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ZÜRICH/ Tonhalle: KULLERVO – SINFONISCHE KANTATE von Jean Sibelius. Saison-Eröffnung

"Grosses Getöse"


Paavo Järvi. Foto: Alberto Venzago

Zürich: KULLERVO (Jean Sibelius) – Saison-Eröffnung mit Paavo Järvi – 2.10.2019  – „Großes Getöse“

Nach der Uraufführung im Festsaal der Helsinki-Universität am 28. April 1892 dirigierte der Komponist Jean Sibelius, der die symphonische Kantate „Kullervo“ als Opus 8 und als junger Mann von 27 Jahren geschrieben hatte, nur noch vier Mal und wollte dann nichts mehr von seiner „Jugendsünde“ wissen. Paavo Järvi, der neue Chefdirigent des Tonhalle-Orchesters Zürich, wählte dieses hier noch nie augeführte Werk zum Saisonbeginn. So konnte man sich ein Bild dieser Komposition machen, die auf Tonträger wohl aufgrund der klanglichen Begrenzung in den heimischen Stuben nicht diese Dynamik in der Lautstärke entwickeln  kann wie in der Akustik eines guten Konzertsaales.

Und es war wirklich eine klangliche Wucht, die da auf einen eindrang. Das gross besetzte Tonhalle-Orchester war bestens disponiert und folgte den knappen dirigentischen Anweisungen seines neuen Maestro Paavo Järvi auf das Genaueste. Die Schlagtechnik von Järvi ist klar und völlig unprätentiös: keine Geste zu viel, keine Kontrolle zu wenig. Das etwas über 70 Minuten dauernde Werk in fünf Sätzen hat diese Disziplin notwendig, sonst würde manches Forte noch lauter und weiter ausholend sein. Die ersten drei Sätze sind rein symphonisch und da hört man schon, wo Sibelius noch seine Wurzeln hat (in der Spätromantik eines Bruckner, eines Grieg etc.), aber auch originelle Instrumentation deutet auf den späteren Sinfoniker voraus. Da Sibelius ja in seinen Sinfonien in der Aussage immer knapper wurde und in seiner letzten, der Siebenten quasi nur noch ein Stenogramm seines sinfonischen Schaffens wiedergibt, war es aufschlussreich zu hören, wie Sibelius beispielsweise beim Kullervo noch um diese Verknappung der sinfonischen Mittel ringen musste. Vieles wirkt langatmig, umständlich und kommt nicht eigentlich zum Punkt. Anderes wieder drängt vorwärts und nimmt gefangen.

So ist es der gross aufgebotene Männerchor, – der Estnische Nationale Männerchor RAM (Einstuierung: Mikk Üleoja) und verstärkt durch die Herren der Zürcher Sing-Akademie (Einstudierung: Florian Helgath) – der hier das Hauptinteresse auf sich zieht. Die Sage von Kullervo, einem Helden von altem Schrot und Korn, der unwissentlich seine eigene Schwester vergewaltigt und sich nach dieser Erkenntnis selbst richtet, wird durch den kommentiernden Chor aufgerollt. Da tritt der Chor aus der rein kommentierenden Funktion und zwingt quasi Kullervo, als Held durch das eigene Schwert zu sterben und die Tat so zu sühnen. Nach dem rein sinfonischen, marschartigen bringt der 4. Satz bringt dann der 5. Stz diese Kulmination  der dramatischen Ereignisse.

Bildergebnis für johanna rusanen
Johanna Rusanen. Foto: Heikki Tuuli

Für die beiden Solopartien von Bruder und Schwester hatte man das finnische Sänger-Geschwisterpaar Johanna Rusanen (Sopran) und Ville Rusanen (Bariton) verpflichtet. Während der Bariton vor allem durch seine wortdramatische Gestaltung überzeugte, hatte Johanna Rusanen – übringens eine Schülerin der finnischen Sopranistin Anita Välkki, die in den sechziger Jahren in Bayreuth die Brünnhilde gesungen hat – in ihrer Gesangspartie die Möglichkeit zu mehr Differenzierungen. So konnte sie die spöttischen Zurückweisungen stimmlich ebenso zum Ausdruck bringen wie die Verletztheit nach der blutschänderischen Tat, wo sie sich als Tote bereits mit der Natur verbunden fühlt. Johanna Rusanen verfügt über eine echte hochdramatische Stimme, die in der Höhe aufblüht und in der Mittellage diese Wärme und Durchsetzungskraft gegenüber dem Orchester aufweist. Dem Vernehmen nach wird die Sängerin an der Finnischen Nationaloper demnächst ihr Debüt als Brünnhilde geben.

Als Auftakt hörten wir von Arvo Pärt das sechsminütige, in neuer Überarbeitung vorgelegte Werk „Wenn Bach Bienen gezüchtet hätte…“ (für Klavier, Bläserquintett, Streicher und Schlagzeug), das gegenüber dem gewaltigen Kullervo wie ein nettes Aperçu wirken mochte.

Die Begegnung mit dem Frühwerk Kullervo von Jean Sibelius war sicher eine interessante Bereicherung im Kanon einer immer enger werdenden Abo-Kultur. Ein vielversprechender Saisonbeginn mit dem neuen Chef Paavo Järvi!

John H. Mueller  

 

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