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ZÜRICH/ Opernhaus: ANNA BOLENA (5. Vorstellung) – Die Entwicklung geht in die richtige Richtung

Gaëtano Donizetti: Anna Bolena • Opernhaus Zürich • Vorstellung: 23.12.2021

(5. Vorstellung • Premiere am 05.12.2021)

Die Entwicklung geht in die richtige Richtung

Sex, Crime and Royalty: a very British Anna Bolena at Zurich Opera – Seen  and Heard International
Foto © Toni Suter

Die Philharmonia Zürich unter Leitung von Enrique Mazzola spielt auch an diesem Abend mit viel Leidenschaft traumhaft sicher. Jeder Moment wird genüsslich ausgekostet, seien es die wunderbar herausgearbeiteten Streicher der Ouvertüre, der dramatisch Zugriff, die an Bellinis Melodien gemahnenden Momente oder die herausragenden Soli der Bläser. Mazzola hat das Geschehen im Graben voll im Griff und gelangt so zu eine gleichermassen sichtbar entspannten wie hörbar beflügelten Dirigat.

Ausgangspunkt von David Aldens Inszenierung ist wiederrum der mit weissem Stein eingefasste, gefängnisartige Bühnenraum und das Prinzip mit Video-Einblendungen (Video: Robi Voigt) und Versatzstücken Atmosphäre zu schaffen (Ausstattung: Gideon Davey). Für intimere Momente gibt es eine Wand aus dunklem Nussbaum, die die Kälte etwas mindert. Da sie auch eine Galerie enthält, von der aus der Chor das Geschehen kommentieren kann, ist die Trennung nicht ganz konsequent. Es gibt aber durchaus stimmige Momente, wie zum Beispiel noch während der Ouvertüre, wenn Annas kleine Tochter Elisabeth auf dem Thron sitzt, sich angesichts dessen, was sie schon erlebt hat vor Grauen krümmt und die Ohren zuhält und dem als debil gezeichneten Rochefort mit einer goldenen Papp-Krone – erfolglos, denn sie zerreisst sie danach – verführt wird. Zu den weiteren Versatzstücken gehören dann das Portrait von Heinrichs erster Gattin Katharina von Aragon (Joannes Corvus zugeschrieben), mit der Enrico Giovanna konfrontiert, als er ihr erklärt ein Mittel zur Trennung von Anna Bolena gefunden zu haben, ein Rasenteppich und ausgestopfte Greifvögel für die Jagdszene oder rote, an das englische Parlament erinnernde Sitzbänke für die Gerichtsszene. Als Annas Todesurteil gesprochen ist, wird ein überlebensgrosses Skelett hereingefahren, das Enrico das Urteil überreicht. Für die Kostüme hat sich Davey von Kleidung vom Mittelalter bis zur Gegenwart inspirieren lassen und diese dann wild, aber immer stimmig kombiniert. Elfried Roller setzt das kaum geordnete Sammelsurium von Aldens Assoziationen ins rechte Licht. Mit dem wunderbar klingenden Chor der Oper Zürich (vorbereitet von Ernst Raffelsberger) weiss Alden wenig anzufangen; den Statistenverein am Opernhaus Zürich setzt er für Umbauten ein.

Luca Pisaronis Stimme hat nun eine schöne Wärme. Als Enrico VIII hat er in das Konzept der Rolle und zur Souveränität, die es ihm ermöglicht die Rolle zu verkörpern und nicht nur darzustellen gefunden. Auch Diana Damrau als Anna Bolena singt wesentlich freier als in der letzten Vorstellung oder der Premiere und entwickelt eine szenische Präsenz und Intensität, die, auch wenn ihr das letzte Quäntchen Agilität fehlt, an die Grossen ihres Fachs erinnert. Die Stimme trägt weiterhin gut, wirkt aber im Vergleich zu der ihrer Gegenspielerin Giovanna Seymour eher klein. Karine Deshayes hat eine «Riesenstimme» mit einer Lautstärke, die auch im grössten Haus den hintersten Winkel erreicht. Und genau das ist das Problem der Produktion: die Lautstärke und damit die Wirkung ihres Auftritts. Das Gleichgewicht im Rollengefüge ist nachhaltig gestört, denn, solange sich nichts ändert, bleibt es beim akustischen Eindruck, sie sei die Prima Donna: Giovanna Seymour ist aber die Seconda Donna. Hinzu kommen unangenehme Schärfen ab dem Forte. Dabei zeigt Deshayes in intimeren Momenten, dass sie auch ganz anders könnte. Stanislav Vorobyov gibt einen tadellosen Lord Rochefort. Alexey Neklyudov singt den Lord Riccardo Percy mit grossem Einsatz und Stilbewusstsein. Im «Vivi tu» im zweiten Akt, einem der beliebtesten Vortragsstücke von Giovanni Battista Rubini, dem Donizetti die Arie in die Kehle komponierte, gerät Neklyudov deutlich hörbar an seinen Grenzen und kann einzelne Töne nur noch markieren. Dilara Bastar ist für die erkrankte Nadezhda Karyazina eingesprungen und bot eine stilistisch wie szenisch perfekte Interpretation des Smeton. Sie nennt einen tadellos gepflegten Mezzo mit eindrucksvollen Tiefen ihr Eigen, den man wiederzuhören sich auf jeden Fall freut. Nathan Haller gibt mit strahlendem Tenor den Sir Hervey.

Die Entwicklung geht in die richtige Richtung.

Weitere Aufführungen: Mi.29. Dez., 19.00; So. 02. Jan., 14.00; Mi. 05. Jan., 19.00; So. 09. Jan., 20.00; Do.13. Jan., 19.00.

24.12.2021, Jan Krobot/Zürich

 

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