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ZÜRICH: DER FREISCHÜTZ. Der Teufel steckt im Detail. Neuinszenierung

05.10.2016 | Allgemein, Oper

Zürich Opernhaus: DER FREISCHÜTZ. Premiere am 18.9., besuchte Aufführung: 5.10.2016

Der Teufel steckt im Detail   

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Seit der letzten „Freischütz“-Inszenierung von Ruth Berghaus aus dem Jahre 1993 – letztmals 2010 gespielt – war es wohl schwierig, diesem Wurf etwas Entsprechendes entgegenzusetzen. Herbert Fritsch, der nun für die neue Inszenierung verantwortlich zeichnet, hat da einen ganz anderen Ansatz als den der Berghaus, die aus der realistisch-intellektuellen „Schule“ eines Felsenstein kam. Aber auch Fritsch verfremdet den „Freischütz“ und zwar mit clownesken Figuren, die zudem überdreht agieren und dauernd in teils tänzerischer, teils zappeliger Bewegung sind. Das Ganze erinnert an ein „böses Kasperle-Spiel“, in dem auch der Teufel, sprich Samiel, teilhaftig auftritt. Dieser ist in Rot gekleidet und hat zwei lange Fasanenfedern auf dem Hut wie der Mephisto auf dem Foto des legendären Sängers Edouard De Reszke. Er stellt einen äusserst beweglichen und artistisch-tänzerischen Teufel dar, der stets gegenwärtig ist und die Figuren teils amüsiert, teils schadenfroh beobachtet und eigentlich wenig eingreift. Es misslingt ihm auch Einiges, so kommt ihm ständig sein langer Teufelsschwanz zwischen die Beine, was ihn stolpern lässt. Aber er behält immer beste Laune und freut ob seiner bösen Dinge. Alle anderen Charaktere der Handlung sind überzeichnet bis zur Karikatur und kostümiert wie Schaubudenfiguren (Kostüme: Victoria Behr). Irgendwie scheint Fritsch der Oper nicht zu trauen, denn jedes Mal, wenn’s irgendwie „romantisch“ wird, weicht er dem aus und flüchtet in Übertreibung. So wackelt Agathe mit dem Kopf und den Händen, während sie die schönsten Weber‘schen Kantilenen singt. Nur Max, die eigentliche Hauptfigur des Stückes, der vor dem Schuss versagt – wobei sowohl seine jägerische als auch sexuelle Eignung gemeint sind – wird mit wenigen Abweichungen „ernst“ gezeigt. Agathe, die schon durch die Darstellerin hoch gewachsen daherkommt, wird durch die immense Krinoline zur Furcht einflössenden Überfrau stilisiert. Das hält sie aber nicht ab, dass sie, so wie sie geführt wird, in ihrem Verhalten doch recht altjüngferlich und kindlich, wenn nicht sogar kindisch wirkt. Ännchen ist als sogenannt lustige Person merkwürdig „verkasperlt“ und muss im Kleinmädchen-Ton sprechen. Überhaupt wird viel gesprochen – leider nicht besonders gut, was bei Sängern leider oft der Fall ist – und der Text wird ins Lächerliche gezogen, wobei unnötigerweise einige Passagen dazu erfunden sind. Das Bühnenbild (auch von Herbert Fritsch) ist einfach, aber treffend gelöst. Im Mittelpunkt steht eine stilisierte Kirche, auf welcher natürlich Samiel herumklettert und sich am Kreuz die Finger verbrennt. Nachdem sich das Dach abgehoben hat und sich die Kirche um die eigene Achse gedreht hat, wird sie zum Haus Agathes. Das leuchtet ein. In ungemischten Farben sind die textil aufwändigen Kostüme (Victoria Behr) gehalten und die Lichtgestaltung (Torsten König) mit Rot-, Grün-, Blau- und Gelbtönen bringt dem Stück eine eigene magische Note.

Es gibt durchaus auch tolle Theater-Momente. So beispielsweise die Idee mit der Versiebenfachung des Kaspar als gespaltene Persönlichkeit, auch die Verhöhnung von Max zu Beginn, wie überhaupt der erste Akt der am besten durchgearbeitete der Inszenierung ist. Danach verlieren sich die Effekte in der Wiederholung und die Wolfsschlucht darf mit ihrem Gezappel als nicht besonders gut gelungen bezeichnet werden. Mehr oder weniger passt das Alles bis zum Schluss, wenn beim langen Finale der Regisseur offenbar nicht mehr weiter weiss, vom Schnürboden den Eremiten als Deus ex Machina herunterfahren – ein Lacherfolg im Publikum – und die Jäger-Gesellschaft sinnlos herumstehen lässt. Wenn dann der Teufel unter den ausladenden Rock Agathes kriecht, wird ihr dort wohl das teuflische Feuer die Wartezeit um ein Jahr schwermachen. Agatha hat dafür nur mehr ein hysterisches Lachen übrig. Das Alles kann man als „Gesamtkunstwerk“ gelten lassen, auch wenn es Einiges aufzuzählen gäbe, das zu diskutieren wäre. Undiskutabel aber ist das Video (auch von Herbert Fritsch), welches während der ganzen Ouvertüre projiziert wird und in seiner Fantasielosigkeit an einen Bildschirm-Schoner erinnert. Eine solche billige Bebilderung hat nun Webers geniale Musik wirklich nicht verdient! Muss man denn die Leute immer „unterhalten“? Trotz allem diesem Firlefanz ist es doch erstaunlich, wie wenig Webers geniale Musik durch diese Arbeit angetastet wird. Sie hat ihr Eigenleben und kümmert sich nicht um die Aktivitäten auf der Bühne und die „Einfälle“ des Regisseurs…

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Die musikalische Seite dagegen war höchst erfreulich. Die Philharmonia Zürich spielte unter Marc Albrecht einen herben Weber mit echtem Gefühl, ohne in die Untiefen der Sentimentalität zu geraten. Sehr schön die Bläser- und Hornsoli, die Streicher-Tremoli in der Wolfsschlucht und bei Agathes Arien. Der Chor (Einstudierung: Jürg Hämmerli) machte seine Sache sehr gut und sang prägnant und deutlich. Bei den Solisten erregte die Agathe der hoch gewachsenen Norwegerin Lise Davidsen wohl die grösste Aufmerksamkeit. Eine dunkel gefärbte Stimme mit einer leicht metallenen Höhe zeigt schon das spätere dramatische Fach an. Umso souveräner meisterte sie mit berückenden Kopftönen die vielen Piani der beiden Arien. An der Perfektionierung des Legato dürfte sie allerdings noch dazu gewinnen. Als Ännchen war Melissa Petit, obwohl als Barock-Sängerin hervorragend, leider überfordert. Ihre Stimme ist hübsch timbriert, doch für das Ännchen zu leicht besetzt. Auch waren die Koloraturen nicht ganz in Ordnung. Wirklich gut war Christopher Ventris als hier darstellerisch verklemmter Max, der stimmlich seine „Wagner-Herkunft“ nicht verleugnen kann, was aber sicher für den Max kein Fehler ist. Beeindruckend sein „Wehe mir, mich verliess‘ das Glück!“ und „Durch die Wälder“ war ausdrucksvoll und mit sicheren Höhen gesungen. Als Kaspar überzeugte Christof Fischesser sowohl darstellerisch als auch mit seinem stimmlich flexiblen und recht hell timbrierten Bass. Er war auch mit Abstand der beste Sprecher des Abends und hat in der Prosa eine nicht sängerisch aufgeblähte Stimme. Als Kuno waren Pavel Daniluk ordentlich, Yuriy Tsiple als Killian recht gut und Oliver Widmer als Ottokar passabel besetzt. Letzterer wird – absolut nicht einleuchtend – als vollkommener Trottel in merkwürdigem Aufputz gezeichnet. Prachtvoll klang der Bass von Wenwei Zhang in seinem kurzen Auftritt als Eremit. Die Brautjungfern waren stimmlich untereinander unausgeglichen und die beiden Jäger in ihrer Schwyzerdytsch (für Kenner: Baseldytsch) gesprochenen Szene, obgleich gut gespielt, leider total überflüssig. Dass Florian Anderer als Samiel abräumen würde, hat nicht erstaunt. Er war ja auch das „teuflische Detail“ dieser etwas sehr eigenartigen Interpretation des „Freischütz“-Stoffes. Wie sagte doch jemand nach der Aufführung: „Nicht uninteressant“…was immer das auch heissen möge.

John H. Mueller     

 

 

 

 

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