Cathy Marston: Clara • Opernhaus Zürich • Uraufführung: 11.10.2024
Clara? Robert!
Das Ballett Zürich startet mit der Uraufführung von Cathy Marstons «Clara» in die neue Saison. Das Publikum würdigt den Abend mit lautstarker Begeisterung.
Foto © Carlos Quezada
Cathy Marston verarbeitet in ihrer neuesten Choreographie «Clara» das Leben von Clara Schumann (1819-1896), der bedeutendsten Pianistin und eine der bedeutendsten Komponistinnen des 19. Jahrhunderts. Die spätere Wahrnehmung als Gattin (ab 1840) Robert Schumanns (1810-1856) entspricht nicht den Verhältnissen zu ihren Lebzeiten. Damals war sie die Berühmtheit und sie hielt die Beziehung und die Familie in jeder Hinsicht am Leben. «In ihrem Ringen um künstlerische, menschliche und ökonomische Autonomie», so Marston im Programmheft, «ist Clara Schumann im 19. Jahrhundert eine geradezu einzigartige Erscheinung». «Wir reden heutzutage viel über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. … Das ist fast unvereinbar, wenn der Sinn des Lebens im Musizieren besteht» (Zitat Programmheft). Und doch hat es Clara Schumann geschafft, bevor man die Formulierung der «Vereinbarkeit von Beruf und Familie» kannte, ihre Kunst und Karriere und ihre Familie in Einklang zu bringen, zu vereinbaren. Sie managte ihre Kunst und Karriere wie auch die ihres Mannes und sie war es, die der Familie wirtschaftlich das Überleben sicherte.
Das Leben von Clara Schumann, das Cathy Marston (Choreografie und Inszenierung) in ihrer Choreographie verarbeitet, sind die ersten 37 Jahre bis zum Tode Robert Schumanns (29.07.1856). Ihre zweite Lebenshälfte von doch immerhin 40 Jahren Dauer lässt sie ausser acht. Der Entscheid zu dieser Einschränkung ist durchaus nachvollziehbar, führt in letzter Konsequenz aber dazu, dass Clara doch wieder als Gattin Roberts (Karen Azatyan) wahrgenommen und dieser zur Hauptfigur der Choreographie wird («Er ist die eigentliche Hauptfigur des Balletts»; Zitat Programmheft). Hinzu kommt, dass Marston die Rolle der Clara, um sie, ausgehend von den sieben Melodietönen einer Tonleiter und den entsprechenden weissen Tasten auf dem Klavier, in Beziehung zu ihrem Instrument darzustellen, auf sieben Tänzerinnen aufspaltet. Diese sieben Tänzerinnen verkörpern sieben Facetten ihrer Persönlichkeit: Das Wunderkind (Giorgia Giani), die Künstlerin (Ruka Nakagawa), die Ehefrau (Nancy Osbaldeston), die Mutter (Sujung Lim), die Pflegerin (Inna Bilash), die Managerin (McKhayla Pettingill) und die Muse (Max Richter). Im ersten Moment ist auch dieser Entscheid nachvollziehbar, denn er erscheint eine vertiefte Beschäftigung zu ermöglichen. Letztlich spaltet er aber die Persönlichkeit in sieben nicht genau abzugrenzende Teile (die Ehefrau, die ihm als Muse acht Kinder gebar war natürlich auch Mutter). Das verbindende Element, das aus diesen Facetten («Dieser Chor von Claras ist sozusagen die Tastatur, auf der ich als Choreografin spiele»; Zitat Programmheft) Clara zusammensetzt, ist die Figur des Robert. So wird Robert zur Hauptfigur von «Clara». Wenn nun jeder Akt noch ein anderes musikalisches Zentrum (erster Akt: Clara Schumann; zweiter Akt: Robert Schumann; dritter Akt: Johannes Brahms(Chandler Dalton)) hat, ist einer zeitgemässen Sicht auf Clara Schumann ist damit nicht gedient. Der Schlussapplaus bestätigt die Eindrücke: die Tänzer des Robert Schumann und Johannes Brahms erhalten vom 2. Rang (oder doch nur einer lautstarken Claque) am meisten Applaus.
Getanzt wird, wie in Zürich eigentlich fast immer, famos. Esteban Berlanga als Friedrich Wieck, Pablo Octávio als Joseph Joachim, Shelby Williams als Mariane Wieck, Joel Woellner als Adolph Bargiel und Francesca Dell’Aria als Christel ergänzen das gefeierte Ensemble. Marston erzählt die Geschichte (Szenarium: Cathy Marston, Edward Kemp) stringent mit klassischem Vokabular. Hildegard Bechtlers Bühnenbild ist von Claras Instrument, dem Klavier, inspiriert. Die Kostüme von Bregje van Balen nehmen im Fall der sieben Claras das Bild des Klaviers auf, die übrigen Figuren sind zeitgenössisch gekleidet. Martin Gebhardt (Lichtgestaltung) setzt den Abend ins richtige Licht.
Foto © Carlos Quezada
Die Partitur des Abends (Musikarrangements und Originalkomposition) stammt vom britischen Komponisten und Pianisten Philip Feeney. Er studierte Komposition an der Universität Cambridge und an der Accademia di Santa Cecilia in Rom. Er hat viel für den Tanz komponiert und mit Choreografinnen und Choreografen wie Cathy Marston, Michael Pink, Didy Veldman, David Nixon, Sharon Watson, Alexei Ratmansky und Dani Rower für so unterschiedliche Compagnien wie Northern Ballet, Rambert, Ballet Black, Cullberg Ballet, San Francisco Ballet, The Joffrey Ballet, Fabulous Beast, Scottish Dance Theatre, Milwaukee Ballet und Les Grands Ballets Canadiens zusammengearbeitet. In seiner Ballettpartitur verwendet Philip Feeney folgende Originalkompositionen:
- Akt
Clara Schumann: Präludium f-Moll
Clara Schumann: Scherzo Nr. 1 d-Moll op. 10
Clara Schumann: Notturno op. 6 Nr. 2
Robert Schumann: Fantasiestücke op. 12, Nr. 7 Traumes Wirren
Robert Schumann: Streichquartett a-Moll op. 41 Nr. 1, 4. Satz
Clara Schumann: Romanze op. 11 Nr. 3
Robert Schumann: Waldszenen op. 82, Nr. 7 Vogel als Prophet
Robert Schumann: Liederkreis op. 39, Nr. 5 Mondnacht
Clara Schumann: Klavierkonzert a-Moll op. 7, 1.Satz
Clara Schumann: Scherzo Nr. 2 c-Moll op. 14
Clara Schumann: Klavierkonzert a-Moll op. 7, 2. Satz
- Akt
Robert Schumann: Myrthen op. 25, Nr. 1 Widmung
Robert Schumann: Myrthen op. 25, Nr. 3 Der Nussbaum
Robert Schumann: Album für die Jugend op. 68, Nr.1 Melodie
Robert Schumann: Dichterliebe op. 48, Nr. 1 Im wunderschönen Monat Mai
Robert Schumann: Klavierkonzert a-Moll op. 54, 1. Satz
Robert Schumann: Sinfonie Nr. 4 d-Moll op. 120, 1. Satz
Robert Schumann: Bunte Blätter op. 99, 1. Satz
Johannes Brahms: Variationen über ein Thema von Robert Schumann op. 9 Nr. 4
Johannes Brahms: Variationen über ein Thema von Robert Schumann op. 9 Nr. 12
Johannes Brahms: Scherzo Es-Dur op. 4
- Akt
Robert Schumann: Liederkreis op. 39, Nr. 1 In der Fremde
Johannes Brahms: Variationen über ein Thema von Robert Schumann op. 9 Nr. 9
Clara Schumann: Variationen über ein Thema von Robert Schumann op. 20 Nr. 3
Robert Schumann: Liederkreis op. 39, Nr. 7 Auf einer Burg
Clara Schumann: Romanze op. 21 Nr. 1 C-Dur
Clara Schumann: Variationen über ein Thema von Robert Schumann op. 20 Nr. 7
Johannes Brahms: Klavierkonzert Nr. 1 op. 15, 2. Satz
Die hochkonzentriert aufspielende Philharmonia Zürich wird im Graben von der Pianistin Ragna Schirmer unterstützt. Daniel Capps (Musikalische Leitung) wird das Lautstärken-Management im Laufe der Folgevorstellungen sicher noch perfektionieren.
Weitere Aufführungen:
Di. 15. Okt. 2024, 19.00; So. 20. Okt. 2024, 19.00; So. 27. Okt. 2024, 14.00; So. 27. Okt. 2024, 20.00; Mi. 30. Okt. 2024, 19.00; Fr. 01. Nov. 2024, 19.00; Sa. 02. Nov. 2024, 19.00; Sa. 09. Nov. 2024, 19.00; So. 10. Nov. 2024, 20.00; Fr. 15. Nov. 2024, 19.00.
13.10.2024, Jan Krobot/Zürich