WÜRZBURG / Neubaukirche: DAS LIEBESMAHL DER APOSTEL , 21. 7.2013 (Werner Häußner)
Zum Mahle in Eintracht sind sie versammelt, aber der Hass der Mächtigen schwebt wie Gewitterwolken über ihnen. Bei Todesstrafe wird ihnen die Predigt im Namen des Jesus von Nazareth verboten. Aber da füllt ein Brausen, Tönen und Klingen die Luft: „Lasst droh’n die Menschen … Ihr werdet sie besiegen mit dem Worte!“, lautet die ermutigende Botschaft. Richard Wagner hat sie verkündet – in einem selbst gedichteten Text, orientiert an der Apostelgeschichte. Die Macht des Wortes sollen die Glaubensboten einsetzen und so freudig zeugen „aller Welt von eures Heilands Wundertat“. Aber Wagner, der auch eine sozial-revolutionäre Seite hatte, vergisst nicht zu appellieren: „Gemeinsam sei euch Hab und Gut!“
Klingt da nicht schon das „letzte Liebesmahl“ des „Parsifal“ an? Wer die selten aufgeführte einzige geistliche Komposition Wagners hört, wird an die großen Chorszenen seiner letzten Oper erinnert sein: „Das Liebesmahl der Apostel“, die „biblische Scene für Männerstimmen und großes Orchester“, 1843 komponiert, nimmt in der Tat bereits Grundelemente der Chöre aus „Parsifal“, aber auch den „Meistersingern“ vorweg: das breite Legato, die lang gesponnene Phrasierung, die Schichtung der Stimmen und ihre harmonisch komplexe Verbindung, die Einbindung des Raums in die Klangwirkung.
So ist das „Liebesmahl der Apostel“ mehr als ein Gelegenheitswerk. Es reflektiert den „Rienzi“ und ist ein Zwischenschritt zu den romantischen Opern „Tannhäuser“ (1845) und „Lohengrin“ (1850). Dass es als solches – aber auch als Dokument für Wagners Jesus-Begeisterung – so selten aufgeführt wird, ist schade. Denn im „Liebesmahl“ rückt nicht nur der Gestalter gewaltiger Chöre ins Blickfeld, sondern auch die Beschäftigung Wagners mit dem Christentum: Immerhin hatte er noch 1848 an eine große Jesus-Oper für Paris gedacht und einen „dichterischen Entwurf“ mit dem Titel Jesus von Nazareth“ geschaffen.
Wenigstens im Wagner-Jahr 2013 gibt es vereinzelte Aufführungen des „Liebesmahls der Apostel“: In Dresden hat sich im Mai Christian Thielemann am Ort der Uraufführung, der Frauenkirche, für das Werk eingesetzt. In Bayreuth erklang es unter Viktor Lukas. Und in Würzburg, wo Wagner ein entscheidendes Jahr seiner Reifung zum Komponisten verbrachte und 1833 seine Oper „Die Feen“ schrieb, setzte Matthias Beckert das Werk aufs Programm seines Monteverdichores.
Nicht zuletzt die Unterstützung durch den örtlichen Richard-Wagner-Verband hatte die Würzburger Erstaufführung ermöglicht. Unter seiner unermüdlichen Vorsitzenden Margot Müller beweist der weltgrößte unter den Richard-Wagner-Verbänden immer wieder großzügiges Mäzenatentum. Gerade wenn er solche Projekte abseits des Mainstreams fördert, erfüllt der Verband eine wichtige Aufgabe: Er belebt Vielfalt und ermutigt Entdeckerfreude.
Matthias Beckert hat seit einigen Jahren den Monteverdichor zu einem qualitätvollen Ensemble mit attraktivem Repertoire herangebildet, der nicht nur die immer gleichen „Schlager“ der Chorliteratur zum Besten gibt. Auch das Wagner-Konzert in der Neubaukirche ergänzte er kreativ mit moderner geistlicher Musik: mit der Uraufführung des „Cántico de las Criaturas“ von Josef Lammerz und mit zwei Werken von Wolfram Buchenberg, „Cantico di Frate Sole“ und „Im Lichtland des Himmels“.
Der 1962 geborenen Münchner Komponist ist in der Kirchenmusik kein Unbekannter: Er schrieb unter anderem die Motette „Ich bin das Brot des Lebens“, die 2006 zum Besuch Papst Benedikts XVI. in Regensburg erklang. Auch Josef Lammerz‘ Werk ist von der langjährigen Erfahrung des Praktikers geprägt: Er war Organist und Chorleiter an der Christ-König-Kirche in Duisburg und an der Münsterbasilika Bonn. Beide Komponisten waren beim Konzert in Würzburg anwesend und wurden mit reichem Beifall gewürdigt.
In der Wiedergabe von Wagners „Liebesmahl“ hatte Beckert gleich mehrere Hindernisse zu überwinden: Bei der Uraufführung beim Zweiten Dresdner Männergesangsfest standen Wagner 1200 Sänger zur Verfügung. Thielemann konnte immerhin Männer aus sieben Chören aufwenden, dazu 12 Bässe für die Schar der Apostel. Beckert stemmte das Werk mit rund 70 Stimmen, musste also bei der Teilung in drei Chöre für den ersten Teil und bei der Raumkonzeption des Klangs Kompromisse eingehen: Die „Stimmen aus der Höhe“, die Wagner in der Kuppel der Frauenkirche platzierte und die außerordentlichen Effekt gemacht haben sollen, konnte Beckert nicht realisieren.
Dennoch: In dem architektonisch edlen Renaissanceraum, der heute als Aula der Universität dient, stellte sich der von Wagner intendierte überwältigende Eindruck ein. In diesem Fall war die Überakustik des Raumes vorteilhaft, ging es ja nicht um fein ziselierte, detailreiche Musik, sondern um wuchtige geschichtete Klänge. Die Akustik half sogar dem – wie in vielen Chören – unterbesetzten Tenor zu deutlicherer Präsenz. Beckert achtete auf Konturen, auf klare Einsätze und eine konsequente Phrasierung, um die Eigenart der Komposition herauszuarbeiten. Seine Sänger waren firm, modellierten den Text ausdrucksvoll, ließen sich durch den Hall nicht dazu verleiten, dynamische Details zu vernachlässigen.
Als dann bei der Ausgießung des Heiligen Geistes das Orchester einsetzte – die Thüringen Philharmonie Gotha war einmal wieder ein verlässlicher Partner – war die theatralische Wirkung prägnant erfasst. Wagner ist – wie sein Jubiläumsjahrpartner Verdi – in der Wahl seiner Mittel genuiner Theaterpraktiker: Mit dem Orchester tritt zum a-cappella-Chor eine Stimme hinzu, die über die Worte der Menschen hinausgeht. Sinnenfälliger hätte Wagner das überraschend hereinbrechende Wirken des Heiligen Geistes, die Präsenz des Göttlichen in der irdische Sphäre nicht ausdrücken können. Wagners Einzelgänger erweist sich als ein geistliches Werk im engeren Sinn des Begriffs; die Aufführung zeigt wieder einmal, dass man sich vom Attribut des „Gelegenheitswerkes“ nicht verführen lassen sollte.