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Zur Neuproduktion Bayrische Staatsoper „Karl V.“ von Ernst Krenek

Einwurf von Tim Theo Tinn

03.02.2019 | Themen Kultur

Einwurf von Tim Theo Tinn
Zur Neuproduktion Bayrische Staatsoper Karl V. von Ernst Krenek

Bühnenwerk mit Musik in zwei Teilen (1938) Premiere am Sonntag, 10. Februar 2019

Auch wenn ich enttäuscht bin, dass Intendant Nikolaus Bachler mich aus seinem Dunstkreis der genehmen Rezensenten entfernen ließ, er meine Interview – Anfrage zum Thema „Inszenierungs-Programmatik“ ignorierte, werde ich mich weiterhin mit Aufführungen der Bayrischen Staatsoper beschäftigen.

Die Informationen des Hauses zur Premiere erscheinen unergiebig. Der Inhalt wird regelrecht fragmentarisch aufgelistet. Statt einer Hinleitung zur verschachtelten Handlung, dem Entschlüsseln der komplexen Handlungsstränge, werden einzelne Momente der Geschichte mit den handelnden Personen aufgelistet, es wird mehr ver- als entwirrt.
https://www.staatsoper.de/stueckinfo/karl-v/2019-02-10-18-00.html

(Scrollen bis unterhalb  der Termine und Besetzungen)
Bis Mehr dazu und Inhalt anklicken

Insbesondere hätte ich Würdigung der vielen feinstofflichen Handlungsknoten gewünscht (Geister, Erscheinungen, Eingebungen usw.) Dazu empfehle ich 5 „Dramaturgische Schriften“ im Feuilleton des Online – Merkers:
1.) Der Mensch – auf der Suche nach dem besseren Ich – vom erdgebundenen Ego zum übergeordneten Sein – Selbstzerstörung oder Bewusstseinssprung?
https://onlinemerker.com/gedanken-zu-inszenierungskonzeptionen-i-s-gesellschaftlicher-theaterreflektionen-von-tim-theo-tinn/

2.) Theater als hypothetisches Universum: Insel von expressivem oder intellektuellem Ausdruck? Heutige Trivialität oder utopisch/futuristisch und archaisch?
https://onlinemerker.com/dramaturgische-schriften-von-tim-theo-tinn-7-nr-2/

3.) Theater für den 6. Sinn: Parallelwelt fiktiver Universen in archaischer Tradition und quantenphysikalischer Betrachtung zur Seelensprache
https://onlinemerker.com/dramaturgische-schriften-von-tim-theo-tinn-nr-3/

4.) Theater und seine inszenatorischen Wirklichkeiten: Konsensrealität – Parallelwelt – physische oder feinstoffliche Welt https://onlinemerker.com/dramaturgische-schriften-von-tim-theo-tinn-nr-4/

5.) Innovatives oder Sackgassen-Theater?
https://onlinemerker.com/pragmatisches-musiktheater-inszenierungen-innovatives-portal-oder-sackgassen-theater/

Teil 6 erscheint in Kürze: Themen: Werktreue, Werkimmanenz, Wirkungsarten- u. kräfte in Inszenierungen

Nebenbei: am internationalen Haus sollte der grammatikalische Unterschied zwischen Genitiv und Dativ (2./3.Fall) noch beachtet werden: „Juan kritisiert Karl bezüglich dem Gold aus Amerika, …… richtig ist: … bezüglich des Goldes…

Sehr hilfreich zum Werkverständnis erscheint mir ein fast 70 Jahre alter Bericht zur Deutschlandpremiere aus dem „Spiegel“ von 1950. Dazu Auszüge:

KRENEK / Musik: Geschichte in zwölf Tönen

30.03.1950 Ausgabe: DER SPIEGEL 13/1950

Die Glöckner von Essen-Werden hatten sich zum samstäglichen Ave-Läuten eine Stunde eher als im Ruhrgebiet üblich in die Seile gehängt. Nichts störte die Deutschlandpremiere von Ernst Kreneks Oper „Karl V.“ als gelegentliches Kläffen der Werdener Dorfköter, denn Essens totalgeschädigte Stadtoper ist an einen äußerst geräuschempfindlichen Ort ausgelagert.
Die avantgardistischste Opernbühne im Kohlenpott haust seit sieben Jahren in einem obskuren Tanzsaal, …
Kreneks Oper „Karl V.“ erwies Verwendbarkeit ….

Dabei standen kaum Vorbilder zur Verfügung. Augen- und Ohrenzeugen der Uraufführung von 1938 im Prager Deutschen Landestheater sind relativ rar. Selbst der damals schon emigrierte Komponist schreibt davon nur als von einem „kurzen, geisterhaften Auftauchen“. Es war immerhin schockierend genug, eine der heftigsten Diskussionen in der neueren Operngeschichte zu entfachen – aus guten Gründen.

Das Thema des vom Komponisten selbst librettierten Geschichtskapitels rührte damals gefährlich an den Nerv der politischen Dinge. Das Jahr 1938 brachte mit der Annexion der „Ostmark“ einen neuen Sieg des nationalistischen Provinzialismus über die mit den Resten des Donaustaates verknüpfte Idee eines christlichen Weltreiches.
Eine ähnlich verderbliche Konstellation dieser beiden großen Prinzipien, deren Widerstreit Jahrhunderte hindurch Geschichte gemacht hat, behandelt Krenek in seiner Oper. Karl V. ist hier nicht mehr der kraftstrotzende Herrscher, in dessen Reich die Sonne nicht untergeht, sondern der Einsame von Estremadura, dem Asyl des Kaisers nach seiner Abdankung.

Vor dem „Jüngsten Gericht“ Tizians, das dieser 1554 im Auftrag Karl V. gemalt hat und vor dem der Kaiser gestorben sein soll, hält er Abrechnung über sein Tun und Lassen. Im Gespräch mit seinem Beichtvater versucht er, politische Fehlschläge als unausweichliche geschichtliche Notwendigkeit, aber auch aus der Zwiespältigkeit seines Charakters zu erklären, der tragisch gemischt war aus Macht und Ohnmacht, Tatendrang und Weltangst.
Wie zur Rechtfertigung seiner Haltung erscheinen während dieser Generalbeichte die wichtigsten Stationen seines Lebens als Visionen auf der Bühne: eine späte Begegnung mit Johanna der Wahnsinnigen, seiner Mutter, der Glaubensstreit mit Luther, Moritz von Sachsens Doppelspiel und andere entscheidende Episoden. …

….. Als zusammenschließendes Motto steht hinter diesem Bilderbogen eines Herrscherlebens die kaiserliche Devise: Plus Ultra – Immer weiter. Sie ziert das Wappen Karls V., zwei Säulen, zwischen denen jenes Spruchband flattert. Karl deutet dieses Zeichen als Symbol seiner widerspruchsvollen Natur, der Mönch sieht darin jene Säulen des Herkules, die Meerenge von Gibraltar, durch die Columbus einst nach Westen fuhr.

Auf einer anderen Reise nach dem Westen, auf der Flucht vor Verfolgung, fand Krenek später dieses Zeichen wieder: in dem amerikanischen Zeichen für den Dollar, $. „Es ist historisch durchaus möglich, daß sich die kaiserliche Allegorie in dem Sinnbild des modernen Kommerzialismus gespenstisch erhalten hat.“
„Wenn ich in meinem Automobil von San Francisco, durch Berge und Wüsten, an Oelquellen und Benzinpumpen vorbei, nach Los Angeles fahre, dann erinnert mich mehr als alles andere das allgewaltige $-Symbol an den alten Kaiser und sein großes Reich, das einmal Wien sowohl als auch die Hügel von Hollywood einschloß.“

„Frühzeitig in meiner Laufbahn fühlte ich mich angezogen von der Idee reiner, kompromißloser Schöpfung, unabhängig von den Strömungen des Tages. Gleichzeitig empfand ich jedoch immer wieder die Versuchung, praktische Resultate in dieser Welt zu erzielen.“

……Er blieb gebrandmarkt als Atonaler, der sich im „Karl V.“ ohrenscheinlich mit Haut und Haaren der Lehre des Zwölftonmeisters Schönberg verschrieben hatte. Die dickleibige Partitur zu „Karl V.“ ist über eine einzige Zwölftonreihe gearbeitet, sie bringt lediglich Abwandlungen einer einmal gewählten Anordnung aller zwölf Halbtöne der Skala.

Krenek bekennt, daß diese Arbeit, sein erster Versuch in Zwölftonschreibweise, „am Anfang von entmutigender Schwierigkeit war und nur sehr langsam voranging Es schien mir, als hätte ich vergessen, wie man komponiert, und der mühselige Fortschritt von Takt zu Takt war wie das Aushacken eines Pfades durch dürres, dorniges Gestrüpp“.

Das klingende Resultat zeigt noch Spuren dieser harten Arbeit. Es ist eine harte, brüchige Klangsprache, mit dem Akzent des abtrünnigen Romantikers gezeichnet, nervös angespannt und gehetzt. Der solistisch durchsichtige Orchesterstrom, der die Bildfolge auf der Bühne verschleift und verzahnt, turnt über alle Schnellen und Fälle des szenischen Berichts mit krausen Wirbeln, plötzlichem Anstau und jähen Entladungen. Am Partiturende steht ein aus allen zwölf Halbtönen hochgetürmter Akkord.

Das Ganze ist ein vielschichtiges Kompositum aus Musikdrama und Sprechstück, in das vielfältige Elemente, von der Oper bis zum Film, eingeschossen sind. Die Singstimmen sind oft abenteuerlich über riskante Intervallsprünge geführt, dann wieder auf der Tonebene des Sprechgesangs festgehalten.
Krenek hat diesen das Ohr anspringenden Klangstil nach 1938, dem Jahr seiner Emigration, noch weiter ausgebildet und an den verschiedensten Aufgaben erprobt. Er liebt das Experiment mit der Form, er hat sich „stets davor gescheut, dasselbe Stück nochmals zu schreiben“.

….Eine Kuriosität ist der „Fahrplan der Santa Fé-Linie“. In einer Seminarübung besprach Krenek mit seinen Schülern eine mittelaterliche Motette über den Stammbaum Christi. „Ich war so eingenommen von dem faszinierenden Stück, daß ich zu meinen Studenten sagte: ‚Das ist eine unglaubliche Leistung – man könnte ebensogut einen Fahrplan komponieren‘.“

Prompt schrieb er einen unbegleiteten sechsstimmigen Chor, der nichts anderes ist als die durchkomponierte Reihe der Stationsnamen auf der Santa Fé-Linie, von Albuquerque in New Mexiko bis Los Angeles – ein komponierter Fahrplan.

 

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