Opernhaus Zürich, Finale: Das grosse Musikfestival zum Abschluss der Saison 2019/20
Liederabend Javier Camarena, Opernhaus Zürich, 10.07.2020
Ah! Mes amis, quel jour de fête! – Ein Liederabend der Extraklasse
Als sechste Veranstaltung des Festivals Finale durfte das Zürcher Publikum einen in jeder Hinsicht exzeptionellen Liederabend erleben: Javier Camarena, am Klavier auf Händen getragen von Enrico Maria Cacciari, verwöhnte das Publikum mit Belcanto allererster Güte.
Mit einer geradezu das Publikum ansteckenden Freude, bestens sitzender Stimme und der von ihm gewohnten strahlenden Höhen begann Camarena den Abend mit „Je suis joyeux“, Arie des Peppe aus Gaëtano Donizettis „Rita ou Le Mari battu“. Mit höchst musikalischen Verzierungen und samtweicher Stimme flogte dann „Un ange, une femme inconnue“, Arie des Fernand aus Donizettis „La Favorite“.
Die perfekte Diktion Camarenas und sein enormes musikalisches Gespür liessen „Vainement, mabien-aimée“, das Morgenständchen des Mylio aus Edouard Lalos „Le Roi d’Ys“ zu einem weiteren Höhepunkt werden. Purer Genuss war das perfekt ausgedeutete „Seul sur la terre“, Arie des Dom
Sébastien aus Donizettis „Dom Sébastien, Roi du Portugal“. Camarena schloss den ersten Teil damit ab, was mancher Kollege bestenfalls als Zugabe bringt: „Ah! Mes amis, quel jour de fête“, die Kavatine des Tonio aus Donizettis „La Fille du régiment“. Das Publikum liess sich erst beruhigen, als
Camarena versprach „Ah, mes amis“ nach dem offiziellen Programm zu wiederholen.
Nach der Pause wechselte Camarena ins Italienische. Dynamisch feinstens nuanciert, höchst musikalisch verziert, wurde „Nel furor delle tempeste… Per te di vane lagrime“, Kavatine des Gualtiero aus Vincenzo Bellinis „Il Pirata“ zu einem weiteren Höhepunkt. Die Vorzüge von Camarenas Stimme, die absolut perfekte Technik, die strahlenden Höhen, die absolute Durchdringung des Textes prägten „Com’è soave quest’ora di silenzio… Anch’io provai…“, Szene und Romanze des Gennaro aus Donizettis Lucrezia Borgia, genauso wie „E fia ver? Tu mia sarai… Non può il cor, non può la mente“,
Arie des Daniele aus Donizettis „Betly ossia La capanna Svizzera“. „Lunge da lei… De miei bollenti spiriti… O mio rimorso“, Szene und Arie des Alfredo aus Giuseppe Verdis „La Traviata“, letzte Nummer des offiziellen Programms, war dann ein Blick in die Zukunft: der Blick in eine hoffnungsvolle Zukunft, denn der junge und mittlere Verdi steht Camarena nun offen.
Erste Zugabe, wieder perfekt vorgetragen, war „Una furtiva lagrima“ aus Donizettis „L’elisir d’amore“. Vor der zweiten Zugabe wandte sich Camarena erneut an das Publikum: Er sprach vom Glück auftreten und singen zu können (und das Auditorium ergänzte das Glück ihn hören zu können), erinnerte aber auch an das Leid, das die Pandemie über die Welt gebracht hat. Jenen, die COVID 19 nicht überlebt haben, widmete er Schuberts „Litanei auf das Fest Aller Seelen“ D 343. Die dritte Zugabe war dann die versprochene Wiederholung des „Ah! Mes amis, quel jour de fête“. Hier gab es, und das soll dafür stehen, welch aussergewöhnlichen Abend das Publikum erlaben durfte, mehr als neun Hohe C’s und beim Hohen C war auch nicht unbedingt Ende…
An diesem Abend wurde traditionelle italienische Gesangskunst auf allerhöchstem Niveau zelebriert.
Und wie!
11.07.2020, Jan Krobot/Zürich