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ZÜRICH: DON CARLO. Wiederaufnahme

16.02.2014 | KRITIKEN, Oper

ZÜRICH: DON CARLO – Wiederaufnahme in teils neuer  Besetzung – 15.2.2014  

Unbenannt
Posa (Michael Volle) zwischen Veronica Simeoni (Eboli) und Lianna Haroutounian (Elisabetta). Copyright Judith Schlosser

Die aus dem Jahre 2012 der Pereira-Ära stammende, wohl nicht unumstrittene und relativ einfallslose Inzenierung des Teams  Bechtolf/Glittenberg wurde nun in teilweise neuer Besetzung unter der musikalischen Leitung des GMD Fabio Luisi für eine Reihe von Aufführungen wieder aufgenommen. Für den König hatte man René Pape gewinnen können, der mit seinem Prachtbass den Intentionen Verdis wie wohl selten ein Interpret der heutigen Sängergeneration gerecht wurde. Von oben bis unten klingt die Stimme wohl durchgebildet und kontrolliert in Klang und Vibrato. Piano-Passagen wie in „Ella giammai m’amò“ sind von weitem Atem getragen wie auch die prägnanten Forte-Passagen im Autodafé-Akt. Wenn auch Pape einen eiskalten Herrscher darstellt, so zeigt er uns doch auch dessen Unsicherheiten und Verletzlichkeiten, die in Papes Interpretation des Philipp II. dessen Charakter so vielschichtig machen. Fragende Blicke des Königs im Autodafé-Akt zu Elisabetta und Posa, als Carlos mit den flämischen Gesandten auftritt, verraten auch etwas von der bröckelnden Autorität und Einsamkeit des Königs. Ebenso hat der König im Gespräch mit Posa überhaupt kein Verständnis für das Elend des geknechteten Flandern, so abgehoben von der Realität ist der Herrscher in seinem Escorial und – so würde man heute sagen – so wenig Sozialkompetenz ist da vorhanden. Dass Philipp nicht nur seine Umwelt, sondern auch sich selbst zugrunde richtet, das hat Verdi in seiner Musik so unvergleichlich auszudrücken vermocht. Im Gespräch mit Posa, den Michael Volle meisterlich in Stimme und Haltung widergibt, vermag der König wohl zum letzten Mal seine Empfindung in der gehärteten Schale seines Herrschertums zu unterdrücken. René Pape und Michael Volle liefern uns mit ihrer Gestaltungskraft einen der Höhepunkte in einer der wohl genialsten Opern Verdis. – Leider wurde uns hier in der Wiederaufnahme aus organisatorisch-strukturellen Gründen der Fontainebleau-Akt vorenthalten, der 2012 noch gespielt wurde. Schade, denn so fehlt der hier gespielten vieraktigen Fassung – die nicht benutzte französische Originalsprache sei hier nochmals bemängelt – schlicht und einfach die dramaturgisch wichtige Exposition. Nun, Verdis Werk wirkt auch in der „Schrumpf-Fassung“, wenn so will…

Unbenannt
Lianna Haroutounian (Elisabetta) und Fabio Sartori (Carlo). Copyright Judith Schlosser

Als Königin Elisabetta überraschte uns die für Marina Poplavskaja kurzfristig eingesprungene Armenierin Lianna Haroutounian mit einem wunderbar aufblühenden lyrischen Spinto-Sopran. Diese Sängerin weiss, wie man Phrasen spinnt und die Gesangpartie nicht nur technisch perfekt beherrscht, sondern auch mit Farben und gut gewählter Agogik den Charakter der unglücklichen Königin mit rein stimmlichen Mitteln zum Klingen bringt. Dass Frau Haroutounian auch in Erscheinung und Haltung jeder Zoll die schöne Königin Isabella ist, darüber war kein Zweifel. Ihre Gegenspielerin Eboli war mit der höchst attraktiven Veronica Simeoni gut besetzt. Dass ihr flexibler Mezzo lyrisch timbriert ist, gereicht ihrer Darstellung zum Vorteil. Das Schleierlied, sonst für dramatisch timbrierte Sängerinnen eine Hürde, gelang ihr perfekt mit allen Verzierungen, Schattierungen und Trillern. Im Parkbild dürfte sie wohl noch Einiges an Dramatik zulegen, die sie dann im „O don fatale“ virtuos und immer tonschön zum Ausdruck brachte. Sehr berührend die Szene der beiden Frauen bei „Rendetemi la croce!“. Fabio Sartori hatte schon die Premiere gesungen und konnte nun seinen stimmlich enorm gesteigerten Carlo wiederholen. Wenn der Sänger auch nicht zu den besten Schauspielern gehört, so dürfte die gesangliche Erfüllung dieser Partie heutzutage wohl einzigartig sein. Man stellt bei ihm erst fest, wieviel Höhe die Partie des Carlo verlangt und vor allem wie undankbar gesetzt diese auch noch ist. Fabio Sartori hat das ganz fabelhaft gesungen und seine Leistung ist wohl – zusammen mit der von Lianna Haroutounian – als ideal zu bezeichnen. Ein hervorragendes  Männer-Duo waren René Pape und Michael Volle, bei denen man über ihre tadellose Künstlerschaft wohl kaum ein Wort verlieren muss. Michael Volle stellt zwar keinen Freiheits-Jüngling dar, vertritt aber als gestandener Mann seine Sache mit Emphase und sowohl mit lyrisch verhaltenem (Tod Posas) als auch dramatisch aufgeladenem (Dialog mit Philipp II) Bariton, der in allen Lagen wunderbar anspricht. Als Grossinquisitor hörte man in Zürich zum ersten Mal Rafal Siwek mit wahrlich imposantem Bassmaterial und der Autorität des unerbittlichen Kirchenfürsten. Scott Conner sang einen ordentlichen Mönch bzw. Karl V., Sen Guo die himmlische Stimme und Julia Riley den Tebaldo (hier eine Hofdame). Die flandrischen Gesandten und der Herold waren mit Mitgliedern des Opernstudios erfreulich ausgewogen besetzt. Der verstärkte Chor des Opernhauses (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) sang souverän auch die vertracktesten Rhythmen. – Die Haupt-Impulse des Abends gingen von Fabio Luisi aus, der der Verdi-Partitur nicht nur auf Augenhöhe souverän und einfühlsam begegnete, sondern diese unglaubliche Tragödie, bei der alle Charaktere physisch oder psychisch zugrunde gehen, mit dem sowohl transparenten als auch geheimnisvollen Klangbild der Philharmonia Zürich wie selten gehört erklingen liess. So flirrte die sommerliche Brise im Nachtbild wie fast von Debussy komponiert, wogegen wieder die Blechbläser mit ihren choralartig intonierten Linien die darunter sich abspielenden seelischen Dramen mit den aufbäumenden Streichermelodien kaum verheimlichen konnten. Grossartig auch die Autodafé-Szene, wo das grelle offizielle Schaugepränge diese merkwürdige Mischung mit den sich in den Seelen der Protagonisten abspielenden Qualen eingeht.                   

John H. Mueller   

 

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