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ZÜRICH/ Opernhaus_LES CONTES D’HOFFMANN -Premiere im Live-Stream

Jacques Offenbach: Les Contes d’Hoffmann, Opernhaus Zürich, Premiere im Livestream: 11.04.2021

Verfügbar bis am 30. April 2021: https://vimeo.com/534847785

Programmheft: https://issuu.com/opernhauszuerich/docs/ph_hoffmann_ohnelib

«Unglaublich tolles Musiktheater»

Gut 10 Jahre nach der letzten Produktion (13.03.2010) und zwei Jahre nach dem Offenbach Jubiläumsjahr (200. Geburtstag am 20.06.2019) bringt das Opernhaus eine neue Produktion von Offenbachs bekanntester Oper heraus. Intendant Andreas Homoki führt Regie, die musikalische Leitung hat Antonino Fogliani.

Eine Aufführung von «Les Contes d’Hoffmann» bringt immer auch die Frage nach der Fassung und hier hat sich das Leading Team erfreulicherweise für eine auf der Kaye/Keck-Fassung basierende «Fassung Opernhaus Zürich 2021» entschieden. Im Zentrum der Oper steht der im Paris der Mitte des 19. Jahrhunderts ausgesprochen populäre Dichter E.T.A. Hoffmann. Offenbachs Oper über den Dichter erzählt, ohne den Anspruch historisch korrekt zu sein, drei Geschichten aus dem Leben des Dichters, eingerahmt von Prolog und Epilog. Dazu haben die Librettisten Jules Barbier und Michel Carré für ihr 1851 entstandenes Theaterstück und das darauf basierende Libretto populäre Episoden aus Hoffmanns Werk verwendet.

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Hoffmann: Saimir Pirgu; Olympia: Katrina Galka; Foto © Monika Rittershaus.

«Für mich ist Les Contes d’Hoffmann vor allem unglaublich tolles Musiktheater, mit einer ausserordentlichen Bandbreite von Stilen und Affekten, wie man sie sonst nicht kennt.»

(Andreas Homoki im Programmheft zur Produktion)

Regisseur Andreas Homoki ist eine ausserordentlich werkdienliche Inszenierung von Offenbachs Meisterwerk gelungen, die dem Zuschauer mit nur wenigen Versatzstücken und einer zurückhaltenden Bewegungschoreographie Raum für die eigene Phantasie lässt (Bühnenbild: Wolfgang Gussmann; Kostüme: Wolfgang Gussmann und Susana Mendoza; Lichtgestaltung: Franck Evin). Im Prolog bleibt die Bühne bis auf ein Weinfass (oder Bierfass) leer. Entsteigt die Muse dem Fass, trägt sie Weinlaub. Verkleidet sie sich als Nicklausse, legt sie das Weinlaub ab und wird bis zum Epilog Mensch. Erst dann wird sie wieder zur Göttin der Kunst. Das Weinfass ist während des ganzen Stücks auf der Bühne seitlich präsent. Für die Mittelakte besteht das Bühnenbild aus einer auf der Spitze stehenden Raute, die ihrerseits mit einem psychedelischen Rautenmuster versehen ist. Die Plattform kann bewegt werden, und so wird Antonia, die ihrer Kunst erliegt, von ihrem Flügel erschlagen. Im Olympia-Akt prägt ein Sofa den Raumeindruck und im Giulietta-Akt ein Lüster aus Murano-Glas. Homoki inszeniert für einmal eng am Libretto: er wird seiner Feststellung «Man darf diese Vielseitigkeit des Stückes nicht durch eine allzu philosophische Herangehensweise erdrücken» durchaus gerecht und inszeniert grossartiges Musiktheater. Für den Epilog hat sich das Leading Team vorgestellt, was wäre, wenn die Beziehung Hoffmanns zu Stella doch mehr Potenzial hätte. Stella ohrfeigt Lindorf und zerbricht dessen Spazierstock. Sie will eine Zukunft mit Hoffmann. Der aber lässt ihre Hand, als sie die seine ergriffen hat, um in eine gemeinsame Zukunft zu gehen, aus seiner Hand gleiten. Stella, die ihre Enttäuschung über Hoffmann überwunden hat, wäre bereit. Aber nun will Hoffmann nicht mehr.

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Le docteur Miracle: Andrew Foster-Williams; Antonia: Ekaterina Bakanova; Crespel: Wieland Satter; Foto © Monika Rittershaus.

Rollendebütant Saimir Pirgu kann als Hoffmann einen grossen Abend feiern. Die Stimme ist hervorragend geführt, die Reserven sind bestens eingeteilt und die Bühnenpräsenz als dem Alkohol verfallener Künstler überzeugt. Nur der letzte hohe Ton wäre besser etwas weniger hoch gewesen, denn hier wurde die Stimme – unnötigerweise – kurz heiser. Besonders hervorzuheben ist die absolute Textverständlichkeit. Die Entdeckung des Abends ist Alexandra Kadurina als La Muse / Nicklausse: ein perfekt geführter Mezzo mit wohl dosierter Verführung und grossartiger Bühnenpräsenz. Die Rolle scheint ihr ausserordentlich zu liegen. Bassbariton Andrew Foster-Williams überzeugt als Lindorf / Coppélius / Le docteur Miracle / Le capitaine Dapertutto auf ganzer Linie und kann das Diabolische seiner Rollen bestens zur Geltung bringen. Katrina Galka als Olympia begeistert mit gestochen scharfen, blitzsauberen Koloraturen. Ekaterina Bakanova gibt eine ausgesprochen lyrisch angelegte Antonia. Lauren Fagan interpretiert die Giulietta mit der nötigen Dramatik und grosser Bühnenpräsenz. Stella ist musikalisch, vor allem aber darstellerisch bei Erica Petrocelli in besten Händen. Spencer Lang als Andrès / Cochenille / Frantz / Pitichinaccio, Valeriy Murga als Maître Luther, Yannick Debus als Hermann, Omer Kobiljak als Nathanaël, Andrei Skliarenko als Wolfram, Oleg Davydov als Wilhelm, Iain Milne als Spalanzani, Wieland Satter als Crespel, Judith Schmid als La Voix de la tombe und Thomas Erlank als Peter Schlémil ergänzen das hochkarätige Ensemble glänzend.

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Peter Schlémil: Thomas Erlank; Pitichinaccio: Spencer Lang; Hoffmann: Saimir Pirgu; Giulietta: Lauren Fagan; Nicklausse: Alexandra Kadurina; Foto © Monika Rittershaus.

Der Chor der Oper Zürich, einstudiert von Janko Kastelic, klingt prächtig und ausgesprochen stimmschön. Er trägt seinen Teil zum «unglaublich tollen Musiktheater» (so Regisseur Homoki im Programmheft über das Werk) bei. Da der Chor wieder vom Probenraum am Kreuzplatz, wo die Corona-Regeln eingehalten werden können, eingespielt wird, übernimmt der Statistenverein am Opernhaus Zürich mit grosser Präsenz wie Präzision die Einsätze auf der Bühne (Choreografische Mitarbeit: Arturo Gama).

Die Philharmonia Zürich unter Leitung von Antonino Fogliani, der sich hier als ein sängerfreundlicher Dirigent par excellence erweist, befindet sich in überragender Form und spielt ihren Offenbach mit der nötigen Leichtigkeit und höchst präzis, kann aber auch, wo gefordert, auftrumpfen, ohne die Sänger zuzudecken. Ein besonderes Lob geht an die phantastischen Bläser!

Zürich kann doch französische Oper!

12.04.2021, Jan Krobot/Zürich

 

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