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ZWICKAU: BALL IM SAVOY von Paul Abraham

22.04.2012 | KRITIKEN, Oper

Klassische Operette in Zwickau: „Ball im Savoy“ von Paul Abraham (Vorstellung: 21. 4. 2012)


Die Abraham-Operette „Ball im Savoy“ lebt auch durch ihre vielen Ballettszenen – im Bild Nathalie Senf als La Tangolita (Foto: Peter Awtukowitsch)

 Im Gewandhaus des kleinen, aber schmucken Städtchens Zwickau, des Geburtsorts von Robert Schumann, steht zurzeit eine der erfolgreichsten Operetten auf dem Spielplan: „Ball im Savoy“ von Paul Abraham (1892 – 1960). Am 23. Dezember 1932 in Berlin uraufgeführt, war sie bald massivsten Hetzkampagnen der nationalsozialistischen Presse ausgesetzt und konnte nur noch bis März 1933 in Berlin gegeben werden. Durch ihren großen Publikumserfolg folgten jedoch Aufführungen in Wien und Budapest sowie in London, Mailand und Moskau.

Es sollte allerdings Abrahams letzter Welterfolg bleiben. Nach der Machtergreifung der Nazis flüchtete der Komponist zuerst nach Wien, dann nach Paris, wo er die Musik zu zwei Filmen schrieb, und schließlich über Kuba in die USA. Dort verschlechterte sich sein Gesundheitszustand sosehr, dass er in eine Nervenheilanstalt eingeliefert werden musste. Obwohl zu Beginn der 50er Jahre seine drei Welterfolge (neben Ball im Savoy noch Die Blume von Hawai und Viktoria und ihr Husar) in Deutschland verfilmt wurden, erhielt Abraham keine Tantiemen und saß mittellos und vergessen im Creedmoor Hospital fest. Erst 1957 gelang es dem auf Privatinitiative gegründeten Paul-Abraham-Komitee, ihn nach Hamburg zurückzuholen, wo er seinen Lebensabend in einer psychiatrischen Klinik verbrachte und 1960 an den Folgen einer Operation starb.

 Heutzutage gilt Ball im Savoy, wie dem gutgestalteten Programmheft zu entnehmen ist, als die weltweit meistgespielte Operette von Paul Abraham und hat in Ungarn, Russland und Italien nach wie vor einen festen Platz im Repertoire. Von deutschsprachigen Bühnen blieb sie allerdings – von wenigen Ausnahmen abgesehen (Raimundtheater in Wien 1975, Stadttheater Baden 2001) – meist unbeachtet. Zu Unrecht, wie Zwickau nun bewies.

 Die Handlung der Operette, deren Libretto von Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda stammt, in gekürzter Fassung: Aristide Marquis de Faublas und seine Gattin Madeleine kommen nach einer zwölf Monate dauernden Hochzeitsreise nach Nizza in ihre Villa zurück, wo ihnen ihre treuen Hausangestellten Archibald und Bébé einen gebührenden Empfang bereiten. Obwohl die beiden ihre erste Nacht in der Heimat zu Hause verbringen wollen, wird Aristide in Form einer Depesche von seinem früheren umtriebigen Leben eingeholt. Absender ist der Präfekt von Nancy, der sich auf dem jährlich stattfindenden Ball im Savoy ein Souper mit ihm ausbedungen hat. Allerdings verbirgt sich darunter eine Dame namens Tangolita, eine Verflossene Aristides. Madeleine durchschaut den Vorwand und beschließt, ebenfalls auf den Ball zu gehen und sich maskiert ins Vergnügen zu stürzen. – Auf dem Ball im Savoy, dem gesellschaftlichen Höhepunkt des Jahres, ist Aristides Freund Mustafa Bei mit seinen vier Ehefrauen ebenso wie der schüchterne Rechtsanwalt Célestin, der ein Abenteuer mit einer Dame der Gesellschaft sucht. Es kommt zu den üblichen amourösen Verwicklungen und heillosen Verwirrungen, die großen Gefühle kulminieren – und so fragt sich Madeleine, warum sie als Einzige noch treu bleiben soll… Als sie während des Balls öffentlich erklärt, ihren Mann betrogen zu haben, sorgt sie für einen Skandal. –  Am nächsten Morgen bläst Aristide Trübsal und bestellt den Scheidungsanwalt, während Madeleine den Zuspruch genießt, den sie durch Glückwunschtelegramme erhalten hat. Als schließlich Célestin als Vertreter des Anwalts erscheint und sich aus Gründen der Diskretion an nichts mehr erinnern kann, wendet sich alles zum Guten – Happyend.

 Der gebürtige Wiener Wolfgang Dosch – er war von 1991 bis 2003 als Sänger und Dramaturg an der Staatsoperette Dresden engagiert und wirkte auch bei den Wiener Festwochen, den Salzburger Festspielen, den Operettenfestspielen Mörbisch und beim Lehár-Festival Bad Ischl mit – inszenierte die Operette im klassischen Stil. Dazu ein aufschlussreiches Zitat aus einem Interview mit dem Regisseur aus dem Programmheft: Ball im Savoy heißt für mich Operette x Operette x Operette. Das Stück heute auf die Bühne zu bringen, heißt: ästhetisch entstaubtes, perfekt gemachtes Entertainment. Wir versuchen, mit klarer Eleganz wider plüschiger Opulenz, dem Stück einen zeitlosen Anstrich zu geben.“ Und genau das ist Wolfgang Dosch mit einigen kleinen Einschränkungen gelungen. Die Handlung läuft in zügigem Tempo ab, wird vom Ensemble mit lustvoller Freude am Spiel dargeboten, ist mit großen schmissigen Tanzszenen nicht nur des Balletts des Theaters Plauen-Zwickau angereichert (für die kreative Choreografie zeichnete Alexandre Tourinho verantwortlich) und ist mit viel Humor gewürzt, wobei leider einige Szenen zu sehr in Klamauk abdrifteten. Einem Großteil des Publikums gefielen allerdings diese komödiantischen Übertreibungen, wie das Gelächter bewies. Sehr positiv fiel die prächtige Ausstattung auf, vor allem die luxuriösen Kostüme der Damen, die Stefan Wiel kreierte.

 Bei der Beurteilung der Qualität des Sängerensembles muss darauf hingewiesen werden, dass mit Wangen- und Stirnmikrophonen gesungen wurde – eine Unsitte, die immer stärker um sich greift und keinesfalls eine Verbesserung der musikalischen Qualität einer Aufführung garantiert. Diese „Stimmkrücken“ sind hässlich, schränken bei manchen Szenen die Darsteller ein, verleiten viele Sänger zum Schreien und das Orchester zu einer größeren Lautstärke, die in kleineren Häusern fürs Publikum, das nicht schwerhörig ist, fast unerträglich wird. Es wäre interessant zu erfahren, wer auf diese unselige Idee gekommen ist: die Intendanz, der Regisseur oder gar der Dirigent?

 Als Aristide konnte der Bariton Johannes Wollrab seine große Erfahrung als Opern- und Konzertsänger ausspielen, wobei er mit Noblesse und Nonchalance seine Rolle meisterte. Ein Wermutstropfen war, dass er gegen Schluss die gesprochenen Texte fast schrie. Seine Gattin Madeleine wurde von der Sopranistin Juliane Schenk damenhaft und mit Augenzwinkern dargestellt. Sie hätte der Stimmkrücken keinesfalls bedurft, auch hätte ihre Stimme in den hohen Passagen mit Sicherheit dann besser geklungen. Man fragt sich, warum die Sängerinnen und Sänger die aufgeklebten Mikrophone nicht ablehnen?

Madeleines Cousine Daisy, die unter männlichem Pseudonym Karriere machte und auf dem Ball im Savoy ihr Inkognito lüftet, wurde von der Sopranistin Uta Simone stimmlich wie schauspielerisch eloquent dargestellt. La Tangolita, der „Stein des Anstoßes“, wurde von der Mezzosopranistin Nathalie Senf recht temperamentvoll gespielt und getanzt. Als türkischer Botschafter Mustapha Bei, der den Ball mit seinen vier Frauen bevölkert, übertrieb der Bariton Shin Taniguchi sein komödiantisches Spiel maßlos. Seine beste Szene hatte er beim Tanz mit Daisy, die er zu seiner fünften Ehefrau erkoren hat. Seine tolle Gelenkigkeit erinnerte zuweilen an eine Gummipuppe.

 Den jungen Anwalt Célestin gab der Bariton Hinrich Horn, der seine Schüchternheit mit zu viel Klamauk anreicherte. Zwar produzierte er beim Publikum viele Lachsalven, dennoch hätte er sich manches sparen können, wie beispielsweise das oftmalige Kriechen auf dem Boden. Das Dienerpaar im Haus von Aristide gaben Holger Rieck (als seinem Herrn treu ergebener Archibald) und Jacqueline Treydel (als mit ihrer neuen Herrin sympathisierende Bébé). Den nicht unwichtigen und stimmlich guten Opernchor des Theaters Plauen-Zwickau studierte Friedemann Schulz ein.

 Die Leitung des Philharmonischen Orchesters Plauen-Zwickau hatte Tobias Engeli inne, der in Bezug auf die Lautstärke keine Rücksicht auf das Sängerensemble nehmen musste (ist das der Vorteil der hässlichen Stimmkrücken?). Dennoch war es ein Genuss, die köstlichen Lieder zu hören, wie „Heut‘ möchte‘ ich einmal Schampus trinken“, „Es ist schön, am Abend bummeln zu geh’n“, „La belle Tangolita“, „Kommen Sie mit mir nach Beludschistan“ und „Was hat eine Frau von der Treue?“ – Melodien, die Abrahams Ruhm als einen der erfolgreichsten Operetten-Komponisten der 20er- und frühen 30er-Jahre begründeten.

 Das begeisterte Publikum im ausverkauften Gewandhaus von Zwickau belohnte alle Mitwirkenden mit nicht enden wollendem Beifall, der am Schluss in starken, minutenlang währenden rhythmischen Applaus mündete.

 Udo Pacolt, Wien – München

 

 

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