Gaëtano Donizetti: Don Pasquale, Opernhaus Zürich, Vorstellung: 09.01.2020
(9. Vorstellung seit der Premiere am 08.12.2019)
Der alte Mann und das Joghurt
Wenn Don Pasquale während der inszenierten Ouvertüre lüstern eine junge Frau beobachtet, löffelt er ein Joghurt. Da Regisseur Christof Loy die Geschichte in der Gegenwart (Kostüme: Barbara Drosihn) verortet, befindet sich das Joghurt natürlich ökologisch korrekt in einem Glas.
Johannes Martin Kränzle, Julie Fuchs. Foto: Monika Rittershaus
Hebt sich dann der Vorhang zum Stück, stellt sich heraus, dass es nur ein Traum, eine Vision war. Der Alltag ist wieder da, statt der jungen, hübschen Frau sieht Don Pasquale, wenn er aus dem Fenster blickt, einen kahlen Baum.
Es war ein feuchter Traum für Don Pasquale, denn die junge Frau, bald stellt sich heraus, dass es Norina war, erfüllt wohl alle Kriterien der Traumfrau von Don Pasquale, sei es nun die Form des Décolleté oder das laszive Rauchen. Für Ernesto, Don Pasquales Neffen, war es ein Albtraum, aus dem er emporschreckt. Das Thema Heirat scheint als schon länger aktuell zu sein…
Johannes Martin Kränzle, Julie Fuchs. Foto: Monika Rittershaus
In diesen wenigen Minuten werden die Stärken wie die Schwächen von Loys Inszenierung deutlich. Zu den Stärken gehört auf jeden Fall die differenzierte Personenführung Loys. Don Pasquale ist beim Loy ein älterer Herr, der allein einen repräsentativen Altbau, wie er ohne Probleme am Zürichberg zu finden sein dürfte, bewohnt (Bühnenbild: Johannes Leiacker). So wie er das Joghurt aus dem Glas löffelt, scheint ihm das in früheren Zeiten jemand als gesund ans Herz gelegt zu haben. Vielleicht war er einmal verheiratet, wer weiss. Nun ist er aber, und darunter leidet er, allein. Er ist nicht mehr der Jüngste, und so ist das Thema des Erben aktuell. Ernesto wird ihn einmal beerben. Nach welcher Façon er glücklich wird, möchte sein Onkel dann aber schon noch mitbestimmen. Norina, in die Ernesto verliebt ist, passt Don Pasquale, der Generationenkonflikt lässt grüssen, ganz und gar nicht. Im Bestreben nun endlich einmal wieder Rückgrat zu zeigen, beschliesst er nach seinem Traum selbst zu heiraten. So wie Ernesto hochschreckt, muss er etwas geahnt haben.
Die differenzierte Personenführung in Kombination mit dem Hyperrealismus der Inszenierung ist aber auch ihre grosse Schwäche. Loy weist im Programmheft darauf hin, dass es sich bei „Don Pasquale“ nicht um eine „opera buffa“ sondern ein „dramma buffo“ handelt, über dem zudem ein leichter melancholischer Schleier, eine gewisse Traurigkeit liege. Loy stellt fest, man spüre, dass die Dinge zu Ende gingen. Es gebe in dem Spätwerk Donizettis, entstanden als seine tödliche Krankheit ausbrach, eine Nähe zum Tod.
Loy legt letztlich zu viel Gewicht auf das „dramma“ der Gattungsbezeichnung und vergisst dabei das „buffo“. Sein Ansatz würde vielleicht passen, wenn es um ein Werk des Verismo ginge, aber nicht für ein Meisterwerk des Belcanto, der romantischen italienischen Oper. Die Hyperpsychologisierung tötet noch den letzten Moment „buffo“ ab: von der Leichtigkeit und Wärme der Musik ist nichts mehr übrig. Das Cello-Solo der Ouvertüre, als Beispiel, passt nun so gar nicht zum Gaffen und Geifern Don Pasquales.
Die szenische Stimmungslosigkeit setzt sich leider auch im musikalischen Bereich fort. Für die letzte Vorstellung steht Carrie-Ann Matheson an der Spitze der Philharmonia Zürich und bringt Orchester und Solisten sicher durch den Abend. Die musikalische Interpretation leidet darunter, dass Enrique Mazzola, der die Produktion einstudiert hat, die Partitur mit deutscher Gründlichkeit von „Traditionen“ gereinigt hat. So bleibt letztlich eine genauso korrekte wie blutleere Umsetzung.
Der von Ernst Raffelsberger vorbereitete Chor der Oper Zürich leidet wie alle anderen unter dem Hyperrealismus. Die von Norina veranstaltete moderne Party passt so gar nicht zu Donizettis Musik.
Der Lichtblick der Produktion ist Julie Fuchs in der Rolle der Norina. Mit stupender Technik gelingt ihr eine charmante, glaubwürdige Interpretation des jungen Mädchens. Mingjie Lei gibt ihren Geliebten Ernesto. Seine Stimme hat sich gegenüber der zweiten Vorstellung deutlich erholt. Johannes Martin Kränzle setzt Loys Konzept mit allen Stärken und Schwächen perfekt um. Begeisterung vermag er damit nicht zu wecken, bestenfalls Bewunderung für die schauspielerische Leistung. Konstantin Shushakov als Dottore Malatesta bestreitet auch diesen Abend ohne grosse Variation von Farbe oder Lautstärke der Stimme. Dean Murphy (Carlotto), R. A. Güther (Sergio), David Földszin (Ugo) und Ursula Deuker (Clara) ergänzen das Ensemble.
Keine weiteren Aufführungen in dieser Saison.
10.01.2019, Jan Krobot/Zürich