Xu Zhong, Pianist und Dirigent – ein Weltenwandler zwischen fernöstlicher und europäischer Musik
Das Gespräch führte Thomas Janda im April 2018
Xu Zhong. Copyright: Arvin Yi
Das Licht im Zuschauerraum des Erfurter Theaters wird gedimmt und ein chinesischer Dirigent erhebt den Taktstock zur Ouvertüre Der fliegende Holländer. Das ist also Maestro Xu Zhong, denke ich, den sollte ich mal näher kennenlernen. Gut organisiert vom Theater Erfurt, gelingt das dann auch bald.
Xu Zhong sitzt mir entspannt und mit ruhigem Blick in der Lobby des Erfurter Dorint-Hotels an einem Sonntagnachmittag gegenüber. In zwei Stunden wird er wieder am Pult im Orchestergraben des Erfurter Theaters stehen und darauf freut er sich. Zwischendurch kommen schon mal einige Orchestermusiker des Philharmonischen Orchesters Erfurt vorbei und winken Xu Zhong in Vorfreude zu.
„Das ist mein nächster Termin“, sagt der bescheidene chinesische Dirigent. Xu Zhong ist ein dialogischer Dirigent. Er will, dass die Musiker verstehen, worauf er Wert legt und er hört sich auch gern Vorschläge von anderen Musikern an.
„Ich habe mich sehr lang in die Partitur des Holländer vertieft. Am Anfang steht bei mir immer eine sehr ausgiebige Beschäftigung mit dem Werk eines Komponisten. Jetzt, da ich zum ersten Mal einen Wagner dirigieren darf, habe ich besonders viel Zeit dafür aufgewendet. Die Vorbereitungen sind ja schon lange Zeit im Gange. Ich möchte dem deutschen Publikum einen traditionellen Wagner geben, aber mit etwas frischem Wind. Ich will allerdings auch zeigen, wie ein Chinese den großen Wagner sieht und interpretiert.“
„Wie entstand überhaupt die Zusammenarbeit mit dem Theater Erfurt?“, frage ich ihn.
„Ich habe schon mehrfach mit Guy Montavon zusammengearbeitet z. B. bei „La fille du régiment“ von Gaetano Donizetti. Das Stück hat Guy Montavon im Mai 2017 in Shanghai inszeniert und ich durfte die Musik zum Strahlen bringen. Das war eine sehr gute und schöne Zusammenarbeit mit Guy Montavon. Nach den Proben spricht man viel und ich sagte ihm, dass ich gern eine Wagner-Oper dirigieren würde. Er erzählte mir von seinem Inszenierungsplan in Erfurt und wir verständigten uns sehr schnell.“
Das soll auch nicht der letzte Wagner gewesen sein, bekennt Xu Zhong im Gespräch, er wolle auch noch einen Lohengrin, Tristan und Isolde, außerdem bald Die Meistersinger von Nürnberg und natürlich den Ring dirigieren. Schmunzelnd meint er: „Wagner ist für mich und für viele Chinesen ein „High-Level-Dom“, wir nähern uns vorsichtig an. Für mich ist es aber auch, als würde ich an den Ursprung der Musik gelangen. Ich entdecke auch immer mehr Parallelen zu chinesischen musikalischen Sichtweisen“.
Xu Zhong. Copyright: Ennevi
Xu Zhong wirkt während des Gesprächs immer wieder wie ein Meisterschüler des Konfuzius, ruhig sinnend, dann aber auch wieder zielsicher und entschlossen. Zu seinen großen Plänen gehört es, Wagner in Shanghai zu popularisieren. „In Peking gibt es schon eine sehr gewachsene Aufführungspraxis, aber ich will auch im Shanghai Grand Theatre eine eigene Wagner- Aufführungspraxis begründen.“
„Dann ist ja das Gastspiel des Erfurter Theaters mit ihrem Dirigat im Herbst eine gute Gelegenheit dazu“, meine ich.
„Sie müssen wissen, dass vor zwanzig Jahren das Shanghai Grand Theatre mit Wagners Holländer eröffnet wurde. Jetzt habe ich die Freude genau dieses Stück, wieder dorthin zu bringen.“ Das Shanghai Grand Theater ist zugleich ein Schauspiel- und Opernhaus und es zählt zu den bedeutendsten Musik-Institutionen Chinas. Hier sind zwei Vorstellungen für den 13. und 15. September geplant. Am 14. September, präsentieren sich Solistern, das Orchester und der Chor des Theaters Erfurt unter der Leitung von Xu Zhong dem Publikum in Shanghai mit einer Wagner-Gala.
Shanghai ist die Stadt in der für Xu Zhong alles begann, sein musikalisches Leben. Mit drei Jahren fing er an Klavier zu spielen. Seine Eltern, beide Mediziner, förderten sein Talent. Das war nicht immer einfach, denn in den Ausläufern der Kulturrevolution galt Klavierspiel als westlich dekadent. Seine Eltern verhängten Türen und Fenster mit Decken, um den Klang zu dämpfen und in dieser schützenden Geborgenheit entwickelte sich der Pianist Xu Zhong. Später sollte er dann nach Frankreich gehen, um am Conservatoire National Supérieur de Musique de Paris zu studieren, vor allem bei Dominique Merlet. Viele gute Musiker begleiten ihn auf seinem Weg bis dahin und Xu Zhong ist ein Künstler, der an alle Wegbegleiter wärmste Erinnerung wachhält, auch an seine Dirigentenväter wie Prof. Xiaotong Huang und Maestro Piero Rattalino.
Sein Aufstieg als Dirigent begann sehr schnell und so wurde er zum künstlerischen Leiter des renommierten Opernhauses in Cantania, Sizilien-Teatro Massimo Bellini ernannt. Xu Zhong war der erste Chinese, der jemals ein italienisches Opernhaus in der Musikgeschichte geleitet hat. Übrigens, haben ihn alle Orchestermusiker einstimmig gewählt.
Inzwischen kennt die musikalische Welt auch den Pianisten Xu Zhong gut und er hat auf seinem Weg schon einige Preise gewonnen: den ersten Internationalen Hamamatsu-Klavierwettbewerb, den Internationalen Klavierwettbewerb Santander Paloma O’Shea, den 5. internationalen Klavierwettbewerb von Tokio und den 10. Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau (vierter Preis).
„Wer sind Ihre pianistischen Inspiratoren?“
„Hier in Thüringen bin ich natürlich auch Franz Liszt ganz nah. Ich denke an sein kleines Haus am Park in Weimar. Ich habe auch schon viel Liszt gespielt: Sonaten und Etüden oder die Années de pèlerinage, aber ich habe auch schon Liszt-Orchesterwerke dirigiert wie die Dante-Sinfonie. Weimar ist für mich ein bedeutender Platz der deutschen romantischen Musik.“
Auf die Frage welche Klavierwerke für ihn immer eine Rolle spielen werden, antwortet er auf den Punkt: „Alle Beethoven-Sonaten!“
Lange Zeit arbeitet Xu Zhong schon in Italien, neben seiner Aufgabe als Generalmusikdirektor des Teatro Massimo Bellini folgen auch Tätigkeiten als Direktor der Fondazione Arena di Verona.
„Welche italienischen Opern spielen für ihn eine besondere Rolle?“ Mit großem Nachdruck sagt Xu Zhong: Falstaff und Othello sind für mich ganz wichtige dramatische Werke.“
Momentan ist auch Israel eine Wirkungsstätte für den Dirigenten Xu Zhong, als Generalmusikdirektor des Israelischen Haifa Sinfonieorchesters.
Als Operndirigent konnte Xu Zhong an führenden Häusern weltweit künstlerisch arbeiten: am Teatro alla Scala und Teatro La Fenice, Teatro Regio Tornio, Teatro del Maggio Musicale Fiorentino, Teatro di San Carlo, Liceu Grand Theatre, Palau de les Arts Reina Sofía, Opéra de Paris, Royal Opera House, aber auch am Staatstheater Darmstadt und am Metropolitan Opera House oder dem San Francisco Opera House.
Sein Repertoire umfasst viele Opernstoffe: Pagliacci, Cavalleria rusticana, La traviata, Il trovatore, Aida, La Bohème, Tosca, Suor Angelica, La Cenerentola, Le nozze di Figaro, Die Fledermaus, Das Land des Lächelns, Elektra, Carmen, La voix humaine, Orphee aux enfers, Aleko usw.
„Was treibt Xu Zhong an, was sind seine Energiequellen immer wieder schöpferisch-interpretatorisch sich neuen musikalischen Aufgaben zu stellen?“
„Wir müssen uns immer wieder auf unsere Quellen besinnen, ich sehe vor allem die Klassik, beginnend mit Mozart über Beethoven bis Wagner und Verdi. Da gilt es immer wieder Neues zu entdecken. Ich will meine chinesische Sichtweise einbringen und diese Musik für unser chinesisches Publikum erschließen. Das chinesische Publikum interessiert sich immer mehr für Wagner und will diese Musik auch verstehen. Natürlich, setze ich mich in Shanghai für Wagner-Musik ein, hier werde ich auch sehr von der regionalen Regierung unterstützt.“
„Wie gestaltet sich eigentlich die Zusammenarbeit mit den Erfurter Musikern im Moment?“, frage ich ihn zum Schluss.
„Wir verständigen uns immer besser, vor allem die nonverbale Kommunikation hat sich sehr gut entwickelt. Sie verstehen, wohin wir uns gemeinsam entwickeln können. Das gibt mir ein sehr gutes Gefühl und ich freue mich auch auf die gemeinsamen Auftritte im September in Shanghai. Das wird auch für unser chinesisches Publikum sehr spannend und interessant. So, jetzt muss ich mich wirklich zu meinen Erfurter Musikern setzen, wir haben noch einiges zu besprechen.“
Das sagt Xu Zhong mit visionär-konfuzianischem Blick und wechselt in der Hotellobby die Sitzecke. Zwei Stunden später steht er dann wieder am Pult im Erfurter Theater um den Fliegenden Holländer noch dramatischer zum Klingen zu bringen, „mit etwas frischem Wind“.
Thomas Janda