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ZÜRICH: ALCINA – Erotische Verwirrspiele wie in Mozarts „Cosi fan tutte“. Premiere

27.01.2014 | KRITIKEN, Oper

Zürich: ALCINA – Premiere 26.1.2014   Erotische Verwirrspiele wie in Mozarts Cosi fan tutte.  

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Cecilia Bartoli, Silvia Fenz. Foto: Monika Rittershaus

So lässt man sich die oft als langweilig verleumdete Barockoper gefallen: Zuerst einmal hervorragend gesungen von einem erlesenen Solisten-Ensemble, dann sinnlich aus dem Vollen schöpfend musiziert von einem für die historische Aufführungspraxis gebildeten Instrumental-Ensemble der Oper Zürich und dann vor allem eine Inszenierung, die sowohl Ästhetik als auch in der modernen Personenregie Tragik mit Witz und Humor vereinigt. Sicher hat sich Cecilia Bartoli diese Partie gewünscht, die ihr, der mittlerweile zur Vollblüte gereiften Künstlerin, wie massgeschneidert angepasst war.  Aber auch alle Partnerinnen und Partner boten der Primadonna im wahrsten Sinn des Wortes starke Paroli. Aber zuerst einmal Cecilia Bartoli. Sie konnte mit ihrer ausdrucksvollen Stimme alle Emotionen dieser vielschichtigen Person der Alcina ausloten.

In der Inszenierung von Christoph Loy, der höchst stimmig die mythische Handlung auf, hinter und unter eine Theaterbühne verlagerte, wo sich die Grenzen zwischen Schein und Sein verwischen, war Cecilia Bartoli nicht nur die Zauberin Alcina, sondern eben auch die Primadonna in dieser Rolle. Die Seconda Donna war mit der höchst attraktiven Julie Fuchs mit glockenreinem, lyrischem Koloratursopran als ihre Schwester Morgana hervorragend besetzt. Nochmals Cecilia Bartoli. Wie sie die Gratwanderung zwischen gespielter Zauberin Alcina und enttäuschter Primadonna auch schauspielerisch bewältigt, ist fabelhaft. Durch die wunderschönen Kostüme von Ursula Renzenbrink unterstützt, tritt sie einmal im Reifrock und mit Perücke wie die Marschallin auf, dann wieder im Alltagskleid, wenn alle Illusionen zusammenbrechen und die Primadonna, die die Geläufte und wohl auch die Liebe regieren konnte, nun feststellen  muss, dass alles nur Theaterzauber ist und ihr Zauberstab nicht die Furien, sondern nur verstaubte Theatergespenster aus den Kulissen ruft. Neben den von ihr gewohnten rollenden Koloraturen verdienten diesmal vor allem die Lyrismen, mit denen la Bartoli – auch eine Primadonna – die Händelschen Gesangslinien, die wahre Belcanto-Träume sind, nachzeichnete, wohl das höchste Lob! „Mi restano le lagrime“ war wahrlich ergreifend und ihr Zusammenbruch am Ende des 2. Aktes stimmlich und schauspielerisch überwältigend. Als ihre Schwester sang Julie Fuchs, die uns schon mit ihrer Fidelio-Marzelline begeistert hatte, die arglos verliebte Frau, die, anders als Alcina, keine Ränke und Zaubereien benötigt, sondern ganz menschlich ihre Erfahrungen machen muss. Die Fallhöhe ist dann bei Morgana auch viel geringer als bei ihrer Zauberschwester Alcina, deren Magie im wahren Leben und in der Liebe versagen muss. Zwei Hosenrollen gibt es in dieser Oper. Eine ist Ruggiero, der sich in Alcina verliebt hat, aber von ihr „im Bann der Liebe“ gehalten wird. Die Schwedin Malena Ernman, schon von der Erscheinung her wirklich wie ein junger Mann, singt mit relativ hellgetöntem Mezzo die „Berganza“-Partie mindestens ebenso virtuos wie ihre berühmte Kollegin. Köstlich, wie sich die Künstlerin bei ihrer grossen Arie „Va nell‘ ircana“ in die Ballettgruppe einordnet und mit links wahre Slapsticktricks absolviert. Die andere Hosenrolle ist Bradamante, die ihrem Gatten Ruggiero als ihr eigener verkleideter Zwillingsbruder Ricciardo auf die Insel der Alcina gefolgt ist und von der persönlichkeitsstarken Armenierin Varduhi Abrahamyan verkörpert wird. Sie gewann auf Anhieb mit ihrer unglaublich interessant gefärbten Altstimme und ihrem natürlichen Spiel die Begeisterung des Publikums.

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Julie Fuchs, Varhudi Abrahamyan. Foto: Monika Rittershaus

Der junge Schweizer Tenor Fabio Trümpy hatte die eigentlich etwas undankbare Partie des Oronte inne, dafür aber eine der schönsten Arien mit „Un momento di contento“ zu singen, was er mit lyrischer Tongebung überzeugend meisterte. Noch undankbarer ist die Basspartie des Melisso, die aber durch den jungen Amerikaner Erik Anstine mit frischer Stimme und witzigem Spiel doch fast zu einer Hauptpartie wurde. Als Chorsolisten wirkten Hannah Bradbury, Roberto Ortiz und Roberto Lorenzi. La Scintilla, das auf historische Aufführungspraxis spezialisierte Instrumental-Ensemble der Philharmonia der Oper Zürich, stand unter der Leitung von Giovanni Antonini, dem die Alcina offenbar eine Herzensangelegenheit ist und der neben seinem engagierten Dirigat mitunter auch zur Blockflöte griff und sie zudem noch virtuos spielte. Die Continuo-Begleitung der Secco-Rezitative war mit zwei (!) Cembali, einem Cello und durch eine Trippel-Harfe, die nur von ganz wenigen HarfenistInnen gespielt werden kann, klanglich bereichert worden. – Christoph Loy hat mit dem Bühnenbild von Johannes Leiacker  die Welt des Theaters, auf und hinter der Bühne, mit fabelhaften Schauplätzen – auch auf der Unterbühne, während oben das Barockballett (Choreographie Thomas Wilhelm) tanzt – eine wahre Augenweide geboten. Dass dies aber nicht nur reine Ästhetik war, ist umso erfreulicher. Denn durch die präzise und psychologisch höchst einfühlsame  Personenregie gelang es Christoph Loy, die eigentlich simple Handlung in die Nähe von Mozarts meisterlicher Oper „Cosi fan tutte“ zu rücken. Denn Nichts ist so verwirrend wie die Liebe. Kein Wunder, dass sich am Schluss der Oper Cupido (köstlich Silvia Fenz), enttäuscht von den Menschen, wieder in seine Theaterkiste zurückzieht. Dann kommt auch noch aus der Versenkung ein Abbild der Alcina im prächtigen Barockkostüm ihres ersten Auftritts hochgefahren und dreht sich lächelnd um, wie seinerzeit die Marschallin, nur eben maliziöser…

John H. Mueller

 

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