Billand

 

 

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