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WUPPERTAL: BLUTHOCHZEIT von Wolfgang Fortner

19.01.2013 | KRITIKEN, Oper

WUPPERTAL: BLUTHOCHZEIT –  Zweitvorstellung am 18. Januar 2013

 Man muss bis zur Düsseldorfer Kurt-Horres-Inszenierung von 1986 zurückgehen, um auf eine Aufführung von Wolfgang Fortners „Bluthochzeit“ zu stoßen. Hans Wallat dirigierte seinerzeit, Martha Mödl verkörperte die Mutter, als die sie mehrfach zuvor, u.a. in Aachen, Lübeck (Dirigent: der Komponist) und Stuttgart zu sehen war. Die Uraufführung hatte 1957 im neu erbauten Kölner Opernhauses stattgefunden (auf CD greifbar. Dirigent: Günter Wand, Regie: Erich Bormann).Was würde man im Nachhinein nicht darum geben, die Partie der Mutter auch von Inge Borkh oder Astrid Varnay erlebt zu haben. Die Wuppertaler Produktion (Premiere: 13. Januar) wird von DALIA SCHAECHTER geprägt. Nicht zuletzt an ihrem Stammhaus Köln kennt man sie seit Jahren als Sängerdarstellerin von besonderer Intelligenz und Intensität.

 Die Mutter steht im Mittelpunkt der Oper, welche am Text von Federico Garcia Lorcas Drama „Bodas de sangre“ kaum etwas geändert hat. Letztlich nur eine (allerdings wichtige) Kontrastfigur ist die Braut, wie auch der fesche Leonardo. Sein Raub der einstigen Geliebten inmitten ihrer Hochzeit mit dem Sohn der „Mutter“ ist spektakulär. Doch der Vorgang würde irgendwie „abgehakt“ werden können, wäre da nicht die Mutter, welche durch den Tod ihres Gatten und eines anderen Sohnes quasi traumatisiert ist und sich in ihrem Schmerz von einem Dämon verfolgt sieht, den Regisseur CHRISTIAN VON GÖTZ real, in Weiß- und Schwarz-Farben changierend, auf die Bühne bringt (VERENA HIERHOLZER). Das instrumentale Vorspiel vor der 6. Szene ist ganz der Bildwerdung dieses Moments gewidmet. Damit ergänzt die Inszenierung die irrealen Akzente der Oper, welche auch in den Figuren von Nachbarin/Bettlerin/Tod und Mond Niederschlag finden. Mit dem selbst entworfenen Zwischenvorhang, der die zentrale Spielfläche (über dem „Graben“) von dem auf erhöhter Hinterbühne spielenden Orchester abtrennt, holt von Götz freilich auch Gegenwartsrealität ins Spiel. Das will wohl sagen: so archaisch die Welt von Lorcas Spanien auch erscheinen mag, diese Düsternis ist nicht auf historische Epochen begrenzt, sondern setzt sich im Heute fort. Statt eines schwarz wallenden Gewandes trägt Dalia Schaechter logischerweise ein (moderat) modernes Kostüm, entsprechend angepasst wirkt die Kleidung der anderen Personen (ULRICH SCHULZ). Das ist logisch erdacht, könnte dem Zuschauer jedoch u.U. die Einführung in eine so hermetische Welt erschweren. Doch zugegeben: auch eine Figur wie Janaceks Küsterin kennt man heute anders als in früheren Jahren. Von Götz lässt es in seiner dringlichen Inszenierung auch nicht an optischen Verständnishilfen fehlen, setzt psychologisch stichhaltige Akzente. Bei Dalia Schaechter muss er freilich nicht viel tun: sie wirkt alleine durch Blicke, kleine Gesten, sogar durch Bewegungslosigkeit. Auch mit ihrem expressiven Gesang fesselt die Künstlerin in jedem Moment ihrer Bühnenpräsenz. Vorbildlich bewältigt sie den häufigen Wechsel von Singen und Sprechen.

 Der Oper merkt man ja unschwer an, dass sie durch andere Genres vorgebildet ist. Zunächst entstand eine Bühnenmusik für das Lorca-Schauspiel in Hamburg (1948, Regie: Karlheinz Stroux), dann komponierte Fortner noch die dramatische Szene „Der Wald“, welche 1953 beim Hessischen Rundfunk uraufgeführt wurde. Die Oper als Endform der „Bluthochzeit“ lebt also konzeptionell vom steten Wechsel zwischen nüchterner Prosa und sanglichem Melos und weist damit den Anspruch der Gattung nach, dass Musik erst dort beginnt, wo das Wort nicht mehr ausreicht.

 Diesen besonderen Stil unterstützt das SINFONIEORCHESTER WUPPERTAL mit engagiertem, intensivem Spiel. Bei HILARY GRIFFITHS spürt man die vibrierende Zuwendung zur Musik, die souveräne Beherrschung des weiten Klangpanoramas mit jedem Taktschlag. Er hat übrigens einen kleinen (oder doch großen?) Eingriff in die Partitur vorgenommen, dem man gerne zu folgen bereit ist. Um die Aufführungspause nach dem 5. Bild platzieren zu können, was die Oper eigentlich nicht vorsieht, für den dramatischen Atem der Wuppertaler Aufführung aber von Belang ist, lässt er den Schlussakkord, der original vom Fortissimo im Pianissimo verebbt, sich dynamisch gewissermaßen umkehren. Die Musik bäumt sich also auf, um sich dann später (Einleitung zum 6. Bild) wieder neu aufbauen zu können. „Ich bitte den Geist Wolfgang Fortners um Verständnis“, so der Dirigent am Ende seiner Ausführungen im Programmheft. Wer würde ernsthaft Anklage erheben wollen? Freilich beeindruckt in Wuppertal diese punktuelle Maßnahme vor allem als Teil einer stringenten Interpretation, welche die Expressivität von Fortners Musik unterstreicht. Trotz dodekaphonischer Grundsubstanz wirkt sie ja gerade durch ihre emotionale Sprachfähigkeit, eine Qualität, die in besonderer Weise auch den Opern Alban Bergs eignet.

 Das Personarium von „Bluthochzeit“ ist aufwändig. Vom Schauspiel sind u.a. ÌNGEBORG WOLFF (als Mehrfachfigur – u.a. Tod – sehr persönlich), GREGOR HENZE (Bräutigam) und STEPHAN ULLRICH (Vater der Braut) zur Stelle. Bei den Sängern helfen einige Gäste aus: CORNELIA BERGER von der Düsseldorfer Rheinoper gibt die Schwiegermutter Leonardos, MARTIN KOCH (aus Köln wie Dalia Schaechter) lässt den Mond mit seinem klaren Tenor förmlich gleißen. Aus dem hauseigenen Ensemble beeindrucken BANU BÖKE (als Braut at her best), JOSLYN RECHTER (Magd) und MIRIAM RITTER als Frau Leonardos, den THOMAS LASKE verkörpert. Vielleicht um eine Spur zu “anständig“ wirkend, um den erotischen Hasardeur gänzlich glaubhaft machen zu können, ist dieser trotz langer Ensemblezugehörigkeit immer so jung wirkende Sänger ein wichtiger Qualitätsgarant der Wuppertaler Oper.

 Christoph Zimmermann

 

 

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