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ZÜRICH: IL VIAGGIO A REIMS – ad absurdum geführte Regie. Premiere

07.12.2015 | Allgemein, Oper

Zürich: Il Viaggio a Reims – Premiere 6.12.2015
Ad absurdum geführte Regie  

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Copyright: Monika Rittershaus

Da hat der „Schwan von Pesaro“ ein höchst sonderbares Werk geschrieben. Ist das überhaupt noch eine Oper? Er selbst hat sie als „Cantata“ bezeichnet. Zu den Krönungsfeierlichkeiten des vom Glück nicht gerade überhäuften Bourbonenkönigs Karl X. komponierte Gioacchino Rossini eine Oper eben über diese Krönungsfeierlichkeiten. Rossini wäre aber nicht Rossini, wenn er sich nicht einen absurden Spass draus gemacht hätte. Die Reisegesellschaft, die tatsächlich unterwegs zu diesen Feierlichkeiten ist, bleibt wegen „verschwundener Pferde“ im Badehotel „Zur goldenen Lilie“ (wohl ein Augenzwinkern hinsichtlich Bourbonenwappen) stecken und vertreibt  sich dort die Wartezeit mit Amouren, Streitigkeiten, Intrigen und handfesten Krächen. Eine recht absurde Situation. Eine Handlung im strikten Sinn weist das Libretto daher nicht auf. So mag es durchaus auch streckenweise den Eindruck erwecken, dass Langweile aufkommen und der Abend sich in die Länge ziehen könnte. Wie Christoph Marthaler, der hier mit „seiner“ Bühnenbildnerin Anne Viebrock, die auch für die alltäglich-witzigen Kostüme verantwortlich zeichnet, dieses Problem löst, war aufschlussreich für seine eigentümliche Regiearbeit. Wir kennen den Stil Marthalers mit seinen merkwürdigen Verdrehungen, synchron laufenden Handlungssträngen, der „beziehungslosen“ Personenführung. Marthaler und Viebrock misstrauen offenbar der historischen Vorlage und versetzen die Handlung in die Architektur des Bonner Kanzler-Bungalows und zudem in die aktuelle Jetztzeit. Moderne Sachlichkeit, Glaswände, weisse Vorhänge, viele Türen, ein merkwürdig klein geratenes blaues Schwimmbad (leider nicht einsichtig von vielen Plätzen im Opernhaus!!!) stellen die gedankliche Verbindung zwischen der wie zufällig zusammengewürfelten Reisegesellschaft und der mehr oder weniger aktuellen politischen Situation in der EU her. Die an den Wänden angelehnten Gross-Porträts der  internationalen und schweizerischen Polit- und Medien-Prominenz (Blatter, Bischof Haas etc.) winken mit dem sprichwörtlichen Zaunpfahl… Das Badehotel wird zum mondänen Wellness-Spa, wo merkwürdig gestörte Leute auf eine nicht gerade empatische Weise behandelt werden: Die Absurdität der Handlung, diese „kleinen“ Intrigen und Amouren, bestimmten ja schon immer die „zwischenmenschlichen“ Beziehungen. Na schön. Aber das gibt dem Abend leider keinen Drive. Die „Marthalersche Verlangsamungs-Technik“, wo viel Witziges aber auch unnötig Blödes zu sehen ist, hilft der Sache auch nicht gerade und dehnt den Abend in nicht enden wollende Langeweile. Aber ja, in der Tat, da gab es viele witzige, komische Einfälle zu sehen – fast zu viele – und die Personen bewegten sich nahezu autistisch aneinander vorbei. Auch ein Zeichen nicht nur des menschlichen Zusammenlebens, sondern eben auch der Politik, zu der Marthaler diese „Cantata“ umformt. Die Streitereien werden an Rednerpulten mit entsprechenden Fähnchen (hahaha….) ausgefochten. Bei den Liebesduetten – drei an der Zahl – bewegen sich die Protagonisten oft ungeschickt, wie dies Liebende mitunter tun, wirken dadurch aber auch oft wie Parodien ihrer selbst. Es ist hier nicht der Platz, die Inszenierung zu erzählen. Aber eine Aussage (Gottseidank!) enthält dann doch der sehr lang geratene Abend  durch das Finale. Hier wird in strahlendem Dur „Friede, Freude, Eierkuchen“ besungen. Die Reise kann aber nicht fortgesetzt werden, da augenfällig geborstene Wrackteile eines abgestürzten Flugzeuges hereingetragen werden. Die aus den Vertretern der verschiedenen europäischen Nationen zusammengewürfelte Reisegesellschaft repräsentiert das in Schockstarre verharrende Europa der Gegenwart. So weit, so gut. Marthaler hat sich in der Tat etwas überlegt, nur bleibt nach der ganzen Übung leider festzustellen, dass der riesige Aufwand mit 18 Sängerinnen und Sängern, Statisten, Chor etc. – im Vergleich zum fein witzigen Werk Rossinis – allzu leicht verpufft.
Die Sängerschar war vorzüglich: Rosa Feola (Corinna) begeisterte mit lyrischem Sopran in ihren mit Harfe begleiteten Arien,. Anna Goryachova (La Marchesa Malibea) mit dunklem Mezzo und adrettem Äussern sowohl Aug als auch Ohr.  Julie Fuchs (La Contessa de Filleville), als blonde Tussi eingekleidet, brillierte mit schnellen Koloraturen, manchmal in der Höhe zur Schärfe neigend, und Serena Farnocchia (Madame Cortese) mit ihrem schönen italienischen Timbre. Ein Glanzpunkt war Liliana Nikiteanu als Maddalena, die als Hausdame ein Kabinettstück Marthalerscher Bewegungstechnik ablieferte. Javier Camarena (Il Conte di Libenskof) war brillant bei Stimme, sang jedoch die Rossini-Höhen mit Druck und Verengung. Dagegen war Edgardo Rocha (Il Cavaliere Belfiore) mit weich timbriertem Belcanto-Tenor für Zürich eine Entdeckung. Nahuel Di Pierro verkörperte den English Gentleman Lord Sidney in Ed-Wood-Manier, sang gut und Scott Connor (Don Profondo) war mit gerundetem Bass vor allem im oberen Stockwerk im nach oben verlegten Bunker in der Abhörzentrale zu Gange. Muss das sein?…Das Ensemble vervollständigten höchst ansprechend: Yuriy Tsiple (I Barone di Trambonok), Pavol Kuban (Don Alvaro), Roberto Lorenzi (Don Prudenzio), Spencer Lang (Don Luigino), Iain Milne (Zefirino) und Ildo Song (Antonio). Bei den Damen waren es Rebeca Olvera (Modestina) und Estelle Poscio (Delia). Zwei Schauspieler waren auch dabei: Christopher Hux und Marc Bodnar  als die zwei von der Regie völlig überflüssig dazu erfundenen Sprech-Figuren Günter Bröhl und Gelsomino.

Der Chor stand unter der Einstudierung von Ernst Raffelsberger und absolvierte seine Einsätze wie immer zuverlässig und sicher. Die Philharmonia Zürich war für den Rossini-Klang bei Daniel Rustioni gut aufgehoben, nur manchmal ging der Dirigent mit seinen Musikern an die Schmergrenze in der Lautstärke, konnte aber das ganze Ensemble in seinen schwierigen Gesangs-Partien gut unterstützen. – Ab 6. März steht Rossinis „Le Conte Ory“ wieder auf dem Spielplan des Opernhauses Zürich, die Oper, in der Rossini Einiges aus seinem „Viaggio“ recyclet hat..…       

John H. Mueller

    
 

 

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