Würzburg, Musikhochschule: „DIE HEIRAT“ (Martinu) / „DER REGIMENTSZAUBERER“ (Offenbach) 09.02. 2013 – Werner Häußner
Produktionen an einfallsreichen Hochschulen sind oft eine Gelegenheit, mit jungen Sängerinnen und Sängern in Ausbildung Opern zu sehen, die sich nicht im Repertoire halten können. Die Würzburger Musikhochschule hat, was „Ausgrabungen“ betrifft, eine gewisse Tradition: Von Heinrich Sutermeisters „Romeo und Julia“ über Luigi Rossis „Orfeo“ hat es im hochschuleigenen Theater an der Würzburger Bibrastraße – einem modernen Funktionsbau mit äußerst präsenter Akustik – immer wieder sehens- und hörenswerte Aufführungen sonst nie zu erlebender Werke gegeben. Für das Ende des Wintersemesters 2012/13 hat Opernschulleiter Holger Klembt zwei Einakter entdeckt: Bohuslav Martinus „Die Heirat“ und Jacques Offenbachs „Der Regimentszauberer“ (im Französischen als „Le Fifre enchanté ou Le Soldat magicien“).
„Die Heirat“ ist eine heute ziemlich harmlos wirkende Komödie nach einer Vorlage von Nikolai Gogol, die Martinu 1952 im Auftrag des amerikanischen Senders NBC schrieb. Das Thema erinnert an Pietro Mascagnis reizenden, aber ebenso anachronistischen „L‘Amico Fritz“: Ein in die Jahre gekommener Junggeselle stemmt sich marottenbewehrt der Idee einer Hochzeit entgegen, die er im Innersten vielleicht doch herbeisehnt. Da steckt viel verklemmte Sehnsucht, aber auch eingefahrene Bequemlichkeit in dem Beamten Podkoljossin, die Mooyeol Yang hübsch linkisch auszudrücken versteht. Da glüht die Kaufmannstochter Agafia Tichonowna (Hee Eun An) in erwartendem Begehren; da treten aber auch typisch Gogol’sche Chargen auf, Karikaturen der russischen Gesellschaft mit Wiedererkennungswert, wie die Offiziere Anutschkin (Sungwook Choi) und Zewakin (Ioannis Kalyvas).
Manfred Kaderk und Anke Drewes haben für das gefällige Regie-Arrangement von Holger Klembt einen ironisch verzuckerten Salon und leicht überdrehte Kostüme geschaffen, in dem die Personen der Dramas aufeinandertreffen, mal eifrig überagierend, mal mit unterkühlten, einstudiert wirkenden Gängen und Gesten. Das spiegelt den jeweiligen Ausbildungsstand der Studierenden wieder und schadet dem Stück nicht, im Gegenteil: Der Zug ins Linkisch-Komische steht diesem Personal aus verflossener Komödienepoche.
Lohnend ist die Begegnung mit Martinus „Heirat“ wegen der Musik, die Dirigent Thilo Winter mit dem manchmal recht grob und schartig klingenden Hochschulorchester zum Klingen bringt: Sie erinnert in ihrer antiromantischen Absolutheit, ihrem schräg-ironischen Ton, ihrem Streben nach Unabhängigkeit von der emotionalen Situation der Szenerie, die sie dann doch karikierend wieder einholt, an Paul Hindemith – oder eben an andere Werke Martinus wie „Mirandolina“, einer vergessenen Perle des komischen Repertoires. Im einen oder anderen Harmonieverlauf kommt auch unschwer die tschechische Heimat des Komponisten zum klingenden Vorschein.
In Offenbachs „Regimentszauberer“, einem Ehe-Dramolett der eher schlüpfrigen Sorte, geht es um zwei Paare: Das eine ist schon zu lange zusammen, das andere will, aber kann nicht zusammenkommen: Endlich kommt der Soldat des Stubenmadels Nette (nochmal die quirlige Hee Eun An) mit seinem Regiment in die Stadt. Günstige Gelegenheit zum Rendezvous, denn die Herrschaft plant an diesem Abend eigene Wege. Aber kaum ist der Pfeifer Hans (Hasmik Schwarz in der Hosenrolle) im Salon, kehrt die Hausherrin (köstlich überdreht: Marina Kolyva) zurück, wenig später auch der Gatte (Johannes Strauß). Es gibt nur einen Ausweg: Hans muss vor‘s Fenster. Doch kurze Zeit später gesellt sich auf dem Sims des zweiten Fensters ein anderer Mann zu ihm …
Der „Magicien“ ist im Falle dieser 1864 in Bad Ems uraufgeführten Operette nicht nur der kleine Soldat, sondern vor allem der große Offenbach: Seine Einfälle sind überbordend, melodisch reizvoll; die Szenen aus dem alten, schon von François André Philidor ein Jahrhundert zuvor vertonten Libretto dramaturgisch geschickt gesteigert; ein Quintett auf den geistig herausfordernden Text „Es riecht nach Trüffeln hier“ persifliert Tableaus von Rossini bis Meyerbeer. Und wie immer bei Offenbach kreisen die Melodien noch Stunden nach Ende der Aufführung im Kopf.
Zur federleichten, von Klembt geschickt geführten Szene passte die Musik ideal, würde sie denn mit Esprit und transparenter Clarté gespielt. Aber das schaffen die Studierenden im Orchester nicht: Offenbachs Musik – in einer Bearbeitung von Manfred Schandert – bleibt oft pauschal, dumpf und voluminös. Man muss bedenken: Hier sind Lernende am Werk, keine erfahrenen Profis. Wenn sie erfahren haben, wie schwer es ist, Offenbachs „musiquette“ angemessen zu realisieren, ist das Ziel des Abends erreicht. – Zum Ende des Sommersemesters zeigt die Hochschule Joseph Haydns „Il mondo della luna“ – auch eine der entzückenden Opern, denen man mehr Aufmerksamkeit wünschen würde.