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ZÜRICH: FIDELIO . Anja Kampes engagierte Leonore. Premiere

09.12.2013 | KRITIKEN, Oper

Zürich: FIDELIO – Premiere 8.12.2013

Anja Kampes engagierte Leonore

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Anja Kampe

Bei der Einführung anlässlich der Sonntags-Matinee vom 24.11. erklärte Regisseur Andreas Homoki sehr plausibel sein Konzept, wie er mit dem Sorgenkind Fidelio zu Recht kommen wolle. Von „Zurechtkommen“ kann keine Rede sein, denn Homoki misstraut dem dramaturgischen Aufbau der Oper Beethoven und stellt das Quartett „Er sterbe“ aus dem Kerkerakt voran. Dabei tritt Leonore in Frauenkleidern im Kerker auf und wird beim Handgemenge von ihrer eigenen Pistole erschossen. Beim Trompetensignal „switcht“ dann die Musik auf die Dritte Leonore-Ouvertüre um, wobei sich Leonore wieder erhebt und offenbar in einer andern Welt, der von ihr imaginierten Utopie, befindet. Dann beginnt direkt die Handlung, ohne Fidelio-Ouvertüre, aber mit Marzellines Arie (wie in der Urfassung), und sie ist es, die Leonore als Mann einkleidet. Homoki betont, dass es Marzelline das so wolle, um sich aus ihrem bürgerlichen Milieu zu befreien, dies mittels einer Heirat mit Fidelio-Leonore. Nun ja, das mag ja noch angehen. Die Handlung wird sodann, unter Weglassung der gesprochenen, aber teilweise wiederum projizierten und vom Tonband gesprochenen Dialoge relativ konventionell weitergeführt. Auf einer zu einer Schachtel verkleinerten. klaustrophobischen Bühne (Henryk Ahr), deren Rückwand ab und zu nach hinten geklappt wird, wird teilweise Brecht‘sch verfremdet (mit Einblendungen von Schriften)  und dann wieder ganz konventionell opernhaft agiert. Ein befremdlicher Mix von Stilelementen, der dem Beethoven‘schen Vorwurf, am dem sich wohl jeder Regisseur abarbeiten muss, auch nicht weiterhilft. Frage: Was ist denn so unmöglich, an den drei Ebenen dieses Werkes? Sind denn nicht auch die schlimmsten Schergen eines autoritären Regimes oft in miefiger Kleinbürgerlichkeit zu Hause, oft ganz nah zu ihren Einrichtungen der menschlichen Verachtung? Auch das Durchspielen der Oper ohne Pause bringt zwar Einiges an Stringenz, aber auch Ermüdung auf beiden Seiten. Zumal, wohl bedingt durch die Megafon-hafte Verstärkung des Schachtel-Bühnenbildes, eine Klangmassierung festzustellen war, die oft an die Schmerzgrenze ging. Es darf einfach nicht sein, dass der Schlusschor dermassen frontal zum Publikum im wahrsten Sinn des Wortes „durchgebrüllt“ wird.

Auch konnte der Sänger des Florestan, Brandon Jovanovich, der zwar über eine gesunde laute Stimme, aber wenig Differenzierung verfügt,  kaum Empathie erwecken. Einfach gesagt, es war einfach zu laut und grob gesungen. Dagegen bemühte sich Anja Kampe als Leonore da schon wesentlich künstlerischer um die Glaubhaftmachung ihrer Figur. Mit grossem persönlichen Engagement und mit bis an die Grenze ihrer in der Höhe doch beschränkten Stimme gehend, vermochte sie doch Farben, Hoffnung und Verzweiflung auszudrücken. In ihrer grossen Arie gelangen ihr besonders schön der „Farbenbogen“ und erstaunlich gut der mörderische Schluss. Als Marzelline konnten wir bei der jungen Julie Fuchs eine bezaubernde lyrische Stimme vernehmen, die technisch gut geführt wird und auch Farben und persönliches Timbre aufweist. Als ihr Partner konnte der ebenfalls junge Schweizer Mauro Peter einen stimmlich erfrischenden und gesunden Jacquino auf die Bühne stellen; allerdings blieb er von der Regie her durchaus in der Konvention stecken. Christoph Fischesser als Rocco war erstaunlich jung dargestellt und vermochte den Konflikt (= Optimierung seines Gehaltes mittels Bestechung vonseiten Pizarros), in dem er sich als zwar gutmütiger, aber auch beschränkter Kerkermeister wiederfindet, zum Ausdruck bringen. Seine Stimme klingt gepflegt und angenehm. Nicht dagegen gelang es Martin Gantner als Pizarro mit seiner hell timbrierten Stimme, die auch volumenmässig unterdotiert schien, der höchst anspruchsvollen Partie gerecht zu werden. Darstellerisch war er als wildgewordener Schreibtischtäter überzeugend, wie er mit schiefem Gang Hinterhältigkeit bei aller Biederkeit verkörperte. Ruben Drole konnte aus seinem kurzen Auftritt, der ihm von der Seite gestattet war, nicht übermässig punkten. Stimmlich dürfte ihm auch diese Partie nicht gerade optimal liegen, obwohl Drole eine gute Technik besitzt, auch solches zu bewältigen. Die beiden Gefangenen (Alessandro Fantoni, Christoph Seidl) waren passabel. Der Chor (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) sang den Gefangenenchor wunderbar und ergriffen (manchmal von der Gestik etwas gar theatralisch), dann leider die Schlusskantate „Wer ein holdes Weib errungen“ zwar rhythmisch prägnant, aber – wie bereits vermeldet – viel zu laut. Es wäre eigentlich am Dirigenten gelegen, die klanglichen Massen, die wohl durch die Bühnenbild-Schachtel bedingt, in eine Balance zum Haus zu bringen.

Fabio Luisi ist aber den Sängern gegenüber ein höchst einfühlsamer Musiker, der mit einem ausbalancierten, transparenten Klang den Grundrhythmus gibt, auf dem sich das ganze Werk aufbauen lässt. Luisi pflegt einen Beethoven-Stil, der weder besonders pathetisch noch von historischer Aufführungspraxis „angekränkelt“ ist, sondern dirigiert einen wundervoll entspannten Beethoven, ohne aber neue Interpretations-Perspektiven aufzuzeigen.

Wenn alles etwas leiser gesungen würde, könnte man sich auch mit dem Regie-Konzept, das einen Versuch durchaus wert ist, anfreunden. Aber es zählt nun mal ganz primär die Musik, und die muss ja nicht in erster Linie lautes Geräusch vermitteln…

John H. Mueller         

 

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