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WÜRZBURG: WARTEN AUF GODOT

02.02.2023 | Allgemein, Theater

WÜRZBURG: WARTEN AUF GODOT
1.2. 2023 (Werner Häußner)

warten auf godot foto nik schölzel
Foto: Nik Schölzel

Nichts. So beginnt Samuel Becketts „Warten auf Godot“ am Mainfranken Theater Würzburg. Den ersten Satz, ausgesprochen von Estragon, stellt Martin Liema wie eine Grundsatzaussage in den weißen Bühnenkasten von Dejana Radoslavljevic. „Nichts – zu machen.“ Da geht es nicht um den Schuh, den er versucht vom Fuß zu ziehen. Sondern um Ohnmacht oder Resignation. Oder um Erkenntnis des Absurden? Um eine Spur Herausforderung? Alles und nichts schwingt in der lapidaren Sentenz mit. Liema macht das in einem Tonfall, der einlöst, dass große Schauspielkunst wesentlich am Wort hängt.

Wie diesmal überhaupt in Würzburg entspannt und nuancenreich gesprochen wird, anders als sich nuschelnde Youngsters selbst an Häusern wie dem Münchner Residenztheater präsentieren (letztes Beispiel dort: Hugo von Hoffmannsthals gedrechselte Texte in „Der Turm“). Hannes Berg hat den entschiedeneren Ton drauf. Er gibt seinem Wladimir wenigstens noch eine Spur Lebensdynamik mit: Die Hose wird straff gezogen, der vergilbte weiße Sakko zugeknöpft, bevor es ans Telefon geht, um die Botschaft über Godot zu empfangen. Die bringt kein kleiner Junge, sondern eine Stimme aus einem unbestimmbaren Off. Dazu leuchten am einzigen Requisit der Bühne, dem Baum, zwei rote Lampen wie unheimliche Insektenaugen auf. Die Natur hat Regisseur Kevin Barz aus der Szene verbannt: Der Mond ist ein lädierter Leuchtkreis, der Baum ein Mast mit Auslegerarmen, wie wir sie von Robotern kennen. Kameras und Lampen an den Enden lassen an Überwachung denken. Sie blinken, wenn Meike Parys ihr Licht herunterfährt zu nachtblauem Dämmer.

Kevin Barz hat in seiner Abschiedsinszenierung als Hausregisseur des Mainfranken Theaters nicht die Langeweile provoziert, die Samuel Becketts vor siebzig Jahren uraufgeführtes Stück den Zuschauer fühlen lassen will. Die eindreiviertel Stunden der viel gespielten Ikone des absurden Theaters, die Beckett für zwei Bühnentage braucht, werden nicht zum lähmenden Zeitbrei. Aber die Dynamik, die das Spiel immer wieder in Bewegung bringt, bricht schnell zusammen. Am Ende ist alles so, wie es vorher war. So auch in den Intermezzi mit Pozzo und Lucky. Die beiden schwarzen Gestalten scheinen etwas in Bewegung zu setzen, doch am Ende bleiben ihre beiden Durchzüge Episode. Georg Zeies ist erst ein sadistischer Menschenschinder, dann ein hilflos gestürzter Greis mit dünnen Hilferufen; Anselm Müllerschön brüllt erst seine ohnmächtige Qual mit körperlicher Wucht heraus und wankt später nur noch als stummer Schatten über die Szene.

Am Ende scheint einer Erinnerung an Albert Camus‘ Mythos vom Sisyphus auf: Haben die beiden, nachdem der Ausweg, sich zu erhängen, am reißenden Strick gescheitert ist, ihre Situation akzeptiert, den Sinn im Warten auf Godot aufgegeben, darin ihre Freiheit gefunden? Werden sie, wie der antike Held Camus‘, zu „glücklichen Menschen“? Auch das bleibt offen: Der Zuschauer geht mit dem Eindruck des Absurden aus der Theaterfabrik „Blaue Halle“ in die Februarnacht: Der ewige Zwiespalt einer inneren Suche nach Sinn und einer scheinbar oder tatsächlich antwortlosen, sinnleeren Welt schließt sich nicht.

Werner Häußner

 

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