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WUPPERTAL: KROL ROGER von Karol Szymanowski. Premiere

15.06.2014 | KRITIKEN, Oper

Wuppertal: KROL ROGER von Karol Szymanowski.  Premiere am 14.Juni 2014

 Die eindrucksvolle Produktion von „Krol Roger“ unterstreicht nicht  nur das in letzter Zeit merklich anwachsende Interesse an Karol Szymanowskis Oper (2009 gab es Aufführungen u.a. in Bonn, Bregenz, Paris). Sie erinnert auch an den Spielplanmut der Wuppertaler Bühnen, wo die persönliche Erinnerung bis in die Intendantenzeit von Kurt Horres zurückgeht. Später bestimmten vor Ort die kreative Tätigkeit des Oberspielleiters Friedrich Meyer-Oertel den Spielplan wie auch die großartigen Erfindungen der aus Wuppertal stammenden Ausstatterin Hanna Jordan (im Januar gestorben). Nicht zuletzt beeindruckte das Haus mit seinem Ensemble, in welchem Stimmen reiften wie die von Ute Vinzing, Gudrun Volkert, Marianne Dorka, Peter Hofmann, Theo van Gemert, Hartmut Bauer. Warum diese Erwähnung? Weil es künftig ein Opernensemble in Wuppertal nicht mehr geben wird.

 Während dem Schauspiel mit seinen 9 (!) festen Darstellern in dem neu eingerichteten Theater am Engelsgarten (bescheidene 160 Sitzplätze) immerhin eine Bleibe geschaffen wurde (das alte Schauspielhaus, ein höchst attraktives Gebäude, gammelt baufällig und ohne Sanierungskonzept vor sich hin), ist um die Zukunft der Oper zu bangen. Das vor einiger Zeit sanierte Opernhaus ist zwar wieder ganz dem Musiktheater zugeteilt – und dem Ballett von Pina Bausch bzw. dem, was davon noch existiert bzw. langfristig existieren wird. Aus finanziellen Gründen hat sich die Stadt allerdings entschlossen, dem Opernensemble komplett zu kündigen und nur noch Gäste für einzelne Produktionen zu engagieren, was zu einem weitestgehenden En-Suite-Spielplan führt. Da könnte man sicher auf die derzeitige Kölner Situation verweisen, aber diese ist als eine limitierte (bis 2015) konzipiert.

 Mit „Tosca“, „Giovanni“, „Parsifal“ und „Salome“ geht man in der nächsten Wuppertaler Spielzeit etwas fad auf Nummer sicher, nur die von Philipp Harnoncourt inszenierte „Johannes-Passion“ (mit nur 4 unmittelbar aufeinander folgenden Aufführungen) fällt aus dem Rahmen. Auflockerung gibt es durch Arbeiten des bisherigen Opernintendanten Johannes Weigand („Barbier von Sevilla“, „Hänsel und Gretel“), wo ehemalige Ensemblesänger noch einmal zum Einsatz kommen. Toshiyuki Kamioka, beliebter Chef des Sinfonieorchesters Wuppertal, übernimmt die Humperdinck-Oper höchstselbst, verantwortet weiterhin 3 der Hauptproduktionen. Ob er auch als Opernintendant zu reüssieren versteht, bleibt abzuwarten. Die von ihm vielleicht nicht direkt initiierte, aber mitgetragene Kündigung des festen Ensembles ist eine rein rechnerische Maßnahme. Ob sie von Publikum langfristig akzeptiert wird, lässt sich schwer vorhersagen. Zu erinnern ist allerdings daran, dass eine mehrere Jahre zurückliegende Fusion von Wuppertal und Gelsenkirchen (Musiktheater im Revier) in die Hosen ging (massiv zurückgehende Auslastungszahlen), weil man wohl den Lokalstolz der Wuppertaler unterschätzte. Der neuen Maßnahme soll nicht automatisch unkünstlerische Leichtfertigkeit unterstellt werden, aber ein Spielplan nur als Abonnnentenfutter, ohne Wagemut und ohne individuellen Anstrich kann und darf nicht die Zukunft bedeuten. Der kommenden, vielleicht auch noch der übernächsten Saison darf man als Testphase zunächst einmal Kredit geben. Die Bilanz danach jedoch sollte nüchtern sein.

 Der reiche, fraglos von Abschiedsgefühlten durchtränkte Premierenbeifall für „Krol Roger“ galt einem Noch-Ensemble, welches sich von seinen besten Seiten präsentierte. FLORIAN FRANNEK dirigiert die weihevoll-narkotische Musik Szymanowskis mit großer Klangintensität und reichem Farbenkaleidoskop. In die Titelfigur investiert KAY STIEFERMANN mit seinem virilen Bariton  ein Leidenscharisma, wie es schon seinen Holländer auszeichnete. BANU BÖKEs Roxane leuchtet mit ihrem üppig höhensicheren Sopran, CHRISTIAN STURM belkantisiert als Edrisi so edelstimmig wie schon lange nicht mehr. Den Hirten gibt RAFAL BARTMINSKI a.G., dessen tenorales Potential dem lyrischen Fach bereits entwachsen scheint, was aber keine Einschränkung von melodischer Sensibilität bedeutet. In der Minirolle der Äbtissin vermag JOSLYN RECHTER ihre vokalen Qualitäten nur bedingt ins Feld zu führen, dem jungen Bassisten MARTIN JS. OHU (Erzbischof) bleibt hingegen weiterhin stimmliche Schulung angeraten. Bravos am den erweiterten Opernchor samt städtischer Kurrende – und allen Sängern für die Mühe, den original polnischen Text (vermutlich ausschließlich phonetisch) einstudiert zu haben.

 Regisseur JAKOB PETERS-MESSER versteht Szymanowskis Oper als Akt der Selbstfindung des Titelhelden. Edrisi, der arabische Gelehrte, ist bei ihm ein Psychoanalytiker, bei welchem der emotional nicht gefestigte Roger in Therapie ist. Die Opernhandlung wird als individuelle Bewusstseinswerdung interpretiert, wobei der finale Sonnengesang den Durchbruch zu einem befreiten Ich bedeutet, was Messer durch die Positionierung Rogers vor dem sich schließenden Vorhang unterstreicht. Ein blutvoll tragischer Ausgang dieser Vorgänge, wie ihn Hans Werner Henzes „Bassariden“ schildert, blendet diese Bühnenlösung aus. Auch ist sie keine wirklich gewichtige Alternative zu der Bonner Inszenierung Hans Hollmanns, welche die Selbstfindung Rogers als ein schwules Outen deutete, sinnfällige Parallelisierung zum Realleben Szymanowskis.

 Bei Messer lautet die Bilanz etwas simpel: Therapie gelungen, glückliche Zukunft garantiert. Welche Rolle bei alledem Rogers Gattin Roxane spielt und spielen wird, bleibt im Dunklen. Auch ihr wechselndes Outfit von mondäner Dame im 1. Akt (Blondfrisur, Pelzmantel), Vamp im 2. Akt (Glitzerrobe) und einer Art Kundry im 3. Akt (Kostüme: SVEN BINDSEIL) lässt etwas ratlos zurück. Suggestiv und symbolintensiv hingegen lässt Messer die erotische Ausstrahlung des Hirten bis hin zu einer Blutzeremonie sichtbar werden. Auch der achteckige Einheitsraum von MARKUS MEYER mit seinen lichtbündelnden Spiegelelementen und den raffinierten, bewegten  Bildprojektionen machen Eindruck. Insgesamt eignet der Inszenierung Ritualcharakter. Durch die damit häufig verbundene Bildstarre ergeben sich für den Zuschauer mitunter besondere Anstöße zur Reflektion. In summa darf die Wuppertaler Produktion jedenfalls als eine bedeutungsvolle Station auf dem Weg „Krol Rogers“ hin zu einem hoffentlich endgültig festen Platz im Opernrepertoire angesehen werden.

 Christoph Zimmermann

 

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