Jakub Józef Orlínski als Cyrus. Foto: Herwig Prammer
Zürich: BELSHAZZAR (G.F. Händel) – Premiere: 3.11.2019
„Menetekel für heute“
Nachdem Händel in London mit seinen Opern nicht mehr reüssieren konnte, verlegte er sich auf das Oratorium, das aber im dramaturgischen Aufbau nicht weniger stringent sein sollte als eine Oper. Davon zeugt auch, dass die Oratorien primär nicht in Kirchen, sondern in weltlichen Gebäuden und oft szenisch angedeutet aufgeführt wurden. Wenn nun der Regisseur des Abends, Sebastian Baumgarten, Händels Oratorium „Belshazzar“ zu einer wahren Bühnenshow (Bühnenbild: Barbara Steiner, Lichtgestaltung: Elfried Roller) aufputzt, ist das wohl ganz recht in diesem Sinne. Aber es bleibt nicht eine reine Bühnenshow. Denn mit allen Mitteln des heutigen Theaters, inklusive Video (Hannah Dörr), der Verfremdung und der Stilmischungen entwirft Baumgarten ein eindrückliches Menetekel für heutige Tage. Die Schrift, die hier nicht „schrieb und schwand“, wie in der Ballade von Heine, sondern quasi als Tattoo auf dem Unterarm von Belshazzar unverwischbar bleibt, ist die Antwort von „höherer Stelle“ auf die Gotteslästerung des babylonischen Königs. Baumgarten setzt das Menetekel für die heutige Zeit um: Bilder und Filme zeigen eindeutig die Umweltverwüstung, die dauernden kriegerischen Auseinandersetzungen, die zu keinem Ende führen, der Niedergang der humanitären Werte. Alles das gilt unter diesen Vorzeichen für die heutige Zeit.
Die Konflikte zwischen den am Glauben festhaltenden und gefangen gehaltenen Juden, den sie bedrängenden und niedergehenden Babyloniern und den bedrohenden Persern ist in den gewaltigen Chören, wie Händel sie nun mal komponieren konnte, und in den jeweiligen Exponenten wie Belshazzar, Daniel und Cyrus fokussiert. Als Empathie einfordernde Figur ist die Königin Nitocris, Mutter von Belshazzar und gleichzeitig auch sein schlechtes Gewissen verkörpernd, das eigentliche Zentrun dieser Aufführung. Layla Claire singt diese anspruchsvolle Partie mit Engagement und versierter Technik, neigt aber auch manchmal etwas zur Schärfe. Für die trauernde Mutter findet sie im 2. Akt berückende Töne. Als ihr Sohn Balshazzar ist Mauro Peter vor allem in der ersten Arie als zügelloser König mit seiner schönen Stimme beeindruckend. Leider musste er teilweise Partien weit im Hintergrund der Bühne singen. Als Daniel, charismatischer Leader der Juden, ist die junge Norwegerin Tuva Semmingsen darstellerisch überzeugend – die angeklebten langen Finger hätte man ihr ruhig ersparen dürfen – , aber sie verfügt über einen angenehmen Mezzo, war aber zeitweise kaum zu hören. Dagegen verliess sich Evan Hughes (Gobrias) auf seine robuste Bass-Stimme. Im Zentrum des medialen Interesses stand Jakub Józef Orlínski als Cyrus, der seinen hell fokussierten Counter geschickt durch die Koloraturen führt, dabei auf Ausdruck geht und auch von der Körpersprache her als schillernde Figur beeindruckt. Als schlauer Überläufer in den feindlichen Reihen reitet er, nachdem die Babylonier durch den von ihm veränderten Lauf des Euphrat im wahrsten Sinn ausgetrickst worden sind, als Sieger auf einem riesigen Puma in Babylon ein und stellt die Ordnung sozusagen wieder her. Dazu zeigt Baumgarten Bilder vom drohenden Weltuntergang, denn mit dem Menetekel ist nicht zu spassen – und das, obwohl der Chor zu einem Marsch-Rhythmus (Choreographie: Thomas Wilhelm) kräftige Einwürfe mit „Amen!“ intoniert, quasi zum Trotz.
Jakub Józef Orlínski als Cyrus. Foto: Herwig Prammer
Es sind auch die Sängerinnen und Sänger des Chors der Oper Zürich mit Zuzügern (Einstudierung: Janko Kastelic), die ganz famos sind und – Dank an den Regisseur – sängerfreundlich frontal ins Publikum singen dürfen. Von den vielen kleineren Partien waren alle gut besetzt: Die drei Weisen mit Thomas Erlank, Oleg Davydov und Katia Ledoux und weitere Solisten wie Yvonne Barthel, Evelyn Angela Gugolz, Lynn Clea Ismail, Anne Virkkunen, Benjamin Mathis und Sebastian Zuber.
Sehr gut auch wieder die Musikerinnen und Musiker der Scintilla, die unter der Stabführung von Laurence Cummings einen zügigen, relativ gemässigten historisch informierten Barockstil praktizierten. Das Continuo war wieder Klasse: Joan Boronat Sanz (Cembalo), Claudias Herrmann (Violoncello), Brian Feehan (Theorbe) und Dariusz Mizera (Kontrabass).
John H. Mueller