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Janina BAECHLE : Mutter im Märchenland

18.11.2015 | Allgemein, INTERVIEWS, Sänger

Janina Baechle Foto privat/Horowitz

Janina BÄCHLE : Mutter im Märchenland

Bei diesem Gespräch aus Anlass der Premiere von „Hänsel und Gretel“ stellten die Gesprächspartner fest, dass zwar schon Interviews für den MERKEROnline mit der Künstlerin stattfanden, der früheste Zugang von Janina Baechle zur klassischen Musik dabei jedoch noch unerwähnt blieb, was zunächst einmal mit der Frage nach den allerersten Berührungen mit dem Medium Musik nachgeholt wurde:

„In meiner Kindheit lief ständig das Radio oder der Plattenspieler in unserem Haus, da gab es Wagner rauf und runter, Mozart rauf und runter und Verdi rauf und runter. Das gehörte irgendwie zu unserem häuslichen Dasein dazu. Schon als mein Vater noch ein Kind war, ist er mit seiner Schwester in den Lehrergesangsverein gegangen und meine Mutter ist von der Schule viel in die Oper geführt worden und meine Eltern haben mich schon sehr früh in die Oper, ins Theater und ins Ballett mitgenommen. Vor allem war in Stuttgart damals die große Zeit von John Cranko.
Ob Hänsel und Gretel meine erste Oper war weiß ich jetzt nicht mehr, aber sie war unter den ersten sicher dabei.“

Das elterliche Abonnement ermöglichte viele Theater- und Opernbesuche schildert Frau Baechle, so ab ihrem zehnten, elften Lebensjahr. Später, schon im Studium, war eine Traviata angesetzt und neugierig auf sogenannte „große“ Opern wollte sie das Werk hören. Wie groß war die angenehme Überraschung, als sie schon nach den ersten Takten in der Vorstellung merkte, dass sie bereits jede Note dieser Oper kannte von den frühen Radio- und Schallplattenorgien daheim bzw. von den Besuchen mit Vater oder Mutter im Opernhaus.
„Beide Eltern waren keine ausübenden Musiker, aber die Liebe dieser Kunstform hatten sie mir damit weitergegeben“

Zur Frage nach der Mutterrolle in Hänsel und Gretel, in welcher sie ihre Kinder ganz bewusst in den Tod schicken will, bzw. diesen zumindest in Kauf nimmt, fallen Frau Baechle ihre persönlichen Überlegungen ein, die auch in die Rollengestaltung einfließen werden:
„Ich glaube dass das eine Überreaktion der Mutter war, sie kommt sehr müde und kaputt nach Hause. Man weiß ja gar nicht von wo sie gerade herkommt. Ich habe mir da so eine Geschichte überlegt, dass sie da bei der Nachbarin war, die ein krankes Kind hat und sie nun geholfen hat und nun müde und kaputt nach Hause kommt, dass auch der Markttag nicht besonders gelaufen ist, an dem sie die Strümpfe, welche Gretel strickt, verkaufen wollte. Und die Kinder sind übermütig und in dem ganzen Durcheinander geht auch noch das einzig schöne Objekt, das sie noch im Hause hat – wahrscheinlich ein Erbstück von ihrer Mutter – zugrunde.
Ich habe immer die Angewohnheit, in allen Figuren die ich singe, das Menschliche herauszuholen. Natürlich gibt die Mutter auch nur den Druck weiter, den sie verspürt, den sie von oben bekommt. Es gibt da ja eine Stelle, bei der man merkt, dass der Vater sie schon auch schlägt. Als sie ihm gesteht, die Kinder zum Ilsenstein geschickt zu haben, holt er mit den Worten „Ei, juckt dich das Fell!“ den Besen hervor.

Ich selbst habe keine Kinder, aber ich habe bei Bekannten mit Kindern festgestellt, dass irgendwann einmal der Bogen überspannt ist und dass es passieren kann, dass man Reaktionen zeigt, die man sofort hinterher wieder bereut. Ich glaube, sie würde später die Kinder zurückholen, aber da kommt ja schon der Vater nach Hause. Ich glaube, die Mutter in dem echten Märchen, die ist böser, die schickt ja die Kinder auch ein zweites Mal in den Wald. Im Märchen ist sie ja auch eine Stiefmutter, was sie in der Oper nicht ist.
Wir haben uns auch überlegt, warum weiß die Mutter nichts von der Hexe, sie hört ja offensichtlich zum ersten Mal von den Vorkommnissen um den Ilsenstein weil ihr der Vater das ja eigens erzählt und wir kamen zu dem Schluss, dass die Mutter nicht aus diesem Tal ist, nicht aus dieser Gegend und dass sie die Geschichte von dem Wald um den Ilsenstein, in dem Kinder immer wieder verschwinden, gar nicht kennt.“

Die Arbeit mit dem Regisseur Adrian Noble ist angenehm gewesen, sehr fein, sehr in kleine Details gehend in dem Sinn, dass die Vorgeschichte der Figuren – woher kommen sie, was haben sie erlebt – in deren Gestaltung eingeflossen ist. Es wurde ein Blick auf ein reicheres Innenleben freigelegt, aus dem heraus für die szenische und die musikalische Gestaltung geschöpft werden konnte. „Der Regisseur kommt ja aus dem Schauspiel und der Blick auf alle Figuren verlief detailreicher und wahrer gezeichnet als in jeder Produktion dieser Oper, die ich vorher gemacht habe.“

Für die Hexe, die sie noch nie verkörpert hat, kommt allmählich „eine kleine wachsende Lust“ auf, sie zu singen. Ihr Fach hätte ja den Vorteil, dass mit längerer Karriere erst die interessanteren Rollen zuwachsen. Aber in der Rolle der Mutter fühle sie sich momentan gut aufgehoben, noch dazu mit dieser Musik und dem einzigen, wenn auch nur kleinen Monolog, der in dieser Oper einer Figur zugeordnet ist. („…müde bin ich, müde zum sterben! Herrgott, wirf Geld herab.“)

Janina Baechle als die Mutter

 

Den Direktorenwechsel hat Frau Baechle genutzt, um unter Dominique Meyer auf einen Residenzvertrag umsteigen zu können, der es ihr ermöglicht, eine gleichmäßigere Verteilung der Rollen aus den verschiedenen Genres zu erzielen, denn neben den regelmäßigen Abenden am Haus bleibt auch genügend Freiraum für andere Engagements.
Neue Rollen, die sie alle erst an kleineren Häusern „irgendwo in der Provinz“ ausprobieren möchte, sind im Studium, wie etwa die der Priorin in den „Gesprächen der Karmeliterinnen“, die Klytämnestra und die Küsterin oder die Genevieve im „Pelleas“. Das wären die Rollen von etwas älteren Frauen, die schon einiges erlebt haben. Dafür hat sie die Kundry wieder etwas in den Hintergrund geschoben aus Respekt vor der darstellerischen Herausforderung.

„Die Arbeit mit Thielemann war ausgesprochen spannend und detailreich und das Orchester klingt unglaublich und er liebt diese Musik, das merkt man einfach, er liebt dieses Stück. Auch achtet er die Rolle der Mutter, er meint, diese Rolle wird immer ein bisschen nebenher behandelt, aber die sei ja so vielschichtig, da ist so viel drin, diese Wut und diese Verzweiflung, diese Trauer und doch auch die Angst um die Kinder, da gibt es so viele Facetten. Er liebt diese Figur und das äußert sich auch dadurch, dass er musikalisch sehr viel hilft, weil die Mutter-Vater-Szene ist vom Orchester her nicht ideal, denn die ist sehr dick orchestriert von Humperdinck und es gibt immer „Probleme“ auf der Bühne, weil da die Balance sehr schwierig herzustellen ist. Da hat er unheimliche Mühe darauf verwendet, dass das wirklich gut wird.

Ich finde, dass ist ein sehr zentrales Stück, Generationen von Kindern sind damit groß geworden und dazu musikalisch noch ein tolles Stück, nicht zuletzt auch wegen seiner Zitate aus Stücken anderer Komponisten.“

Der Rest ist schnell erzählt, da das Wesentliche in den anderen Interviews enthalten ist:
Gefragt nach der bevorzugten Oper für einen freien Abend („ da gäbe es viele“) einigte sich die Künstlerin mit sich selbst auf den Besuch russischer und französischer Opern. Sie lebt teils in Wien, teils in Paris, denn sie ist mit einem Franzosen verheiratet, versteuert allerdings ihr Einkommen in Österreich. Sie besucht auch französische Theaterstücke, wenn diese nicht allzu kompliziert sind, zuletzt in Paris einen Thomas Bernhard, den Weltverbesserer auf Französisch. Sie ist mit den Änderungen der Logen in der Pariser Oper ebenfalls wie so viele Pariser nicht einverstanden. Sie sieht auch Kino gerne, zuletzt den Film „Madame Marguerite“ der die Thematik der amerikanischen Sängerin Foster-Jenkins behandelt. Und vom Studium der Anglistik ist immerhin die Leidenschaft für das Lesen englischer Literatur in der Originalsprache hängen geblieben.

Peter Skorepa
Bühnenfoto: Barbara Zeininger
Privatfoto: Horowitz

 

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